Neues Wahlrecht wird zu größerem Bundestag führen, Folge von Verfassungsgerichtsentscheid und Oppositionsforderungen
In der aktuellen Ausgabe des Bayernkuriers erläutert der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Stefan Müller, die schwierige Suche nach einem Kompromiss für das neue Wahlrecht.
Bayernkurier:
Voraussichtlich wird es wohl zu einem Wahlrechts-Kompromiss kommen, bei dem alle Überhangmandate vollständig ausgeglichen werden. Hätte man eine solche Einigung nicht schon zu Beginn der Verhandlungen haben können?
Stefan Müller:
Mit der sich nun abzeichnenden Lösung für das Wahlrecht bleiben die Grundzüge des Wahlrechts der Koalition aus dem Jahr 2011 erhalten. Hinzu kommt nun der Ausgleich der Überhangmandate. Die Opposition hat in den vergangenen Monaten die Strategie verfolgt, die Überhangmandate vollständig abzuschaffen. Unser Ausgangspunkt war, das deutsche Wahlrecht möglichst wenig zu verändern. Schließlich sind die Überhangmandate gar nicht der Auslöser für das vom Bundesverfassungsgericht gerügte negative Stimmgewicht. Der Opposition ging es darum, ihre politischen Ziele durchzusetzen, nicht darum, ein funktionierendes Wahlrecht zu schaffen.
Bayernkurier:
Die Einigung wird absehbar den Bundestag aufblähen. Der Bund der Steuerzahler befürchtet Mehrkosten bis zu 40 Millionen Euro. Hängt die Zurückhaltung der Union mit dieser Aufblähung zusammen?
Stefan Müller:
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2012 kritisierte die ausgleichslose Zuteilung von Überhangmandaten ab dem 15. Mandat. Zudem hat es einen überparteilichen Konsens angemahnt. In den laufenden Verhandlungen mit den anderen Fraktionen hat sich gezeigt, dass sich einvernehmlich kein Modell finden ließ, das ein mögliches Anwachsen des Bundestages verhindert hätte. Das jetzt favorisierte Modell kann zwar durch den Ausgleich der Überhangmandate zu zusätzlichen Sitzen führen. Allerdings haben die Berechnungen keine extremen Ausschläge nach oben gezeigt. Tatsächlich haben sich CSU und CDU immer dafür eingesetzt, den Bundestag nicht unnötig zu vergrößern. Unser Vorschlag, der genau das verhindert hätte, wurde vom Bundesverfassungsgericht leider nicht akzeptiert. Interessant ist, dass der Deutsche Bundestag bislang gemessen an der Bevölkerungsgröße nach Spaniens Volksvertretung das zweitkleinste Parlament in der Europäischen Union ist.
Bayernkurier:
SPD und Grüne haben die angebliche Einigung sehr frühzeitig veröffentlicht, als es eigentlich noch gar keine Einigung gab. Haben Herr Oppermann und Herr Beck mit den Medien über Bande gespielt, um Fakten zu schaffen?
Stefan Müller:
Fakten schafft man nur mit einer tatsächlichen Einigung. Und da befinden wir uns jetzt auf der Zielgeraden. Wir alle wollen eine rasche Festlegung. Schließlich befinden wir uns schon mitten in den Nominierungsverfahren für die kommende Bundestagswahl. Auf der Basis unserer Vorschläge wird nun das Bundesinnenministerium einen Gesetzentwurf erarbeiten. Es ist natürlich schon bedauerlich, wenn die Herren Oppermann und Beck sich nicht an Abmachungen halten und voreilig Dinge verkünden. Das ist einfach ein schlechter Stil und Gift für vertrauensvolle Verhandlungen auch in der Zukunft.
Bayernkurier:
Rot-Grün hatte ja ursprünglich das mangelhafte Wahlrecht mit dem negativen Stimmgewicht eingeführt, das dann für verfassungswidrig erklärt wurde. Warum haben SPD und Grüne nicht gleich so eine vollständige Ausgleichslösung eingeführt, wie sie sie jetzt favorisierten?
Stefan Müller:
Über die Beweggründe von Rot-Grün zu spekulieren, sehe ich nicht als meine Aufgabe. Sie haben uns jedenfalls die Suppe eingebrockt, die wir nun alle auslöffeln müssen. Wichtig ist, dass wir jetzt rasch ein Wahlrecht verabschieden, das die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts und den Willen der Wählerinnen und Wähler berücksichtigt.
Bayernkurier:
SPD und Grüne wollten die Überhangmandate stark zurückdrängen oder gar ganz verbieten, so dass die Erststimmen-Direktmandate keine Garantie mehr gehabt hätten, auch tatsächlich in den Bundestag einzuziehen. Wäre das noch demokratisch gewesen?
Stefan Müller:
Es wäre zutiefst undemokratisch, bereits mit Mehrheit errungene Direktmandate im Nachhinein abzuerkennen. Der mit der Vergabe des Direktmandats geäußerte Wählerwille muss in jedem Fall respektiert werden. Die Überhangmandate abzuschaffen, kam für uns daher nicht infrage. Aus dem gleichen Grund haben wir ein Verrechnungsmodell für Überhangmandate abgelehnt, nach dem die Überhänge zu Streichungen auf anderen Landeslisten geführt hätten. Nach den Vorschlägen von Grünen und Linken hätten Listenplätze in vielen Ländern gestrichen werden sollen, um Überhangmandate in anderen Ländern zu kompensieren. Das hätte dazu geführt, dass eine Reihe von Ländern deutlich weniger oder gar keinen CDU-Abgeordneten mehr in den Bundestag entsandt hätte. Das haben wir verhindert – im Sinne der Demokratie und der föderalen Fairness.