Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU im Bundestag im Interview mit der Rheinischen Post.
Hat das Wahlergebnis von Sachsen-Anhalt die Stimmung in Bayern und in der CSU-Landesgruppe gegenüber Armin Laschet aufgehellt?
Das Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt ist sensationell für Reiner Haseloff und ein Motivationsschub für die gesamte Union. Armin Laschet und Markus Söder haben sich beide in diesem Wahlkampf engagiert. Gemeinsam haben wir gezeigt, dass die Union aus der Pandemie heraus zur Wahl mobilisieren kann. Dieses Wahlergebnis ist auch ein Beweis dafür, dass die Corona-Politik der Unionsparteien weiterhin mehrheitlich auf Zustimmung stößt.
Hat sich der Wahlkampf damit zugunsten der Union und Armin Laschets gewendet?
Wir haben eine große Chance auf hohe Zustimmung. Die Union kann mobilisieren. Die Union kann gewinnen. Sachsen-Anhalt ist ein Motivationsschub für die gesamte Union.
Am 20./21. Juni wollen CDU und CSU das Wahlprogramm festzurren. Reiht die CSU sich ab jetzt geräuschlos ein?
Es geht um den Willen zum gemeinsamen Erfolg. Dabei steht die Einigkeit im Vordergrund. Wir werden das Wahlprogramm gemeinsam vorstellen. Am 14. und 15. Juli findet die Sommerklausur der CSU-Landesgruppe mit Markus Söder und Armin Laschet in Bayern statt. Das Signal ist klar: Wir stehen zusammen in diesem Wahlkampf. Das Ziel ist, dass gegen uns und ohne uns nicht regiert werden kann. Dazu braucht es aber noch einen deutlichen Schub nach vorne.
Und wie viel CSU-Handschrift wird das Wahlprogramm tragen?
Den CSU-Klartext wünschen sich auch viele Unionswähler außerhalb Bayerns im gemeinsamen Wahlprogramm. Da bin ich sehr zuversichtlich. Daneben wird es aber auch einen eigenen bayerischen Akzent geben, den wir für den Wahlkampf im Freistatt formulieren.
„Modernisierung” ist das große Schlagwort im bisherigen Unions-Wahlkampf. Nun hat die Union 16 Jahre regiert. Wie lässt sich vermitteln, dass man nun alles erneuern will?
Wir stehen vor einer neuen Zeit - politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Politisch geht mit Angela Merkel eine Ära zu Ende. Wirtschaftlich stehen wir durch Auswirkungen der Pandemie, mit Klimaschutz, Digitalisierung und Globalisierung und globale Neuordnungen vor massiven Herausforderungen. Und gesellschaftlich erleben wir eine neue Flexibilität in der Arbeitswelt und neue Lebensmodelle. Die Unionsparteien wollen diese neue Zeit mit Modernität und Freiheit gestalten. Grüne, SPD und Linke setzen dagegen auf Verbote, Bevormundung und Innovationsfeindlichkeit. Darin zeigt sich auch die Richtungsentscheidung, um die es bei dieser Wahl geht.
Die CSU muss gerade in Bayern auch eine traditionelle Stammwählerschaft bedienen. Ist das nun die Zuwendung zu progressiveren Wählermilieus? Ist die CSU die Modernere der beiden Unionsschwestern?
Man muss aufpassen, dass man die eigene Stammwählerschaft nicht unterschätzt. Es gibt in breiten Teilen der Gesellschaft ein gesundes Bewusstsein für Veränderungen. Als Volkspartei darf man nicht den Fehler machen, dass man sich langsamer verändert als die Gesellschaft insgesamt. Ich beobachte gerade zwei Denkrichtungen: Auf der einen Seite diejenigen, die jedem Trend sofort folgen, jede beliebige Welle reiten wollen, egal, wo sie herkommt, und ihre Politik danach ausrichten wollen. Auf der anderen Seite jene, die sich als Fels in der Brandung verstehen, aber nicht merken, dass es um sie herum kein Wasser mehr gibt. Beides ist schlicht falsch. Richtig ist, als Volkspartei immer wieder eine neue Balance zu finden zwischen Modernisierung und Bewahrung, zwischen Tradition und Fortschritt. Das heißt gerade nicht, dem Zeitgeist folgen, aber den Geist der Zeit mitgestalten. Das muss sich auch in einem modernen Wahlprogramm widerspiegeln.
Die Grünen setzen voll auf Klimaschutz, „Veränderung“ steht über ihrem Grundsatzprogramm, dazu eine junge Kanzlerkandidatin. Können die Grünen die Modernisierung nicht viel authentischer verkörpern als die Union?
Die Grünen versuchen sich eine bürgerliche Maske zu geben, verstecken dahinter aber ein sehr linkes Wahlprogramm. Sie argumentieren gegen Modernisierung, gegen wirtschaftliches Wachstum und gegen eine freie Gesellschaft. Es ist jetzt an der Zeit, den grünen Maskenball zu beenden.
Das sind schwere Vorwürfe. Woran machen Sie das fest?
Die Grünen haben in ihrem Wahlprogramm festgeschrieben, dass sie den Exportüberschuss begrenzen und reduzieren wollen. Das ist eine klare Absage an das wirtschaftliche Wachstum. Und sie haben mit ihrem Bekenntnis gegen freie Mobilität auch ein Bekenntnis gegen eine freie Gesellschaft in Europa formuliert. Wer Kurzstreckenflüge untersagen will, der verbietet nicht nur die Strecke Düsseldorf-Frankfurt, sondern auch schnelle Verbindungen zwischen München und Barcelona, zwischen Berlin und Dublin. Ein zusammenwachsendes Europa bedeutet aber gerade ein Versprechen an schnelle Mobilität. Das ist ein zentrales europäisches Freiheitsversprechen. Wir stehen dazu, die Grünen wollen dieses europäische Freiheitsversprechen schleifen.
Nach aktuellen Umfragen kommt die Union in einem künftigen Regierungsbündnis nicht um die Grünen herum. Ist es da nicht heikel, ihnen all das abzusprechen?
Wir werben dafür, dass wir möglichst viel Zustimmung aus der gesamten Breite der politischen Mitte bekommen, um eine Regierung unter Unions-Führung zu ermöglichen. Eine Politik der neuen Balance gibt es nur mit CDU und CSU. Die Union muss den Kanzler stellen und die nächste Bundesregierung anführen. Juniorpartner der Grünen zu werden, ist für uns keine Option. Jeder, der seine Stimme Annalena Baerbock gibt, muss wissen, dass er die buckelige Verwandtschaft der Linkspartei um Dietmar Bartsch mitgeliefert bekommt.
Schließen Sie eigentlich aus, dass bei einer Regierung mit Unionsbeteiligung das Renteneintrittsalter auf 68 angehoben wird?
Ein reflexhaftes Verschieben des Renteneintrittsalters nach hinten, wenn es um die Finanzierung der Rente geht, ist mir zu fantasielos. Rentenpolitik hat verschiedene Stellschrauben. Einen späteren Renteneintritt lehne ich ab. Trotzdem müssen wir uns grundlegend über Finanzierungsfragen unterhalten, dazu gehört eine private Vorsorge genauso wie der Aufbau eines Kapitalstocks, um kapitalfinanzierte Rentenanteile zu ermöglichen. Über diese grundlegenden Fragen müssen wir in diesem Wahlkampf diskutieren.
In den Reihen der CDU gibt es die Forderung nach einem flexiblen Renteneintrittsalter. Bedeutet flexibel nicht auch später?
Flexibel bedeutet für mich, dass es die Möglichkeit gibt, selbstbestimmt auch länger zu arbeiten. Dafür gibt es heute schon eine Vielzahl von Bespielen, übrigens auch in der Politik. Das hat aber ausschließlich mit Freiwilligkeit zu tun, nicht mit Fremdbestimmtheit. Deswegen flexibel ja, aber unter der Voraussetzung, dass besonders belasteten Berufen auch weiterhin eine frühere Rente ermöglicht wird.
Es gibt Krach in der großen Koalition über Schutzmasken. Markus Söder denkt laut über eine Rücktrittsforderung an SPD-Arbeitsminister Heil nach, für den Fall, dass sich die SPD-Vorwürfe gegen Gesundheitsminister Spahn als unbegründet herausstellen sollten. Ist dieser Streit noch beizulegen?
Ich halte die Vorwürfe gegenüber Jens Spahn für unbegründet, unfair und unverschämt. Ich rate der SPD dringend, trotz des baldigen Endes dieser Koalition die letzten Monate mit Anstand zu begehen. Bei diesen Vorwürfen, die in unheilsamer Weise aus dem Willy-Brandt-Haus heraus erhoben und möglicherweise von Spahns SPD-Kabinettskollegen befeuert wurden, zeigt sich eine Panikreaktion der SPD auf ihre schlechten Umfragewerte. Schlechte Umfragen rechtfertigen aber noch keinen mangelnden Anstand. Alle sollten sich genau überlegen, wie sie sich gerade in diesen polarisierenden Zeiten gegenüber dem Wähler präsentieren wollen.
Also war das Vorgehen beim Ankauf und Verteilung dieser Masken durchweg in Ordnung?
Meiner Erkenntnis nach sind diese Masken geprüft und schützen gegen Infektionen, insofern ist ihr Einsatz gerechtfertigt. Anders ließe sich übrigens auch nicht erklären, dass diese Masken mit Zustimmung der gesamten Bundesregierung in die Nationale Gesundheitsreserve übernommen werden, um sie im Notfall der Bevölkerung zu Verfügung stellen zu können. Die gesamte Bundesregierung einschließlich des SPD-Arbeitsministers hat diese Masken für tauglich im Sinne des Infektionsschutzes erklärt. Daraus eine solche Debatte zu machen, ist unterste Schublade.
Erwarten Sie eine Entschuldigung?
Ich erwarte einen sachlichen und fairen Umgang. Mindestens unter vier Augen muss das Thema ausgeräumt werden. Eine öffentliche Entschuldigung wäre angemessen, scheint den Betroffenen aber erkennbar schwer möglich zu sein.
Ist nach diesem tiefen Zerwürfnis eine künftige Deutschland-Koalition aus Union, SPD und FDP gestorben?
Nach der Wahl wird immer neu verhandelt. Wir werden uns alle Optionen anschauen. Es gibt viele in der Union, die nach wie vor mehr Sympathie für eine Zusammenarbeit mit der FDP haben als mit den Grünen.
Erwarten Sie, dass sich die Bundeskanzlerin im Wahlkampf für die Union stark macht?
Angela Merkel wird auch weiterhin eine große Rolle in der deutschen, besonders aber in der internationalen Politik spielen. Aber die Verantwortung für den Wahlkampf hat der Kanzlerkandidat. Wir werden Armin Laschet dabei mit aller Kraft unterstützen. Fest steht: Der Wahlerfolg der Union hängt auch davon ab, ob es uns gelingt, die Wähler, die Sympathie für Angela Merkel haben, zu mobilisieren.
Wird Markus Söder auch außerhalb Bayerns Wahlkampf betreiben?
Der Wahlkampf wird nur erfolgreich sein, wenn die Unionsparteien maximale Geschlossenheit zeigen. Dazu gehört, dass Armin Laschet und Markus Söder in diesem Wahlkampf beide aktiv sind. Es gibt nach wie vor sehr viele Unterstützer für Markus Söder in Bayern und Deutschland. Er wird in diesem Wahlkampf gebraucht, auch außerhalb Bayerns.
Die Generalsekretäre der demokratischen Parteien haben sich das Wort gegeben, einen fairen Wahlkampf zu führen, keine Falschdarstellungen zu verbreiten und keine Schmutzkampagnen zu fahren…
Auch der SPD-Generalsekretär? Das überrascht mich. Mein Eindruck der letzten Tage ist, dass die SPD sich bewusst für eine Fake- und Foul-Kampagne gegen Jens Spahn entschieden hat. Da diese Kampagne auf einem falschen Vorwurf fußt, muss sich der SPD-Generalsekretär die Frage gefallen lassen, ob er seinen eigenen Aussagen zur Fairness gerecht wird.
Hält die CSU sich denn immer daran?
Ja.
Dann fallen Sozialismus-Vorwürfe gegenüber den Grünen oder Social-Media-Beiträge mit Fäkal-Emojis aus Ihren Reihen noch unter Fairness?
Man muss sich immer wieder selbst überprüfen, ob alle Methoden in einem Wahlkampf der politischen Auseinandersetzung dienen oder nur zur Herabsetzung des Wettbewerbers taugen. Ich rate dazu, den Wahlkampf in der Sache hart zu führen, aber ohne persönliche Beleidigungen und mit Fakten statt Fake News.
Ist die Härte dieses Wahlkampfs auch der Grund dafür, warum Sie persönlich deutlich milder auftreten, als man das aus früheren Wahlkämpfen kennt?
Ich war mir selbst lange nicht sicher, ob mir nach meinem früheren Amt als Generalsekretär die Resozialisierung gelingt. Ich befinde mich immer noch in einem Lernprozess, und freue mich, wenn meine Bereitschaft zu Milde in der Öffentlichkeit registriert wird.
Seit Mittwoch finden EM-Spiele mit Zehntausenden Zuschauern im Münchner Stadion statt. Damit weicht die CSU-Landesregierung vom Corona-Kurs der Vorsicht ab. Ist Ihnen dabei in Sachen Infektionsgeschehen ganz wohl?
Ich habe vor allem Freude daran zu sehen, dass Menschen sich ohne Angst wieder begegnen können. Das hat mit Impffortschritt, mit Testmöglichkeiten, mit vielen gesund Genesenen zu tun. Diese Rückkehr zur Normalität ist dringend notwendig, um die Zuversicht und den Optimismus einer Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Nach fröhlichen Menschen auf Marktplätzen, in Straßencafés und Biergärten haben wir uns alle lang gesehnt. Dazu gehören auch Fußballspiele und EM-Begeisterung – unter Hygienevorschriften und mit eingeschränktem Umfang. Aber das Zeichen, dass wir auf dem Weg zurück in die Normalität sind, halte ich für dringend notwendig.
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