Interview in der Lausitzer Rundschau

Im Bundestag wird am Freitag erstmals über den Gesetzentwurf zur Pflegereform beraten. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Wolfgang Zöller sieht noch Diskussions- und Änderungsbedarf während der Ausschussberatungen.

Lausitzer Rundschau: Herr Zöller, die Tagesordnung sieht für die Reformdebatte lediglich 45 Minuten vor. Warum so wenig Zeit für so ein bedeutendes Vorhaben?
 
Wolfgang Zöller: Es handelt sich um die erste Lesung des Regierungsentwurfs. Danach kommen zahlreiche Anhörungen und Ausschusssitzungen. Für eine ausführliche Erörterung bleibt also genügend Zeit.
 
Frage: Offenbar besteht auch noch erheblicher Klärungsbedarf.
 
Zöller: Ja, in zentralen Punkten hat die Union massive Bedenken. Das gilt besonders für die geplanten Pflegestützpunkte, die auch von zahlreichen Verbänden abgelehnt werden.
 
Frage: In den Pflegestützpunkten sollen Betroffene umfassende Hilfe aus einer Hand erhalten. Was ist daran schlecht?
 
Zöller: Im Sozialgesetzbuch ist schon jetzt geregelt, dass die Pflegekassen eine Beratungspflicht haben. Das geschieht auch. Wenn neben dieser Pflegeberatung auch noch Pflegestützpunkte existieren, dann entstehen Doppelstrukturen und eine enorme Bürokratie.
 
Frage: Ihr Gegenvorschlag?
 
Zöller: Die Union ist sehr für Anlaufstellen im Pflegesektor, aber nicht für neue Einrichtungen, wie sie die SPD will. Wir setzen auf eine Vernetzung vorhandener Strukturen. Selbsthilfegruppen und andere Träger haben schon jetzt ihre jeweiligen Beratungsstellen. Wenn man diese Stellen koordiniert, anstatt neue Strukturen aufzubauen, spart das mindestens 300 Millionen Euro, die zur besseren Versorgung der Demenzkranken eingesetzt werden können.
 
Frage: Ein weiterer Streitpunkt ist die zehntägige Pflegezeit für plötzlich auftretende Fälle. Die SPD will eine bezahlte Freistellung für Angehörige, die Union eine unbezahlte Auszeit. Warum eigentlich?
 
Zöller: Auf der einen Seite sagt die SPD, die zehn Tage sollen genommen werden, um die Organisation der Pflege zu gewährleisten. Auf der anderen Seite soll die Beratung verbessert, und Angehörige sowie Pflegebedürftige sollen in kürzester Zeit über alles informiert werden. Damit besteht keine Notwendigkeit von zehn bezahlten Tagen. Es ist jedem zuzumuten, beim plötzlich auftretenden Pflegefall der Eltern ein oder zwei Urlaubstage zu nehmen, um alles Notwendige in die Wege zu leiten. Damit ist auch Missbrauch ausgeschlossen. Viele würden doch die zehn Tage in Anspruch nehmen, auch wenn sie die Zeit gar nicht benötigen.
 
Frage: Die Leistungsverbesserungen etwa für Demenzkranke sollen über einen höheren Beitrag zur Pflegeversicherung finanziert werden. Das belastet die Arbeitskosten. Bekümmert Sie das?
 
Zöller: Ja, wir hätten es lieber gehabt, zur Finanzierung der künftigen Belastungen der Pflegeversicherung vorsorglich eine Kapitaldeckung einzuführen. Jedes Jahr, das wir dabei verlieren, erschwert diesen Umstieg. Aber das ist an der SPD gescheitert.
 
Frage: Unter dem Strich hat die Große Koalition bei der nachhaltigen Finanzierung versagt.
 
Zöller: So muss man das wohl sehen. Dieses Problem war mit der SPD nicht zu lösen. Dort hätte man am liebsten auf die Rücklagen der privaten Pflegeversicherung zurückgegriffen. Aber das ist schon aus eigentumsrechtlichen Gründen unmöglich.
 
Frage: Der Pflegebeitrag soll um 0,25 auf 1,95 Prozent steigen. Wie lange sind die wachsenden Pflegekosten damit gedeckt?
 
Zöller: Das reicht höchstens bis 2012. Spätestens dann holt uns die ungelöste Finanzierungsreform wieder ein.
 
Mit Wolfgang Zöller sprach Stefan Vetter.
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