Im Euro-Raum sei die wirtschaftliche Erholung zögerlich und erste Folgen des Brexit-Votums zeichneten sich ab, so Ifo-Präsident Clemens Fuest, der am Dienstag mit den Abgeordneten der CSU-Landesgruppe diskutierte. Zudem sei die Schuldenkrise in der Eurozone nach wie vor ungelöst. Er schlug deshalb ein Konzept vor, das die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten stärke. Ebenfalls Thema: Steuerentlastungen.
Seit längerer Zeit gibt es in Deutschland eine stabile Wirtschaftslage mit moderatem Wachstum. Die Arbeitslosenzahlen sind so niedrig wie seit Jahren nicht mehr, die Einkommen steigen, der Export ist hoch - Deutschlands Wirtschaft geht es gut. Im August allerdings trübte sich die Stimmung in den deutschen Unternehmen ein. Das Ifo-Geschäftsklima fiel im Vergleich zum Vormonat um 2,1 Punkte auf 106,2 Punkte. Die Ursache liege seiner Einschätzung nach vor allem am bevorstehenden Brexit, machte Clemens Fuest in der Sitzung mit der CSU-Landesgruppe deutlich.
Nun müsse im Vordergrund stehen, negative Folgen eines Brexit zu minimieren, unterstrich der Ifo-Präsident. Es könne nicht das Ziel sein, Großbritannien abzustrafen und so eine mögliche Abschreckung für andere Mitgliedsstaaten zu erreichen. „Wenn die Bevölkerung eines Mitgliedstaates aus der EU will, werden wirtschaftliche Kriterien kein Hindernis sein“, sagte Fuest mit Blick auf das britische Referendum. Man müsse nun genau die nächsten Schritte überlegen und verantwortungsbewusst handeln. Ein Austritt Großbritanniens führe dazu, dass das Land bei Entscheidungen der EU kein Mitspracherecht mehr hätten. Die Briten sollten aber auch weiterhin einen möglichst weitgehenden Zugang zum europäischen Binnenmarkt und eine eingeschränkte Zuwanderungsfreiheit erhalten, so Fuest. Denn der Handel zwischen der EU und Großbritannien nütze beiden Seiten.
Fuest diskutierte mit der CSU-Landesgruppe auch über die Eurozone. Dort sei die Situation in vielen Ländern nach wie vor problematisch. Zudem wachse das Ausmaß der Solidarhaftung immer weiter an. Deutschland benötige ein Konzept, so der Ifo-Präsident, das es dem Bestreben der anderen Mitgliedstaaten zur Vergemeinschaftung von Risiken entgegensetzen könne. Sein Reformvorschlag: sogenannte Accountability Bonds. Dies seien nachrangige Staatsanleihen, die unter bestimmten Bedingungen für Anleihen oberhalb eines strukturellen Defizits von 0,5 Prozent ausgegeben werden müssten. Aufgrund des höheren Ausfallrisikos seien diese teuer, so Fuest. Das sei ein Anreiz, sich gar nicht erst so hoch zu verschulden, dass diese ausgegeben werden müssten. Zudem dürften sie nicht von der EZB aufgekauft werden. Für ein kleines Segment der Staatsanleihen werde so die Haftung der privaten Gläubiger eingeführt. Die Accountability Bonds führten dazu, dass Fehlanreize abgebaut, Schulden nicht vergemeinschaftet werden und die Staaten Eigenverantwortung zu übernehmen hätten. Die Abgeordneten der CSU-Landesgruppe diskutierten offen über Vor- und Nachteile dieses Vorschlags. Gerda Hasselfeldt, Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, machte deutlich, dass man die Diskussion über das Konzept von Fuest sowie die Stabilität des Euroraumes im Allgemeinen weiterführe.
Einen Diskussions-Vorschlag machte der Ifo-Präsident den Abgeordneten auch hinsichtlich der Steuerpolitik. Wenn die Relation zwischen Staatseinnahmen und Bruttoinlandsprodukt gehalten werden solle, erklärte Fuest, müsse es in den nächsten Jahren eine Steuersenkung von rund 23 Milliarden Euro jährlich geben. Denkbar sei unter anderem, den sogenannten Mittelstandsbauch abzuflachen und die Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz anzuheben. Dies würde überwiegend Bürger mit geringen beziehungsweise mittleren Einkommen entlasten. Alternativ würde beispielsweise eine vollständige Beseitigung des Mittelstandsbauchs rund 30 Milliarden Euro Entlastung bedeuten. Fuest verwies darauf, dass die konkrete Ausgestaltung jedoch Aufgabe der Politik sei. Die CSU-Landesgruppe hatte bereits auf ihrer Arbeitstagung in Hohenkammer im Juli die Frage erörtert, wie man den Steuerzahler wieder entlasten und damit die Rahmenbedingungen für mehr Wachstum verbessern könne.
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