Der Vorsitzende der CSU im Bundestag Alexander Dobrindt spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über die Folgen der Maskenaffäre, knappen Impfstoff und die K-Frage der Union.
Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl steht die Union als Raffke-Truppe am Pranger, ein Fall nach dem nächsten kommt ans Licht. Ist das, wie eine CDU-Kollegin sagte, die tiefste Krise für CDU und CSU seit der Spendenaffäre?
Über das Verhalten der Betreffenden kann ich nur Wut und Enttäuschung empfinden. Für die Unionsparteien, aber auch für die gesamte Politik ist das eine unglaublich bittere Erfahrung, möglicherweise die einschneidendste der letzten 20 Jahre. Sie ist in der Dimension trotzdem nicht vergleichbar mit der Spendenaffäre. Aber sie kann weitreichende Auswirkungen für die Zukunft der parlamentarischen Demokratie haben.
Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl steht die Union als Raffke-Truppe am Pranger, ein Fall nach dem nächsten kommt ans Licht. Ist das, wie eine CDU-Kollegin sagte, die tiefste Krise für CDU und CSU seit der Spendenaffäre?
Über das Verhalten der Betreffenden kann ich nur Wut und Enttäuschung empfinden. Für die Unionsparteien, aber auch für die gesamte Politik ist das eine unglaublich bittere Erfahrung, möglicherweise die einschneidendste der letzten 20 Jahre. Sie ist in der Dimension trotzdem nicht vergleichbar mit der Spendenaffäre. Aber sie kann weitreichende Auswirkungen für die Zukunft der parlamentarischen Demokratie haben.
Lässt sich der Schaden überhaupt heilen?
Jetzt geht es ums Aufräumen. Wir müssen uns im Parlament anders aufstellen. Dafür haben wir als CDU/CSU-Fraktion eine 10-Punkte-Transparenzoffensive vorgelegt. Unser Ziel ist es, die Transparenz- und Verhaltensregeln für Abgeordnete des Deutschen Bundestages deutlich zu verschärfen. Darüber hinaus werden wir uns in der Unionsfraktion einen Verhaltenskodex geben, der weit über die gesetzlichen Regelungen für Abgeordnete hinausgehen wird.
An welchen Punkten?
Ich will, dass Abgeordnete, die in einer Fraktion Führungsverantwortung übernehmen, keine Nebentätigkeiten mehr ausfüllen. Ich will, dass Transparenz herrscht bei Unternehmensbeteiligungen, so dass klar wird, wo da Geld fließt. Und ich will, dass bei verbotenen Zuflüssen das Geld zwingend abgeschöpft und eingezogen wird.
Die Union hat lange argumentiert: Wer Nebenverdienst verbietet, schafft ein Parlament aus lebensfernen Berufspolitikern. Dann reden keine Bauern mehr über Landwirtschaft, sondern Lehrer und Beamte.
Es geht nicht darum, demjenigen seinen Bauernhof wegzunehmen, der als Familienbetrieb Landwirtschaft betreibt. Es geht auch nicht darum, dem Metzgermeister seinen Fleischerbetrieb zu untersagen. Es geht darum, klar zu sagen: Aus dem Mandat heraus soll keine zusätzliche wirtschaftliche Tätigkeit erwachsen. Da will ich die Brandmauer errichten. Und da muss man sich als Abgeordneter entscheiden: Wer Führungsverantwortung übernehmen will in der Fraktion, muss sich an die Regeln halten können, die auch für Minister gelten. Das bedeutet: keine zusätzlichen Nebeneinkünfte.
Also auch keine Beratungstätigkeiten wie bei Nüßlein und Löbel?
Die entgeltliche Tätigkeit als Interessenvertreter für einen Dritten im Bundestag will ich gesetzlich verbieten.
Sie fordern bei Nebentätigkeiten ab 10.000 Euro im Monat eine Offenlegung auf Euro und Cent genau. Warum nicht schon bei weniger, oder sogar ab dem ersten Euro?
Über andere Grenzen kann man natürlich diskutieren. Der Gedanke hierbei ist: Das Mandat muss immer im Vordergrund stehen. Deswegen, alles, was über die Höhe der Diäten hinausgeht, sollte auf Euro und Cent offengelegt werden.
Der CSU-Landtagsabgeordnete Sauter soll für den Vertrag für einen Maskendeal als Anwalt sogar über eine Million Euro kassiert haben.
Die Vorwürfe sind gravierend. Die CSU hat Alfred Sauter aufgefordert, einen klaren Strich zu ziehen und die Thematik vollumfänglich auf den Tisch zu legen. Daraus werden dann die notwendigen, auch harten Entscheidungen zu treffen sein.
SPD und FDP fordern für den Bundestag einen Sonderermittler. Könnte der die Union nicht sogar entlasten helfen?
Es braucht keinen Sonderermittler. Das Parlament muss sich selbst die Regeln geben. Die Politik muss in der Lage sein, selbst Transparenz herzustellen. Wir brauchen eine Verständigung über neue Transparenz- und Veröffentlichungsregeln im Gesetz. Da kann es eine schnelle Entscheidung geben, wenn die SPD mitzieht. Und wir werden als CDU/CSU in der Fraktion kommende Woche unseren Verhaltenskodex beschließen, der noch deutlich schärfer sein wird als die gesetzlichen Regelungen.
Wieso sollen die Leute glauben, dass es der Union jetzt ernst ist mit der Transparenz, gegen die sie sich jahrelang gewehrt hat?
Wir haben in dieser Legislaturperiode die Debatte über das Lobbyregister begonnen – das war nicht Teil des Koalitionsvertrages. Die Darstellung, wir hätten das blockiert, ist falsch.
Es ging jetzt aber plötzlich doch recht schnell. Warum braucht es immer erst solchen Druck?
In Organisationsformen, die so gefestigt sind wie unsere, sind substanzielle Veränderungen oft nur nach Krisen möglich. So ist es jetzt auch beim Abgeordnetenmandat. Da wird es tiefgreifende Veränderungen geben. Das führt dann aber auch dazu, dass einige Personen das politische Mandat vielleicht nicht mehr für attraktiv erachten. Die Zusammensetzung des Bundestages, das Verständnis des Mandats wird sich dadurch auch verändern.
Und das ist jetzt auf einmal kein Problem mehr?
Wer heute als Funktionsträger Verantwortung trägt in einem Parlament und in einer Fraktion, der hat erheblichen Einfluss auf die Gesetzgebung, mehr als viele andere Abgeordnete. Deswegen müssen für so jemanden auch besondere Regeln für Transparenz und besondere Ansprüche an moralische Integrität und Verantwortung gelten.
Hat diese Einsicht auch damit zu tun, dass Vorfälle wie die Maskenaffäre denen in die Hände spielen könnten, die das Vertrauen in die Demokratie insgesamt untergraben wollen, namentlich der AfD?
Die AfD versucht, den Parlamentarismus von innen heraus zu zerstören. Wenn jetzt versucht wird, den Eindruck zu erwecken, das massive Fehlverhalten Einzelner sei systemisch, dann wird Politik insgesamt diskreditiert. Das ist zersetzend für die Demokratie. Darum sollte sich jeder, der diesen ungerechtfertigten Vorwurf des systemischen Fehlverhaltens formuliert, gut überlegen, ob er damit nicht den Gegnern der Demokratie von Rechtsaußen Vorschub leistet. Denn wenn die Politik insgesamt mit solchen Vorfällen in Beziehung gebracht wird, dann entsteht ein gehöriges Maß an generellem Misstrauen und Ablehnung in der Bevölkerung.
Und das in einem Moment, in dem das Vertrauen in Angela Merkels und Jens Spahns Pandemie-Politik gleichzeitig auch noch ins Wanken kommt?
Der Vorwurf ist ja: Die Politik kann nicht rechtzeitig oder nicht ausreichend die notwendigen Maßnahmen und deren Umsetzung liefern. Dieser Vorwurf ist auch in Teilen nicht ganz falsch. Wir leiden immer noch unter der Tatsache, dass es zu wenig Impfstoff gibt. Es war nicht ausreichend, dass man die Impfstoffbeschaffung ausschließlich der EU verantwortet hat. Für die Zukunft muss klar sein: Die europäische Initiative ist richtig, aber Aufgaben ausschließlich an Brüssel zu delegieren, ohne ergänzend eigene nationale Maßnahmen zu ergreifen, reicht schlichtweg nicht aus.
Soll Deutschland jetzt selber noch mal einkaufen gehen?
Nein, was jetzt produziert wird an Impfstoff, ist ja schon aufgeteilt. Aber wir dürfen zum Beispiel bei der Frage der Impfstoffversorgung für Kinder nicht den gleichen Fehler noch einmal machen. Diese Impfstoffe werden erst zum Jahresende zur Verfügung stehen. Jetzt aber müssen die Entscheidungen getroffen werden, wer wann und wo diese Impfstoffe bezieht. Völlig unterentwickelt ist auch der Fokus auf Forschung und Entwicklung im Bereich der Therapeutika. Corona wird uns mit seinen Mutanten wahrscheinlich viele Jahre begleiten. Deswegen halte ich es für dringend, eine nationale Strategie zur Impfstoffherstellung zu entwickeln. Wir werden auch in den kommenden Jahren die Bevölkerung mit neuen Impfstoffen gegen neue Corona-Varianten versorgen müssen.
Schon, aber wieso braucht es dafür einen Rückfall in eine Impfstoff-Kleinstaaterei?
Der Aufbau eigener Kapazitäten ist zwingend notwendig, um Deutschland und Europa wieder mehr Souveränität zu verschaffen. Das Thema Souveränität wird in diesem Wahlkampf ohnehin eine große Bedeutung erlangen. Die Globalisierung hat Fehler, die wir korrigieren müssen. Dazu gehört in manchen Bereichen die einseitige Abhängigkeit von nur einer Region in der Welt.
Deutschland soll genug Impfstoff für sich selbst herstellen können?
Ich will, dass in Europa der Impfstoff, den wir gemeinsam brauchen, produziert wird. Ich will aber auch genug Kapazitäten aufbauen, um andere Länder in der Welt versorgen zu können. Zurzeit wird Weltpolitik mit Impfstoff gemacht. China bringt seinen Impfstoff nach Indien und Afrika, um Politik zu machen. Russland ist mit seinem Impfstoff in Osteuropa unterwegs. Die USA exportiert keine Impfstoffe, auch damit macht sie Politik. Wir erleben eine Neuordnung von Einfluss und Wirtschaftskraft in der Welt. Ich bedaure es, dass sich Europa im Moment an dieser Neuordnung nicht beteiligen kann.
Wird nicht ohnehin, speziell auch in Deutschland, die Coronapolitik immer weniger als Gemeinschaftsaufgabe behandelt? Bund und Länder und Parteien zeigen bei jedem Problem sofort auf den anderen.
Wenn Mangel herrscht, wird über alle politischen Ebenen die Verantwortung hin- und hergeschoben. Das ist immer so. Der Grundfehler ist der Mangel an Impfstoffen. Aber es zeigt sich auch: Wir brauchen eine Föderalismusreform, die dafür sorgt, dass Zuständigkeiten und Weisungen klar zugeordnet werden können.
Mehr Macht für die Bundespolitik?
Nein, das spricht nicht zwingend für mehr Zentralismus. Aber Organisation und Verantwortung dürfen nicht auseinanderfallen. Nach der Wahl sollten wir uns in einem Reformprojekt Deutschland noch einmal über die Grundprinzipien der Kompetenzaufteilung Gedanken machen, übrigens auch im Verhältnis zu Europa. Ich halte gemeinsame europäische Impfstrategien ausdrücklich für richtig. Aber das darf nicht dazu führen, dass keine nationalen Maßnahmen mehr getroffen werden. Das europäische Wirken funktioniert erst aus dem Zusammenspiel der nationalen Kompetenzen. Darauf sollte man sich wieder mehr besinnen.
Für solche Pläne müssen Sie aber erst mal die Wahl gewinnen. Wird das Impftempo bis zum Herbst über den Wahlerfolg der Union entscheiden?
Vom Impfgeschehen hängt ab, wie weit und wie schnell wir wieder Normalität erreichen. Und das wird Auswirkungen auf das Wahlergebnis haben. Die Politik hat Versprechungen abgegeben, etwa dass alle erwachsenen Bürger bis zum Sommer ein Impfangebot erhalten. Das muss eingehalten werden. Sonst geht Vertrauen verloren. Und Wahlen werden durch Vertrauen gewonnen.
? ... was doch aber besonders für die Union gilt - die SPD versucht sich ja erkennbar abzukoppeln und so zu tun, als sei sie gar nicht Teil der Regierung.
Die SPD hat sich auf ein Niveau der Zustimmung bei den Wählern herunter gearbeitet, das überhaupt keine Phantasie mehr dafür zulässt, dass die Partei noch eine positive Zukunftsperspektive hat. Darunter leidet die SPD. Sie tut aber auch alles dafür, dass sich der Eindruck nicht verbessert. Jetzt erliegt sie auch noch der Versuchung, durch Aggressivität den Fehler beheben zu wollen, dass sie ihren Kanzlerkandidaten zu früh ausgerufen hat.
Aber ist es denn so falsch, wenn Kanzlerkandidat Olaf Scholz die Ampel als realistische Machtoption sieht?
Olaf Scholz schielt doch offensichtlich nach einem linken Bündnis mit Grünen und Linkspartei. Die Linken haben gerade eine erklärte Kommunistin zur Vorsitzenden gewählt, die Mitglied in der vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppe "Marx 21" war. Dass eine SPD und eine grüne Partei es auch nur für denkbar halten, mit einer Partei gemeinsame Sache zu machen, die den Systemumsturz propagiert, kann einen nur befremden.
Die Union braucht jetzt bald auch einen Kanzlerkandidaten. Was sind die wichtigsten Anforderungen an Angela Merkels Nachfolger?
Aktuell geht es nicht darum, wer Kanzler kann, sondern wer Kanzlerkandidat werden kann. Die Bundestagswahlen werden dieses Jahr in einem Wimpernschlagfinale entschieden. Wir müssen deshalb daraufsetzen, unsere eigene Anhängerschaft maximal zu mobilisieren. Die Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben gezeigt, was passiert, wenn die Union das nicht schafft. Deswegen braucht es einen Kanzlerkandidaten, der unsere Anhängerschaft, und zwar die ganze Breite der bürgerlichen Mitte, am stärksten mobilisiert.
Und wer kann das?
Wir haben einen guten Fahrplan mit der CDU vereinbart. Der ist weiterhin richtig. Zwischen Ostern und Pfingsten werden wir unter dem Gesichtspunkt Chancenoptimierung in guter Gemeinsamkeit eine Entscheidung treffen.
Aber ist es nicht misslich, dass die beiden denkbaren Kandidaten in der zentralen Pandemiedebatte eben nicht für die Mitte, sondern für genau gegensätzliche Pole stehen: Der Vorsichtige gegen den Lockerer?
Ich bin froh, dass wir in CDU- und CSU-Persönlichkeiten haben, die herausragende Rollen in der bundesdeutschen Politik spielen und gemeinsam in der Lage sind, die Breite des bürgerlichen Spektrums abzudecken. Denn nur diese Breite ermöglicht uns die Mobilisierung unseres gesamten Wählerpotenzials. Und dafür braucht es ja gerade Persönlichkeiten, die aus differenzierten und manchmal auch unterschiedlichen Ansätzen heraus am Schluss eine gemeinsame Position vertreten können.
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