Die Vergangenheit darf niemals verblassen! 🚹 In einer bewegenden Rede im Bundestag erinnert Dorothee BĂ€r an die unmenschlichen Verbrechen des NS-Regimes, insbesondere an die Opfer der Zwangssterilisation und Euthanasieprogramme. 

Sehr geehrter Herr PrÀsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Was nicht erinnert wird, kann jederzeit wieder geschehen, wenn die Ă€ußeren LebensumstĂ€nde sich entscheidend verschlechtern.“

Diese Worte stammen von der Autorin und Bildhauerin Dorothea Buck. Sie war 19 Jahre alt, wollte KindergÀrtnerin werden, als sie im Jahr 1936 aufgrund ihrer Behinderung in Bethel bei Bielefeld zwangssterilisiert wurde. Heute stehen wir zusammen, um die Erinnerung an diese menschenverachtenden Verbrechen, die die nationalsozialistische Ideologie hervorgebracht hat, wachzuhalten.

Extremer Rassismus und die Idee von einer sogenannten Rassenreinheit fĂŒhrten zur Umsetzung von Maßnahmen, die als „rassenhygienisch“ legitimiert wurden. Ab 1933 wurden durch das Gesetz zur VerhĂŒtung erbkranken Nachwuchses Menschen sterilisiert, die als sogenannt „erbkrank“ galten. Das heißt, dieses Gesetz richtete sich gegen Menschen mit Behinderungen, mit psychischen Erkrankungen, aber auch gegen viele andere, die nicht in das damalige nationalsozialistische Weltbild passten.

Nora Bossong hat es in ihrem Roman „Reichskanzlerplatz“ sehr treffend, aber auch sehr zynisch formuliert – ich zitiere –:

„Immer mehr Leute passten nicht hinein in dieses vorzĂŒgliche Reich, in dem Milch und Honig und Munition vom Fließband flossen.“

Diese Taten waren unmenschlich. Sie waren das Resultat einer systematischen Entmenschlichung. Die Betroffenen wurden nur noch als reine Objekte betrachtet. Ihre individuellen Schicksale wurden ignoriert. Das heißt, das war damals ein sehr perfider Versuch, das Lebensrecht nach einem vermeintlichen „Wert“ zu messen.

Die DurchfĂŒhrung dieser Euthanasieprogramme geschah immer in einem angeblich „medizinischen“ Rahmen, in dem auch Ärzte und Pfleger zu Komplizen wurden. Das zeigt uns doch, wie leicht sich Menschen in einem System der UnterdrĂŒckung auch von ihrer moralischen Verantwortung distanzieren können.

Die Ärzte, die hier agierten, sahen sich nicht als Mörder, sondern als Vollstrecker einer Mission.

Auch deswegen sind wir der festen Überzeugung, dass die Aufarbeitung der NS-Verbrechen nie abgeschlossen sein darf. Die Verantwortung, die wir hier tragen, ist ohne Frage ĂŒberparteilich, und sie ist auch Verpflichtung.

Wir hatten im September 2022 eine öffentliche Anhörung im Kulturausschuss. Bei dieser Anhörung ist herausgekommen, dass es immer noch erhebliche Leerstellen bei der Aufarbeitung bzw. Vermittlung dieser NS-Verbrechen gibt.

Ich glaube, bei jedem von uns gibt es in der Heimat, in der Region, im eigenen Wahlkreis – wo auch immer wir herkommen – konkrete Beispiele fĂŒr Orte, an denen Erinnerungsarbeit geleistet wird, sehr oft getragen von einem extrem positiven zivilgesellschaftlichen Engagement. Ich darf ein Beispiel aus meiner Heimat herausgreifen: Die 42. Bayerische Landesausstellung kommt 2027 unter dem Motto „Heilen und Helfen“ nach Nordschwaben, konkret nach Ursberg. Wer Ursberg kennt, weiß, dass Ursberg auch Sitz des Dominikus-Ringeisen-Werks ist, das heute ĂŒber 5 000 Menschen mit Hilfebedarf in Bayern begleitet. Ein Ableger davon befindet sich in meiner Heimat, in meinem Wahlkreis, in Maria Bildhausen. WĂ€hrend der NS-Zeit wurden aus dieser Einrichtung in Ursberg 519 Menschen deportiert; 379 von ihnen starben durch das Euthanasieprogramm. Ich glaube, dass diese Landesausstellung eine sehr gute Gelegenheit ist, die Inhalte des heutigen Antrags, den wir abstimmen werden, vor Ort in den Vorbereitungen mit-zudenken.

Das heißt, wir können konkret mit unserer Arbeit vor Ort aktiv auf das Ineinandergreifen von Erinnerungsarbeit hinwirken. Es gibt bundesweit sehr viele Orte, wo Erinnerungsarbeit geschehen kann. Nur so können wir sicherstellen, dass sich solche Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht wiederholen.

Ganz herzlichen Dank.

Druckversion