Fremde Federn: Hartmut Koschyk in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Die Überschriften der zahllosen Zeitschriftenbeiträge und Zeitungsartikel, die sich in den vergangenen Monaten mit der "Roten Armee Fraktion" beschäftigt haben, waren dramatisch. Kaum ein anderes Thema hat so viel öffentliche Aufmerksamkeit gebunden. Für wen ist die "Rote Armee Fraktion" so wichtig - dreißig Jahre nach dem "deutschen Herbst"? Die begangenen Verbrechen waren Gegenstand rechtsstaatlicher Verfahren, auch wenn nicht alle Taten wirklich aufgeklärt, und deswegen auch heute wieder Untersuchungen im Gang sind. Ursachen und Motive des Terrors waren Gegenstand kritischer Auseinandersetzung oder auch unkritischer Rechtfertigung mit allen Mitteln der Darstellung in Kunst und Wissenschaft. Die neue Welle der Aufmerksamkeit konnte dem in den Tatsachenkenntnissen kaum Wichtiges oder auch nur Neues hinzufügen.

Noch bemerkenswerter als die Flut der Beiträge zum Thema "Rote Armee Fraktion" ist die Einseitigkeit des Blickwinkels, den zu viele von ihnen einnehmen. Im Mittelpunkt stehen immer wieder die Täter, ihr Lebensschicksal, ihre Verfahren von der Entscheidung über vorzeitige Haftentlassung bis zum Gnadengesuch. Die Opfer dagegen, und vor allem die weniger prominenten unter den Opfern, blieben im Hintergrund, wurden oft nur am Rand erwähnt. Das ist eine Verzerrung der Ereignisse, die der historischen Wahrheit nicht entspricht und nicht hingenommen werden kann. Daher war die gemeinsame Gedenkfeier am Mittwoch so wichtig.

Einseitige Aufmerksamkeit für die Täter ist bei der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Terror der "Roten Armee Fraktion" nicht der Blickwinkel, der zu unserem demokratischen Rechtsstaat passt. Wenn wir uns für einen Moment auf die Selbstrechtfertigung der Terroristen einlassen, auf die Ziele, die die Täter propagiert haben, dann müssen wir bekräftigen: Es gäbe keinen demokratischen Rechtsstaat mehr, wenn die Terroristen erreicht hätten, was sie zu wollen behaupteten.

Der Terror der "Roten Armee Fraktion" hat den demokratischen Rechtsstaat in Deutschland in fundamentaler Gegnerschaft mit Mord und Gewalt herausgefordert. 34 Menschen wurden getötet. Viele andere wurden verletzt, körperlich und seelisch. Familien trauern um ihre Angehörigen. Terror bringt immer nur Zerstörung. Das ist auch durch die "Rote Armee Fraktion" bestätigt worden. Ihre Selbstauflösung vor zehn Jahren wird erst abgeschlossen sein, wenn die Täter nicht mehr von ihrem Recht zu schweigen Gebrauch machen oder ihre damaligen Absichten gar bekräftigen, sondern sich aus der Gruppe lösen und zur individuellen Schuld bekennen und sagen, wer geschossen hat. Die Wahrheit bleiben die Täter den Opfern bisher schuldig.

Die Opfer gerieten ins Visier des Terrors, weil die Terroristen über ihre Leichen den Weg in einen anders verfassten Staat zu bahnen wähnten. Die Opfer gerieten ins Visier des Terrors, weil sie bereit waren, in unserem demokratischen Staat Verantwortung zu übernehmen: als Personenschützer und Fahrer für gefährdete Personen oder an der Spitze wichtiger Behörden wie dem Berliner Kammergericht und der Bundesanwaltschaft, in der Führung großer Unternehmen wie Siemens und der Deutschen Bank, an der Spitze wichtiger Verbände und Institutionen wie BDI und BDA oder der Treuhandanstalt. Die Opfer gerieten ins Visier des Terrors, weil sie Repräsentanten einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung waren. Sie standen für das, wogegen die Terroristen agitierten: für den Einsatz für Rechtsstaat und Demokratie und ebenso für das Streben nach einem guten Leben, privater Sicherheit, persönlichem Wohlstand. Nichts davon ist verwerflich. Die Opfer gerieten ins Visier des Terrors, weil die Terroristen in ihnen uns alle treffen wollten.

Das demokratische Deutschland muss sichtbare und bleibende Zeichen des Respekts für die Opfer der "Roten Armee Fraktion" setzen. Deutschland braucht einen "Ort der Trauer und des Gedenkens für die Opfer des Terrors".

Eine solche Gedenkstätte wird ein Mahnmal gegen Gewalt sein. Sie hält die Erinnerung wach an Menschen, die wegen ihres Eintretens für die Demokratie und den Rechtsstaat von Gegnern der Demokratie und des Rechtsstaates ermordet wurden und mit deren Schicksal sich alle Demokraten deshalb solidarisch zeigen sollten.

Die Bundesregierung sollte einen Ideenwettbewerb dafür ausschreiben. Ich appelliere an sie, die mit einer solchen Initiative verbundene Chance, ein mahnendes und ehrendes Zeichen zu setzen, nicht im Hin und Her der Ressorts zu verspielen.

Ein Ort für diese Gedenkstätte sollte in Berlin gefunden werden. In Berlin fand die "Rote Armee Fraktion" bei der gewaltsamen Flucht Andreas Baaders aus dem Justizgewahrsam am 14. Mai 1970 ihr erstes Opfer. Hier beging die RAF am 10. November 1974 ihren ersten Mord. In Berlin fanden die Terroristen der zweiten Generation der "Roten Armee Fraktion" schließlich bei der SED-Diktatur Unterschlupf. Auch gegen die Kumpanei der Diktatur mit dem Terror sollte die Solidarität der Demokraten zu einem klaren Zeichen fähig sein. Der Verfasser ist Mitglied des Deutschen Bundestages und Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe.

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