Im Vorfeld der am Montag beginnenden Winterklausur der CSU im Bundestag in Kloster Seeon unterstreicht Alexander Dobrindt den klaren Gestaltungsanspruch der Christsozialen und beklagt das miesepetrige Gesicht der SPD bei nahezu jeder Entscheidung der Koalition.
Herr Dobrindt, welchen Betrag würden Sie darauf wetten, dass die Groko Ende 2020 in Berlin noch regiert?
Statt zu wetten arbeite ich daran, dass diese Koalition bis 2021 weiter regieren kann. Die SPD muss dabei zuallererst ihre Selbsttherapie beenden. Ein massives Problem der Groko ist das ewige Hadern der SPD mit ihren eigenen Erfolgen. Das miesepetrige SPD-Gesicht zu nahezu jeder Entscheidung im Bund ist leider auch ein prägendes Element dieser Koalition. Ich rate der SPD, selbstbewusst mit den Entscheidungen im Bund umzugehen, anstatt die eigenen Beschlüsse immer wieder infrage zu stellen. Vertrauen gewinnt man mit guter Arbeit, nicht mit Flucht aus der Verantwortung. Dass sich der Prenzlauer Berg in Berlin am liebsten schnell ein Ende der Groko wünscht, liegt doch ausschließlich an den aktuellen Umfragewerten der Grünen.
Wenn die Groko platzt, bleibt nur Schwarz-Grün übrig. Haben Sie mit Herrn Habeck schon einen Plan ausgearbeitet?
Ich habe keine romantischen Gefühle für Schwarz-Grün. Die Grünen haben auf ihrem aktuellen Parteitag die Abkehr vom deutschen Wohlstandsmodell beschlossen. Sie wollen den aktiven Abbau unseres Exportüberschusses, Beschränkungen für die deutsche Automobilindustrie, neue Zollschranken und einen Stopp für Freihandelsabkommen. Was klingt wie das Wahlprogramm von Donald Trump sind die Parteitags-Beschlüsse der Grünen. Hinzu kommen Verbote für den Verbrennungsmotor, die Ablehnung vom Bau neuer Straßen, saftige Preiserhöhungen beim Sprit und jährlich 35 Milliarden Euro neuen Schulden. Das zeigt: Die Grünen bleiben Gegner einer bürgerlichen Politik und sind keine Partner.
Die SPD hat einen neuen Anlauf für ein Tempolimit auf Autobahnen unternommen. Welches Argument hat die CSU eigentlich dagegen außer dass man keine weiteren Verbote möchte?
Unsere Autobahnen zählen zu den sichersten Straßen der Welt. Bereits heute sind rund 40 Prozent der Autobahnen ständig oder zeitweise mit einem Tempolimit belegt. Starre Tempolimits haben aber nichts mit moderner Verkehrspolitik zu tun. Wir brauchen mehr intelligente, digitale Systeme, die das Tempo dort regulieren, wo es aktuell nötig ist - zum Beispiel bei Glätte, Schneefall oder vorausgegangenen Unfällen. Wenn die neue SPD-Spitze glaubt, ein generelles Tempolimit sei die dringendste Maßnahme, um die Abwanderung von SPD-Wählern zu stoppen, ist ihr offensichtlich die politische Orientierung für Themen der sozialen Gerechtigkeit vollkommen verloren gegangen.
Ist jetzt eigentlich das Thema "Neuverhandlung des Koalitionsvertrags" aus Ihrer Sicht vom Tisch?
Es wird keine Neuverhandlungen über den Koalitionsvertrag geben. Ein Wechsel der Parteiführung ist kein hinreichender Grund zu sagen, die Basis unserer Zusammenarbeit hat keine Gültigkeit mehr. Die SPD ist deshalb gut beraten, nicht über inhaltliche Hürden eine neue Belastung für die Koalition aufzubauen.
Welche Vorgabe gibt es für die traditionelle Winterklausur in Seeon: Wie früher ordentlich böllern oder verbal eher abrüsten?
Die CSU im Bundestag ist eine eigenständige politische Kraft mit einem klaren Gestaltungsanspruch. Mit diesem Selbstbewusstsein starten wir am Montag unsere Klausur 2020, die nicht nur ein neues politisches Jahr und die zweite Halbzeit der Großen Koalition einläutet, sondern auch in ein neues Jahrzehnt. Dieses Jahrzehnt muss für Deutschland und Europa ein Jahrzehnt der Souveränität werden – auf Augenhöhe mit den globalen Machtzentren, einer innovativen Wirtschaft im internationalen Wettbewerb, einer modernen Politik für die Bürger in unserem Land und starken Unionsparteien, die die großen Herausforderungen souverän angehen. Mit unserer Klausur bereiten wir uns darauf vor, diese Meilensteine mit einer klaren bürgerlichen Politik zu gestalten.
Was ist aus der von Ihnen in Seeon verkündeten "konservativen Revolution" geworden?
Die Unionsparteien ruhen auf drei gleichberechtigten Säulen: der christlich-sozialen, der liberalen und der bürgerlich-konservativen. Eine der drei Säulen war schlicht unterrepräsentiert. Darauf habe ich in meinem Debattenbeitrag hingewiesen, weil ich davon überzeugt bin: Wir müssen notwendige Debatten führen, anstatt sie zu vermeiden. Wenn sich ganze Bevölkerungsgruppen aus der politischen Debatte mit ihren Meinungen, Vorstellungen und Wahrnehmungen ausgeschlossen fühlen, führt das zu Protest. Es ist gerade auch die Aufgabe der Volksparteien, dafür zu sorgen, dass die Breite der gesellschaftlichen Debatte auch im politischen Diskurs ihren Platz findet.