Redeauszug der Bundestagsabgeordneten Andrea Lindholz in der Bundestagsdebatte zur Änderung des Strafgesetzbuches (Opferschutz), 4.7.2024:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Im vergangenen Jahr wurden über 250 000 Menschen Opfer von häuslicher Gewalt. Das sind noch einmal 6,5 Prozent mehr als im Jahr 2022. Fast 80 Prozent der Opfer von Partnerschaftsgewalt sind nach wie vor Frauen. Die Zahlen von polizeilich registrierter häuslicher Gewalt steigen nahezu kontinuierlich an: in den letzten fünf Jahren allein um insgesamt fast 20 Prozent. Und die Dunkelziffer ist noch viel höher: Jede dritte Frau in Deutschland wird mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von Gewalt.

Laut aktueller Polizeilicher Kriminalstatistik finden in Deutschland jeden Tag im Durchschnitt zwei Gruppenvergewaltigungen statt, und im Jahr 2023 sind 155 Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet worden. Im Schnitt wird also an jedem dritten Tag eine Ex-Partnerin oder Partnerin durch ihren Mann getötet. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine bittere und es ist eine erschreckende Bilanz. Deshalb haben wir uns auch entschlossen, heute einen Gesetzentwurf einzubringen, mit einer Vielzahl von gesetzlichen Änderungen zum Schutz von Frauen und verletzlichen Personen; denn das ist ein Baustein in einem umfangreichen Schutzkonzept.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel, Sie haben jetzt drei Jahre lang nichts getan, und Nichtstun ist keine Lösung.

Ich nenne Ihnen drei konkrete Beispiele.

Wir wollen erstens, dass Gewalttaten zum Nachteil von Frauen und Kindern härter geahndet werden. Wir wollen unter anderem, dass die Gruppenvergewaltigung und Stalking, die bisher Mindeststrafen von drei Jahren hatten, künftig auf fünf Jahre erhöht werden.

Wir wollen zweitens, dass Opfer von häuslicher Gewalt und Stalking, die psychisch und physisch wirklich unglaubliche Leiden ertragen müssen, sich ganz sicher sein sollten, dass ein gerichtliches Näherungsverbot bei Verstößen auch effektiv umgesetzt werden kann. Deswegen sind sich auch alle darüber einig, Frau Kollegin Helling-Plahr von der FDP, dass es neben der Vielzahl an landesspezifischen Regelungen eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung zum Einsatz der elektronischen Aufenthaltsüberwachung, auch Fußfessel genannt, braucht. Darum geht es, damit Männer Abstand halten. Es geht um eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung.

Bei minderjährigen Zeugen wissen wir, dass gerichtliche Vernehmungen eine erhebliche Belastung darstellen. Das gilt für alle Zeugen, aber hier besonders. Deshalb wollen wir dort auch die audiovisuelle Vernehmung bei minderjährigen Zeugen leichter ermöglichen.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Änderungen im Strafrecht und im Gewaltschutzgesetz – ich sagte es bereits – sind natürlich nur eine Facette dessen, was man als Bundesinnenministerin, als Bundesfamilienministerin oder auch als Bundesjustizminister bewegen kann und auch bewegen sollte. Ich darf Ihnen ein Zitat aus Ihrem Koalitionsvertrag vorlesen, liebe Frau Wegge:

„Wir werden das Recht auf Schutz vor Gewalt für jede Frau und ihre Kinder absichern und einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen für eine verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern sicherstellen.“

Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Sie wissen doch ganz genau, dass Frauenhäuser und Kinderschutzhäuser ein zentrales Element im Schutzkonzept sind. Wo, Frau Wegge, Frau Faeser, Frau Paus, Herr Buschmann, ist denn Ihr Gesetz, liebe Koalition, nach den letzten drei Jahren? Fehlanzeige!

Ja, wir alle wissen, dass wir in Deutschland zu wenig Frauenhausplätze haben: Es sind ungefähr 6 800; wir bräuchten circa 21 000, wenn wir die Istanbul-Konvention umsetzen wollen. – Aber es ist nicht so, dass Sie nur dieses Gesetz nicht auf den Weg bringen und gebracht haben, Sie streichen auch noch die Finanzierung zum Ende des Jahres für Frauenhäuser. Die läuft einfach aus. Nachfolgefinanzierung? Vollkommen offen. Es gibt Länder, die warten darauf, auf Ihre Regelung, weil Sie nämlich diesen Ländern – unter anderem auf meine Anfrage hin im letzten Jahr – durch die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, bzw. Staatssekretärin Folgendes mitgeteilt haben – im August letzten Jahres: Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, noch in dieser Legislaturperiode das Recht auf Zugang zu Schutz und Beratung bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt bundesgesetzlich abzusichern. Durch die Schaffung eines neuen Rechtsrahmens soll auch die Arbeit von Frauenhäusern auf eine verlässliche Grundlage gestellt werden. – Ich ergänze: auf eine verlässliche finanzielle Grundlage. Und weil Sie nicht handeln, können auch die Länder in vielen Fällen nicht weiter handeln. Weil Sie untätig sind! Das ist das Problem.

Um es also auf den Punkt zu bringen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel, vor allen Dingen, liebe Kolleginnen: Ich hätte mir von dieser Fortschrittskoalition mehr Fortschritt gewünscht. Sie sind eine Rückschrittskoalition; Sie sind eine Stillstandskoalition.

Was Sie hier heute Morgen abliefern – insbesondere auch die Kolleginnen der Grünen –, das zeigt einmal mehr: Sie sind nicht mehr regierungsfähig. Das Einzige, was Sie können, ist Probleme beschreiben. Aber Sie tragen null Komma null zu irgendeiner Lösung eines Problems in diesem Land bei.

Zu guter Letzt ist auch das Thema Messerangriffe in den vergangenen Wochen in unserer Gesellschaft, aber natürlich auch bei uns in der Politik ein großes Thema, und wir brauchen Lösungen. Und eine Lösung und ein Zeichen kann der Gesetzgeber setzen. Das wollen wir tun. Wir wollen nämlich, dass Körperverletzung mittels einer Waffe oder eines Messers künftig als Verbrechen geahndet werden. Damit heben wir den Strafrahmen an, von einem Jahr auf bis zu 15 Jahre, damit dieser Unrechtsgehalt einfach noch deutlicher herausgestellt wird. Das ist das, was der Gesetzgeber tun kann. Er kann sagen: Wir wollen das in unserem Land nicht länger dulden. Im letzten Jahr gab es pro Tag 24 Messerangriffe. Das ist nicht mehr akzeptabel.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch an der Stelle sage ich ganz klar: Nichtstun ist keine Lösung. Und ich erwarte von Ihnen, wir erwarten von Ihnen, dass Sie in den vielleicht wenigen verbleibenden Wochen Ihrer Rückschrittskoalition doch noch das eine oder andere auf den Weg bringen, worauf dieses Land wartet und das der Situation entsprechend angemessen ist. Liebe Frau Kollegin, Nichtstun ist, keine Lösung!

Schönreden ist keine Lösung! Tun Sie endlich was!

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