Hartmut Koschyk im Interview mit Peter Stützle, DW-WORLD

Vier Jahre Große Koalition gehen zu Ende, im September wird neu gewählt. Als Parlamentarischer Geschäftsführer hat Hartmut Koschyk, CSU, die Arbeit der Koalition mitorganisiert. Im Interview mit DW-WORLD zieht er Bilanz.

DW-WORLD.DE:
2005 haben CDU/CSU und SPD noch einen erbitterten Wahlkampf gegeneinander geführt, dann wurden sie durch das Wahlergebnis in eine Große Koalition gezwungen. Viele haben dieser Koalition kein langes Leben prophezeit, aber sie hat dann doch vier Jahre gehalten. Wie war das möglich?

Hartmut Koschyk:
Die Große Koalition hat von Anfang an das Bemühen geeint, trotz unterschiedlicher Ausgangspunkte das Notwendige zu tun, um Deutschland aus einer ganz schwierigen Lage wieder nach vorne zu bringen. Wir hatten 2005 eine katastrophale Haushaltssituation und eine sehr hohe Arbeitslosigkeit. Die Große Koalition hat seitdem viel auf den Weg gebracht, damit Deutschland nicht Schlusslicht in der Europäischen Union beim Wirtschaftswachstum blieb. Wir haben jetzt den niedrigsten Beitrag zur Arbeitslosenversicherung seit langem. Wir haben den Haushalt konsolidiert, und so können wir jetzt die Krise entschlossen bekämpfen. Wenn man sieht, wie eng die Spielräume anderer Länder wie Frankreich, Spanien, Italien oder England in der Krise sind und was wir an Maßnahmen leisten können, dann liegt das auch an der erfolgreichen Arbeit der Großen Koalition.

DW-WORLD.DE:
Ihre Aufgabe als Parlamentarischer Geschäftsführer war und ist es, die Parlamentsarbeit so zu organisieren, dass die Fraktionen auch mitgehen. In vielen Fragen gab es ja ursprünglich diametral entgegengesetzte Vorstellungen zwischen den Koalitionspartnern. Wie konnte man da die Fraktionen dazu bringen, an einem Strang zu ziehen?

Hartmut Koschyk:
Wir haben nach Wegen gesucht, um unser Land voranzubringen. Und wir haben dann das, was wir verabredet haben, auch durchgebracht. Die Große Koalition hat in diesen vier Jahren keine einzige Abstimmung im Deutschen Bundestag verloren. Zuletzt haben wir die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit für eine Schuldenbremse im Grundgesetz aufgebracht, ohne auf eine Oppositionsfraktion angewiesen zu sein. Sicher hätten wir als CDU/CSU-Fraktion manches gerne noch pointierter gehabt, aber eine Große Koalition ist immer auf Kompromiss angelegt.

DW-WORLD.DE:
Gerade in der ersten Halbzeit der Großen Koalition hatte man doch den Eindruck, dass die Koalitionsrunde regiert, also ein kleiner Zirkel der Partei- und Fraktionsvorsitzenden. Gab es da nicht im Parlament auch Unmut darüber, dass man nur noch etwas vorgesetzt bekam und sich damit abzufinden hatte?

Hartmut Koschyk:
Ich hatte immer das Gefühl, dass die Fraktionen von CDU/CSU und SPD selbstbewusst die Mitsprache des Parlaments vertreten haben. Ich kann mich an eine ganze Reihe von Vorgängen erinnern, bei denen die Fraktionen sich das, was in den Koalitionsrunden besprochen wurde, noch einmal genau angeschaut und auch verändert haben. Man darf nicht vergessen: In den Koalitionsrunden haben die Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, Peter Ramsauer und Peter Struck mitgewirkt und die Sicht der Fraktionen eingebracht. Die Koalitionsfraktionen haben also die Entscheidungen der Großen Koalition entscheidend mitgeprägt und mitgestaltet.

DW-WORLD.DE:
Ein Bereich, in dem man in der Koalition weit auseinander lag, war das Thema Innere Sicherheit. Die Union hat unter dem Eindruck der Terrorgefahr Verschärfungen gefordert bis hin zur Möglichkeit, die Bundeswehr im Inneren einzusetzen. Die SPD dagegen hat immer eher die Linie der Oppositionsparteien mitvertreten, die vor zu vielen Befugnissen der Sicherheitsorgane gewarnt haben. Wie konnte man da überhaupt zusammenkommen?

Hartmut Koschyk:
Man darf nicht übersehen: Bereits in der vorangegangenen rot-grünen Koalition hat es die Einsicht gegeben, dass die veränderte Sicherheitslage Antworten zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger fordert. Wir haben schon als Opposition - ich war damals innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion - beim Kompromiss über das Zuwanderungsgesetz eine ganze Reihe von Verbesserungen auch für die Innere Sicherheit erstritten. Auf diesem Weg haben wir unsere Arbeit fortgesetzt. Sicher hätten wir uns im Grundgesetz eine Klarstellung gewünscht, um auf verfassungsmäßig festem Boden in ganz extremen Ausnahmesituationen die Bundeswehr zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger einsetzen zu können. Das ist uns nicht gelungen, weil ein Teil der SPD sich einer vernünftigen Lösung entzogen hat.

Aber man soll das, was die Große Koalition auf den Weg gebracht hat, nicht gering schätzen. Das sage ich sehr bewusst, weil ich als Innenpolitiker von 1990 bis 1998 auch die kleine Koalition mit der FDP miterlebt habe. Da soll sich niemand täuschen: Mit der FDP wird es in einer Koalition nicht einfacher, den Erfordernissen zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden.

DW-WORLD.DE:
Schwierig war es auch in der Zuwanderungspolitik. Viele in der SPD haben den Kompromiss mit dem Staatsbürgerschaftstest nur zähneknirschend mitgetragen und wollen da nach der Wahl so schnell wie möglich wieder raus.

Hartmut Koschyk:
Die Union hat immer gesagt, dass es Integrationsanstrengungen von beiden Seiten geben muss, sowohl von der aufnehmenden Gesellschaft und dem Staat als auch von denjenigen, die als Zuwanderer zu uns kommen, und dass das Beherrschen der deutschen Sprache der Schlüssel zu Integration ist. Das war vor Jahren noch verpönt. Heute stellt es niemand mehr in Abrede. Hier ist die SPD, hier sind auch die Grünen voll auf unseren Kurs eingeschwenkt. Wir haben uns mit unseren inhaltlichen Vorstellungen im Einbürgerungstest durchgesetzt. Wir haben uns ebenso in der Frage von Sprachtests für nachziehende Familienangehörige durchgesetzt. Ich habe mir das selbst vor kurzem beim Goethe-Institut in Istanbul angesehen. Was mich dabei besonders gefreut hat: Die jungen Menschen, die nach Deutschland kommen um zu heiraten, sind froh und dankbar, dass ihnen diese Kurse angeboten werden und sie nicht ohne jede Deutschkenntnis zu ihrem künftigen Partner nach Deutschland ziehen müssen.

Wir wollen Integration und wir wollen, dass wir uns als Gesellschaft und Staat denen gegenüber öffnen, die auf Dauer bei uns leben wollen. Integration heißt nicht Assimilation, aber Integration heißt Zuwendung zur deutschen Sprache und Kultur sowie Achtung unserer Gesetze und unserer Verfassung. Die Union hat die Integrationspolitik nach vorne gebracht in der Person der Integrationsbeauftragten im Bundeskanzleramt direkt bei der Bundeskanzlerin, Maria Böhmer. All das zeigt, dass sich unser Weg in der Integrationspolitik inzwischen durchgesetzt hat.

DW-WORLD.DE:
Die SPD hat sich seit vergangenem Sommer, vor allem seit dem Wechsel im Parteivorsitz und der Ausrufung von Frank-Walter Steinmeier zum Kanzlerkandidaten, verstärkt um Profilierung gegenüber dem Koalitionspartner bemüht, um aus dem eigenen Umfragetief herauszukommen. Hat sich das auf die Koalitionsarbeit ausgewirkt?

Hartmut Koschyk:
Natürlich merkt man, dass der Vorrat an Gemeinsamkeiten in der Großen Koalition erschöpft ist. Wir haben ja auch das, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, nahezu abgearbeitet. Trotzdem ist es uns als Union gelungen, jetzt in der Krise noch einige wichtige Punkte durchzusetzen. Ich nenne nur die jüngsten Steuerrechts-Änderungen. So konnten wir für die Landwirte eine Entlastung bei der Besteuerung des Agrardiesels erreichen. Die von der grünen Ministerin Renate Künast verankerten Einschränkungen sind damit aufgehoben. Auch für Unternehmen konnten wir steuerliche Verbesserungen umsetzen: Die Grenzen bei der Zinsschranke wurden deutlich angehoben und auch die Grenze für die sogenannte Ist-Besteuerung ist verdoppelt worden. Mit diesen Maßnahmen federn wir gerade für mittelständische Unternehmen die konjunkturelle Schwächephase ab.

Die Große Koalition beweist damit bis zum Schluss Handlungsfähigkeit. Wir haben jetzt noch zwei Sitzungswochen des Bundestages. Danach müssen wir hart ringen, um die Menschen davon zu überzeugen, dass nur eine bürgerliche Mehrheit von CDU/CSU und FDP die Krise dauerhaft meistern und die Voraussetzungen schaffen kann, damit Deutschland gestärkt aus der Krise hervorgeht.

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