Redeauszug des Bundestagsabgeordneten Erich Irlstorfer in der Bundestagsdebatte zur Unterstützung von pflegenden Angehörigen, 3.7.2024:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! 

Ich würde sagen, wir beruhigen uns einmal wieder und gehen mal auf das eigentliche Thema ein. Denn die ganze Diskussion, die wir hier führen, wird weder irgendjemandem helfen noch irgendwas vorwärtsbringen. Das sind nur irgendwelche Fantasiediskussionen, die wir hier nicht brauchen können. – Ja, ja.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, pflegende Angehörige sind ein unsichtbarer Teil unserer Gesellschaft, ob in Schulen, in irgendwelchen Einkaufsläden, in Fußgängerzonen, in Betrieben, im sozialen Umfeld oder auch hier im Deutschen Bundestag. Pflegende Angehörige sind überall zu finden, und doch werden sie sehr häufig übersehen. Diesen Zustand können und dürfen wir so nicht weiterhin akzeptieren.

Pflegende Angehörige bilden die Basis für die Aufrechterhaltung der pflegerischen Versorgungsstruktur. Die Zahlen sind Ihnen allen bekannt: Über 80 Prozent der Menschen mit Pflegebedarf werden in den eigenen vier Wänden gepflegt; das sind rund 4,17 Millionen Menschen. Diese Pflegebedürftigen werden von knapp 5 Millionen Angehörigen versorgt.

Bekannt ist natürlich auch: Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen wird bis 2055 um 37 Prozent zunehmen. Da werden uns diese Streitereien, dieses Klein-Klein – wer hat etwas gesagt? wie hat er es gesagt? was hat er gesagt? – nicht weiterbringen. Diese Zahl wird auf 6,8 Millionen Menschen im Jahr 2055 ansteigen. Bis dahin wird auch die Zahl der pflegenden Angehörigen enorm steigen, ja, steigen müssen; denn eine angemessene Versorgung wird sonst nicht mehr möglich sein.

Aus diesem Grund bin ich dankbar, dass meine Fraktion diesen Antrag einbringt und auf die Bedürfnisse sowie die Interessen aufmerksam macht. Es muss das Ziel sein, meine sehr geehrten Damen und Herren, bestehende Strukturen zu stärken und neue Angebote aufzubauen. Dazu zählen vor allem die Kurzzeit-, Langzeit-, Tages- und auch die Nachtpflegeangebote. Gemeinsam mit den Ländern und auch mit den Kommunen müssen die Pflegestützpunkte mit integrierter Pflegeberatung intensiv gefördert und weiterhin ausgebaut werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, als Union sprechen wir uns auch für einen an den Pflegegrad gekoppelten Pflegepauschbetrag aus und befürworten eine Lohnersatzleistung bei der Pflegezeit bzw. streben eine Familienpflegezeit an, um mehr Flexibilität und Planungssicherheit für die Angehörigen zu ermöglichen. Innovative Modelle, zum Beispiel das Konzept aus dem österreichischen Burgenland und die Anstellung pflegender Angehöriger in eine sozialversicherungspflichtige Anstellung, sind sinnvoll. Ich war an Pfingsten im Burgenland und habe mir das angeschaut.

Pflege zerrt an den Kräften, weshalb Präventionsmaßnahmen für pflegende Angehörige dringend ausgebaut werden müssen, beispielsweise durch bezahlte Rehas und Erholungsangebote. Es ist enttäuschend, dass wir hier nicht weiterkommen. Und mit „wir“ meine ich nicht nur die Ampelregierung, sondern auch alle Oppositionsparteien. Wir müssen kapieren, dass das Thema Pflege nicht mit einer Partei oder mit einer Einstellung zu tun hat. Es geht um mehr: ob wir es schaffen oder ob wir es nicht schaffen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Dieses kleingeistige Tun muss aufhören. Wir müssen gemeinsam versuchen, die Pflege neu zu organisieren, besser zu organisieren, finanzierbar zu halten. Und deshalb werbe ich um Ihre Zustimmung zu diesem Antrag – im Sinne aller pflegenden Angehörigen. Wenn Sie nicht zustimmen, dann appelliere ich an die Ampel, eigene Vorschläge zu machen und die Misere der Betroffenen nicht länger zu akzeptieren.

Ich möchte auch auf die Vorschläge von Minister Lauterbach – heute ist da ja was gekommen – hinweisen. Mir ist es egal, von welcher Partei, von welcher Fraktion, von welcher Farbe das Ganze kommt. Wir müssen es schaffen! Es muss möglich sein, dass wir uns nicht nur im gegenseitigen Streit irgendwelche Sachen um die Ohren hauen. Wir müssen lösen! Das ist das Entscheidende, und darum bitte ich Sie.

Danke schön
 

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