Im aktuellen Spiegel-Interview, das am Rande der R20-Klimaschutzkonferenz in Wien geführt wurde, spricht Alexander Dobrindt über YouTuber Rezo, zeitgemäße politische Kommunikation und modernen Klimaschutz.
Herr Dobrindt, wie alt waren Sie, als Sie in die CSU eingetreten sind?
Ich bin mit 16 Jahren Mitglied bei der Jungen Union geworden. Mitte der Achtzigerjahre lag ich damit nicht wirklich im Mainstream.
Wie kam es zu diesem Schritt?
Es hat mich fasziniert, wie Helmut Kohl mit dem Wechsel zur christlich-liberalen Koalition die politische Wende in Deutschland eingeleitet hat. An einen Sitz im Bundestag habe ich damals nicht gedacht. Ich wollte einfach mitgestalten an politischen Entscheidungen.
Junge Leute unter 25 fühlen heute anders: Nur zwölf Prozent haben bei der Europawahl CDU oder CSU gewählt. Ist die Union ein Klub für alte Leute?
Nein. Wir sind in allen Altersgruppen ab 35 Jahren die stärkste Kraft und damit nach wie vor breit aufgestellt. Das muss uns jetzt auch wieder bei den Altersgruppen darunter gelingen. Es ist kein Naturgesetz, dass wir bei jungen Wählern von den Grünen abgehängt werden. Bei der Landtags- und bei der Bundestagswahl 2013 waren wir als CSU die mit weitem Abstand stärkste Kraft bei den Jungwählern in Bayern. Dafür müssen im Wahlkampf die Inhalte und die Kommunikation stimmen.
Sie spielen auf den Umgang der Union mit dem YouTuber Rezo an, der in seinem millionenfach angeklickten Video "die Zerstörung der CDU" betreibt?
Wenn man eine Woche vor dem Wahltermin auf YouTube zu einem Battle herausgefordert wird, muss man reagieren.
Wo sahen Sie die Gefahr?
Das Video verdichtet in einer schnellen Abfolge komplexe Inhalte zu sehr einfachen Botschaften, sodass ein vertieftes Nachdenken über das Gesprochene beim Zuschauer gar nicht stattfindet. Hängen bleibt, dass die Volksparteien versagen oder falsch handeln. In Zeiten einer hoch dynamischen Kommunikation in den sozialen Netzwerken und Plattformen muss man auf so etwas reagieren, und zwar auf dem Feld, wo man attackiert worden ist.
Hätte die Union mit einem Video antworten sollen statt mit einem elfseitigen PDF-Dokument?
Wenn der Gegner dich zum Schachspiel auffordert, kannst du jedenfalls nicht antworten: Okay, ich gehe mal meine Würfel holen. Man kann Schlachten nur gewinnen, wenn man auf demselben Spielfeld steht wie der Angreifer.
Wenn die CDU gegen einen Schachgroßmeister aber nur Amateure aufbieten kann, dann war es vielleicht klug, dem Duell vorerst auszuweichen.
Wer zaudert, wird Debatten nicht gewinnen können. Außerdem teile ich Ihren Vorhalt von Meister und Amateuren nicht.
Warum nehmen Sie die YouTube-Community als Angreifer wahr und nicht als Wählerschaft, mit der man vielleicht besser Frieden schließt?
Ich unterscheide sehr wohl zwischen dem einzelnen Absender, der uns angegriffen hat, und den Millionen Empfängern, die wir als Wähler erreichen wollen. Die Volksparteien haben einen Nachholbedarf beim Thema digitale Kommunikation. Die Dynamik der digitalen Kommunikation kann man nicht beklagen, sondern man muss versuchen, sie zu nutzen, um für unsere Politik zu werben.
Anders als CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sinnieren Sie nicht über Regeln für die "Meinungsmache" im Internet?
So habe ich sie nicht verstanden. Fortschritt lässt sich auch nicht aufhalten. Genauso wie sich Arbeitnehmer auf die Veränderung ihrer Arbeitssituation durch die Digitalisierung einstellen müssen, muss auch die Politik zu Veränderungen bei der Wählerkommunikation bereit sein.
Hinter der Plattform YouTube steht der Riese Google. Muss eine Regierung nicht neue Technologien genau beobachten und, wenn nötig, regulieren?
Natürlich darf im Netz nicht alles erlaubt sein. Deswegen gibt es zu Recht das Hatespeech-Gesetz, das Beleidigungen, Diskriminierung und Rassismus unterbinden soll. Das ist der Rahmen für die Kommunikation in einer freien und offenen Gesellschaft. Aber Gesellschaften, in denen das Netz komplett staatlich überwacht wird, sind solche, in denen wir nicht leben wollen.
Kann unsere Demokratie Schritt halten mit der Digitalisierung?
Wir erleben in ganz Europa, dass die größten Profiteure von Meinungsfreiheit und demokratischer Transparenz genau diese Werte infrage stellen. Manche ganz bewusst, weil sie wie die Rechtspopulisten unsere Demokratie destabilisieren und letztlich einen Systemumsturz wollen. Andere unbewusst, weil ihnen zum Beispiel die Dynamik des Föderalismus zu langsam ist. Ich glaube, dass in Wahrheit nur Demokratien in der Lage sind, technologische Umbrüche in der Gesellschaft so zu steuern, dass sie zum Vorteil für alle und nicht zum Nachteil für viele werden.
Sie haben drei Handys vor sich auf dem Tisch liegen, sind aber nicht auf Instagram oder Twitter. Wie weit her ist es mit ihrer Social-Media-Kompetenz?
Ich bin auf Facebook, die CSU im Bundestag ist auch auf Instagram und Twitter. Aber in einer breiten Volkspartei wie der CSU muss nicht jeder alles bedienen. Zur Instagram-Ikone taugen andere Kolleginnen und Kollegen besser. Dorothee Bär zum Beispiel, unsere Staatsministerin für Digitalisierung, leistet einen starken Beitrag für unsere Wahrnehmung in den digitalen Medien.
Ein CDU-Abgeordneter twitterte, dass die Jungwähler schon zur Vernunft kommen und konservativ wählen würden, sobald sie ihr erstes eigenes Geld verdienten. Sehen Sie das auch so?
Je weniger man sich als junger Wähler mit der Union identifiziert, desto schwerer lässt man sich später von unseren politischen Inhalten überzeugen. Wir sind keine Partei für eine bestimmte Einkommensgruppe oder Altersschicht. Wir sind eine Volkspartei, und als solche haben wir den Anspruch, uns nicht von jungen Wählern zu entkoppeln.
Welche Lehre soll die Union also aus dem Europawahlergebnis ziehen?
Die Erkenntnis kann doch nur lauten: Volksparteien, überprüft eure Schwerpunkte. Der Wahlkampf hat gezeigt, dass wir bei dem wichtigsten Thema, das uns der Wähler vorgegeben hat, zu wenig präsent waren.
Sie meinen den Klimaschutz?
Klimaschutz, Naturschutz, die Bewahrung der Schöpfung – genau diese Themen machen den Gencode christlicher Volksparteien aus. Ausgerechnet hier haben wir aber im Wahlkampf – auf der Straße wie auch im Netz – zu wenig Angebote gemacht.
Ist das nicht auch Ihr Erbe? Als CSU-Generalsekretär haben Sie Ökos und Vegetarier verspottet, als Verkehrsminister die Autoindustrie gehätschelt.
Ich mag Autos, das stimmt. Aber ich mag keine Betrügereien. Da habe ich bei der Automobilindustrie im Dieselskandal immer einen klaren Strich gezogen. Und ich finde es geradezu grotesk, wenn ein Konzern verkündet: Wir bauen Elektroautos, wenn die Politik es will. Ich sage, ein Autokonzern hat die verdammte Pflicht, sein Angebot so weiterzuentwickeln, dass er auch in Zukunft die modernsten, innovativsten und besten Autos der Welt baut, und nicht einfach auf die Ansage der Politik zu warten.
Sie haben hier in Wien mit Greta Thunberg und Arnold Schwarzenegger zusammengesessen und über Klimaschutz diskutiert. Was sagen Sie denen, welchen Beitrag Sie dazu leisten?
Wir haben alle kein Verständnis für Menschen, die sich einreden, der Klimawandel würde sich irgendwie von allein auflösen. Aufgeklärte Menschen können eigentlich nur noch über die Frage streiten, wie schnell und mit welchen Mitteln wir unseren CO²-Ausstoß verringern können. Und da ist meine Position seit Langem, dafür braucht es Anreize, Zwangsmaßnahmen fruchten nicht. Aus Bürgern, die sich von gefühlten politischen Gängelungen für den Klimaschutz ausgegrenzt fühlen, werden mit Sicherheit keine überzeugten Klimaaktivisten. Die Klimawende gelingt durch Innovationen, nicht durch Verbote. Öko muss Spaß machen, um die Menschen in der Breite zu erreichen. Wir brauchen deshalb eine Politik, die Anreize für Innovationen setzt.
Sie selbst haben bislang praktisch nichts für den Klimaschutz erreicht.
Schönes Vorurteil. Aber wir haben zum Beispiel die größte Dynamik im Aufwachsen der erneuerbaren Energien. Bei der Mobilität haben wir die Halbierung der Dienstwagensteuer für Hybrid- und Elektrofahrzeuge umgesetzt. Das war meine Initiative, und sie zeigt auch schon Wirkung, aber dabei muss es nicht bleiben. Ich will einen Schritt weitergehen – mit einer Nullbesteuerung von reinen E-Dienstwagen. So kann es uns gelingen, dass wir zügig auch einen breiten Gebrauchtwagenmarkt für E-Fahrzeuge bekommen. Das Gleiche gilt für steuerliche Förderungen bei der energetischen Gebäudesanierung. Eines darf man allerdings auch nicht vergessen, wir retten in Deutschland das Weltklima nicht allein, Deutschland ist für zwei Prozent der weltweiten CO²-Emissionen verantwortlich.
Was schließen Sie daraus?
Die "R20"-Klimaschutzkonferenz hier in Wien zeigt doch, dass das alte Motto "Think global, act local" unserer Verantwortung als Industrienation nicht gerecht wird. Wir brauchen ein neues Paradigma: "Think global, act global". Denn während Staaten wie Deutschland oder Frankreich ihre Emissionen stetig reduzieren, verschlechtert sich die weltweite Klimabilanz, und dafür sind vor allem China, Indien und die USA verantwortlich.
Während Greta auf Sie zeigt, zeigen Sie auf China?
Ich sage ausdrücklich, unsere Verantwortung für die Welt ist größer, als nur auf die deutsche Energiewende zu schauen. Wir können gar nicht so viele Kohlekraftwerke abschalten, wie gleichzeitig in Afrika neue geplant und gebaut werden. Wenn wir erneuerbare Energien in Dritte-Welt-Ländern fördern und ausbauen, nutzt das der globalen Klimabilanz mehr als manche nationalen Maßnahmen.
Ganz schön clever, das Problem Klimaschutz zu exportieren.
Nein. Das heißt nicht, dass wir unsere Anstrengungen bei der Einsparung von CO² verringern sollten. Im Gegenteil: Wir sollten schneller werden. Der Kohleausstieg bis 2038 könnte auch ambitionierter sein.
Sie wollen den Kohlekompromiss wieder aufschnüren? Laufen Sie jetzt auch mit bei "Fridays for Future"?
Der Fehler bei diesem Kompromiss ist, dass er ohne eine breite Debatte zwischen Politik und Gesellschaft stattgefunden hat. Wenn wir ein Bewusstsein für die große Herausforderung, aber auch die enorme Chance schaffen wollen, dass wir als erstes Land der Welt gleichzeitig aus der Kernenergie und der Kohle aussteigen und die erneuerbaren Energien ausbauen, dann brauchen wir eine breite Debatte dazu. Das findet bisher nicht statt, weil wir darüber nicht politisch streiten, sondern ein Expertenzirkel entschieden hat.
Es saßen doch alle mit am Tisch. Politik, Umweltverbände, Industrie und Gewerkschaften. Breiter geht es kaum.
Aber genau dieses Outsourcing von politischen Kompromissen an solche Runden führt doch dazu, dass Entscheidungen am Schluss zwar mit allen erdenklichen Lobbygruppen entstehen, aber nicht im Dialog von Bevölkerung und Politik. Ich sehe auch nicht, dass die Anwesenheit von Greenpeace-Vertretern am Verhandlungstisch die Schüler vom Streiken gegen den Kohlekompromiss abgehalten hätte.
Der alte Alexander Dobrindt hätte die Schüler vielleicht "Klima-Krawallos" genannt. Ihr neues Ich ist geradezu unheimlich verständnisvoll.
Letztlich fordern die Schüler ein, was wir im Pariser Klimaabkommen vereinbart haben. Das Klimaabkommen hat auch meine Zustimmung. Ich kritisiere, wenn Ideologie vor der Vernunft steht, was ich den Grünen immer mal wieder anlaste.
Früher haben Sie die Grünen als "Protestsekte" bezeichnet, als "verlängerten Arm von Brandstiftern und Steinewerfern". Sind Sie jetzt so diplomatisch, weil Sie sich den Grünen vielleicht demnächst als Juniorpartner andienen müssen?
Gott bewahre. Aber es stimmt, dieses Zitat hat in die damalige Zeit gepasst, ich hab's in letzter Zeit nicht wieder verwendet. Zwar habe ich selten einen politischen Fehdehandschuh liegen lassen, aber alles hat eben seine Zeit, und man merkt, dass die Bevölkerung vieler Konflikte überdrüssig ist und sich einen anderen Stil wünscht. Und was die Grünen angeht – bei den Jamaikaverhandlungen konnten sogar Toni Hofreiter und ich in der Verkehrspolitik Kompromisse erzielen. Ich will nicht ausschließen, dass eine neue Jamaikaverhandlungsrunde ganz anders ausgehen könnte als vor zwei Jahren.
Bei der Europawahl lag die AfD in zwei Bundesländern vorn. Steht der größere Gegner für Sie rechts oder links?
Das klassische Links-rechts-Schema ist heute ergänzt worden durch zwei neue Konfliktlinien: Ökologie und Identität. Auch hier geht es um Extrempositionen zwischen "Grenzen auf für alle" und "alle Grenzen zu", zwischen "Klimaschutz um jeden Preis" und "Klimawandel gibt es nicht". Diese Konfliktdimensionen spalten unser Land.
Was heißt das für die Union?
Ich glaube, dass es den bürgerlichen Volksparteien CSU und CDU gelingen kann, das politische Angebot für den gesellschaftlichen Ausgleich zu schaffen. Wir haben in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts den Konflikt zwischen Markt und Staat gelöst mit der sozialen Marktwirtschaft und damit eine verbindende bürgerliche Klammer gebildet, hinter der sich die Mehrheit in unserem Land versammeln konnte. Diese bürgerliche Klammer brauchen wir jetzt auch bei den neuen Konfliktdimensionen Ökologie und Identität. Beide Sehnsüchte, Umweltschutz und kulturelle Identität, sind übrigens im Kern konservative Anliegen, weil sie Dinge bewahren wollen.
Warum profitiert die Union dann nicht von diesem neuen Zeitgeist?
Vielleicht weil es noch nicht genügend gelingt, den Wählern zu vermitteln, dass nur eine Volkspartei beide Anliegen versöhnen kann. Zu diesem Kurs gehört auch die harte Abgrenzung von der AfD. Das Wesen der Rechtspopulisten, die sich ein Land zur Beute machen wollen, hat man jetzt auf schockierende Weise bei der FPÖ in Österreich gesehen.
Finden Sie eigentlich, um im YouTube-Sprech zu bleiben, dass die AfD "zerstört" gehört?
Ich will sie überflüssig machen. Wer glaubt, er könne die AfD einfach zerstören, hat die Dimension dieser Aufgabe nicht begriffen.
Angela Merkel trat im Europawahlkampf fast nicht auf. Hat sie ihre Partei im Stich gelassen?
Die Union muss lernen, auch zukünftig Wahlen zu gewinnen, ohne Angela Merkel.
Die stiehlt als eine Art Königin von Europa derzeit ihrer Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer die Show. Wie lange kann die neue Parteivorsitzende das durchhalten, bis sie verbrannt ist?
Die Union hat sich für eine Personalaufstellung entschieden, zu der ich nur raten kann, eindeutig zu stehen. Wo man hinkommt, wenn man ständig Spitzenpersonal infrage stellt, sieht man bei der SPD. Schuld am dortigen Wahldesaster ist nicht Andrea Nahles, sondern es sind jene Teile der Partei, die einen weiteren Linksruck fordern. Wer Enteignungsgedanken und Sozialismusideen diskutiert und sich daraufhin wundert, dass das Wählerstimmen kostet, leidet offensichtlich an politischem Realitätsschwund.
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