CSU-Landesgruppen-Chef Peter Ramsauer über die explosive Stimmung in der Regierung

Im Gespräch mit Philipp Neumann, Die Welt

DIE WELT:
Herr Ramsauer, Sie haben gesagt: Je weniger beim Koalitionsgipfel herauskommt, desto besser. Wie meinen Sie das?

Dr. Ramsauer:
Die bisherigen Reformen in der Sozial-, der Steuer- und der Haushaltspolitik sind die Basis für den Erfolg der großen Koalition. Wir haben nicht mehr 4,5 Millionen Arbeitslose, sondern 3,4 Millionen. Es wäre fatal, wenn wir diese erfolgreichen Reformen jetzt zurückdrehten. Das würde sich für die Union bei der Bundestagswahl bitter rächen.

Die Welt:
Sie wollen also ein Jahr Stillstand?

Dr. Ramsauer:
Ich hoffe, dass die SPD noch zur Einsicht kommt. Es gibt ja in deren Reihen nicht nur Wildgewordene. Ich verstehe nicht, dass Kurt Beck heute zum Thema ALG I das genaue Gegenteil dessen sagt, was er vor einem Jahr gesagt hat.

DIE WELT:
Was bedeutet das für den Sonntagabend?

Dr. Ramsauer:
Wir müssen mit den Vernünftigen in der SPD zu Mehrheiten kommen.

DIE WELT:
Dann müssten Sie Herrn Beck vor der Tür lassen ...

Dr. Ramsauer:
Das ist ein SPD-Problem. Er macht uns das Regieren nicht leichter.

DIE WELT:
Die Konsequenz daraus?

Dr. Ramsauer:
Die Konsequenz kann nur sein, dass wir solche schwierigen Phasen ohne Angst vor Landtagswahlen durchschreiten müssen. Angst vor den Wählern war noch nie ein guter Ratgeber. Der Wähler honoriert einen klaren Kurs und Rückgrat.

DIE WELT:
Sind die Gemeinsamkeiten in der Koalition aufgebraucht?

Dr. Ramsauer:
Nein. Wir müssen noch eine Reihe von Projekten abarbeiten.

DIE WELT:
Welche?

Dr. Ramsauer:
Wir haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass wir die Bahn privatisieren können. Wir müssen die Reform der Erbschaftsteuer vernünftig lösen. Wir wollen privates Wohneigentum in die Förderung der privaten Altersvorsorge einbeziehen. Wir wollen die arbeitsmarktpolitischen Instrumente reduzieren. Die Reformen dürfen nicht aufhören.

DIE WELT:
Warum machen Sie dann dabei mit, das Arbeitslosengeld I für Ältere zu verlängern?

Dr. Ramsauer:
Die CSU macht dabei noch nicht mit. Wir haben eine eindeutige Bedingung aufgestellt: Es darf nicht mehr Geld für das Arbeitslosengeld I ausgegeben werden als jetzt. Man kann das Geld aber nach plausibleren Kriterien anders verteilen.

DIE WELT:
Diese "Kostenneutralität" ist aber unrealistisch.

Dr. Ramsauer:
Eine Lösung auf kostenneutraler Basis ist in der Tat nur eingeschränkt realistisch. Deshalb bin ich skeptisch, dass es eine Einigung geben wird. Es ist doch ungerecht, dass 27 Millionen Menschen mehr als nötig in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, um einigen Hunderttausend Empfängern von Arbeitslosengeld I etwas Gutes zu tun.

DIE WELT:
Wie sieht die Lösung also aus?

Dr. Ramsauer:
Wir sollten uns noch einmal die Zahlen genau anschauen. Es gibt viele in der Union, die bei der Frage nach der Aufkommensneutralität standhaft bleiben wollen.

DIE WELT:
Soll der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung noch unter die 3,5 Prozent vom Bruttolohn gesenkt werden, die bereits Konsens sind?

Dr. Ramsauer:
Ehe wir die Sozialdemokraten das Geld der Bundesagentur für Arbeit verpulvern lassen, sollten wir die Finanzreserve nutzen, um Beiträge weiter zu senken. Die jetzt vereinbarte Absenkung muss ja bis zur Bundestagswahl nicht die letzte bleiben.

DIE WELT:
Soll die Pendlerpauschale wiedereingeführt werden?

Dr. Ramsauer:
Ich warne davor, sofort ein Gesetz zu ändern, sobald dagegen geklagt wurde. Ich stehe da auf der Seite von Finanzminister Steinbrück. Entweder wir lassen die Pendlerpauschale so, wie sie ist, oder wir schaffen sie restlos ab. Dann fehlen dem Bund und den Ländern aber jedes Jahr 2,5 Milliarden Euro, und wir können uns von dem Ziel verabschieden, 2010 einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorzulegen; ich hielte das für einen Fehler. Wir sollten das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten.

DIE WELT:
Hat die SPD mit ihren Parteitagsbeschlüssen den Koalitionsvertrag verlassen?

Dr. Ramsauer:
Der Koalitionsvertrag ist der SPD-Basis offenbar egal. Sie betreibt zunehmend Basisdemokratie nach Muster der Grünen und der Linkspartei. Auf dem SPD-Parteitag hat ein Marsch in eine rot-dunkelrot-grüne Regierung begonnen. Die Union muss diese linke Mehrheit verhindern. Sie wäre verheerend für unser Land.

DIE WELT:
Die SPD steht also nicht mehr zum Koalitionsvertrag?

Dr. Ramsauer:
Die Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion und die vernünftigen SPD-Stimmen in der Bundesregierung stehen noch zum Koalitionsvertrag. Parteichef Beck ist ja nicht in der Regierung, und die wild gewordene Basis sitzt nicht im Bundestag. Die Regierung Merkel wird die Legislaturperiode voll durchziehen.

DIE WELT:
Wann wären Neuwahlen das kleinere Übel?

Dr. Ramsauer:
Der Punkt ist ganz weit weg, den sehe ich überhaupt nicht. Es gibt derzeit für keinen der drei Koalitionspartner eine Alternative. Neuwahlen wären auch staatspolitisch verheerend. Wenn jetzt die zweite Legislaturperiode in Folge vorzeitig beendet würde, wäre das ein Armutszeugnis.

 

 

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