Die CSU-Landesgruppenvorsitzende Gerda Hasselfeldt zeigt sich im Interview mit dem Straubinger Tageblatt besorgt über die Entwicklungen in der Türkei und fordert, die Beitrittsgespräche auf Eis zu legen. Weitere Themen: Flüchtlingspolitik und AfD.
Frau Hasselfeldt, ist angesichts der Entwicklung in der Türkei der Flüchtlingsdeal nicht de facto geplatzt?
Hasselfeldt: Mich besorgt die Entwicklung in der Türkei. Das, was dort passiert, ist weit weg von europäischen Werten und hat mit Demokratie nicht mehr viel zu tun. Erdogan spricht von „Säuberungen“. Tausende Menschen wurden entlassen, Tausende sitzen hinter Gittern. Momentan haben wir keine Anhaltspunkte, dass der Vertrag zur Flüchtlingspolitik nicht eingehalten wird. Da müssen wir wachsam sein. Das Verhalten des Staatspräsidenten bestärkt mich darin, dass die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union auf Eis gelegt werden sollten. Und auch bei der Visafreiheit ist größte Skepsis angebracht.
Ist es denn sinnvoll, sich in einer so wichtigen Frage an ein solches Regime zu ketten?
Die Türkei ist ein Schlüsselland in Bezug auf die Flüchtlingsströme, vor allem aus dem Nahen Osten. So lag es schon auf der Hand, dass die EU mit der Türkei über die Begrenzung der Flüchtlingszahlen verhandelt hat. Zusammen mit der Schließung der Balkanroute und weiteren nationalen Maßnahmen sind die Zahlen deutlich zurückgegangen.
Die Türkei kann doch unmöglich Mitglied der EU werden. Die CSU sagt das auch sehr klar. Würden Sie sich solche Klarheit nicht auch von der Bundesregierung wünschen?
Wir müssen ehrlich miteinander umgehen und die Dinge beim Namen nennen. Die CSU war von Anfang an skeptisch – wie man jetzt sieht, zurecht.
Verstehen Sie noch den Kurs der Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik?
Die Integrations- und Aufnahmekraft auch eines so starken Landes wie Deutschland, ist begrenzt. Das weiß auch die Kanzlerin. Leider wird allzu oft vergessen, dass gerade auf Betreiben der CSU hin gesetzliche Maßnahmen beschlossen wurden, um der Situation gerecht zu werden. Es gab zwei Asylpakete mit der Einstufung der Westbalkanstaaten als sichere Herkunftsländer, der Einführung des Flüchtlingsausweises und leichteren Abschiebungen. Das alles ist auf dem Weg. Jetzt kommt die Aufgabe der Integration hinzu. Wir haben ein umfangreiches Integrationsgesetz beschlossen, in Einvernehmen mit CDU und SPD. Das ist jetzt in Kraft getreten und muss erst einmal wirken.
Was hätte Angela Merkel Ihrer Ansicht nach in Ihrem Sommerinterview sagen soll, außer den wiederholten Satz „Wir schaffen das!“?
Ich bedaure, dass die gesamte Diskussion immer wieder auf diese drei Worte reduziert wird. Es steht doch außer Frage, dass wir alles Menschenmögliche tun, um diese Herausforderung zu meistern. Wir müssen die Zahl der Flüchtlinge reduzieren und die Menschen, die ein Bleiberecht haben, bestmöglich integrieren. Dass hier aber noch viel zu tun ist, das stimmt auch. Gerade bei den Abschiebungen ist noch viel Nachholbedarf und da sind vor allem einige SPD-geführte Bundesländer gefragt, die hier noch nicht so handeln, wie sie sollten.
Viele Menschen im Land sind verunsichert. Sollte eine Regierungschefin dazu nicht passende Worte finden?
Auch ich registriere die Verunsicherung in der Bevölkerung. All die Ereignisse – die jüngsten Terroranschläge, der Amoklauf von München oder die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht – machen deutlich, dass der Schutz der Bürger oberste Aufgabe des Staates ist. Dies hat die Bundeskanzlerin in ihrem Neun-Punkte-Plan ja auch betont.
Immer wieder überschüttet CSU-Chef Horst Seehofer die Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik mit Kritik. Wie sehr wirkt sich das auf die Regierungsarbeit aus?
Horst Seehofer hat ein sehr gutes Gespür für die Stimmungen und Sorgen in der Bevölkerung. Die spricht er zurecht an. In der öffentlichen Wahrnehmung wird das allerdings allzu schnell auf Persönliches reduziert. Es geht uns allen um die Sache und die Lösung der Probleme.
Wie kann es gelingen, die AfD möglichst klein zu halten?
Schauen Sie nach Bayern. Da gelingt es. Die AfD ist hier in Umfragen im einstelligen Bereich. Also, Stimmungen aufnehmen, nah an den Menschen sein, Probleme offen ansprechen und lösen. Wenn das gelingt, werden wir auch die AfD klein halten können.
Aber passiert das denn genug?
Das ist in der Tat Aufgabe aller demokratischen Parteien. Tatsache ist: Mit den Rezepten der AfD wird kein einziges der anstehenden Probleme gelöst.
Die SPD legt in der Regierungsarbeit weiter vor, aktuell mit dem Mutterschutzgesetz. Warum kann die Partei damit beim Wähler nicht punkten?
Das müssen Sie die SPD fragen. Ich glaube, dass es nicht reicht, nur Punkte aus dem Koalitionsprogramm umzusetzen, die in erster Linie parteipolitisch motiviert sind. Sondern es geht darum, dass man die Themen behandelt, die die Menschen beschäftigen. Und das sind aktuell vor allem die Integration oder die Innere Sicherheit, da bestimmt die Union ganz klar die Linie. Die SPD ist häufig erst nach schwierigen Diskussionen mitgezogen.
Agiert also die SPD am Volk vorbei?
Das kann man so sagen. Bei vielen Themen fehlt ihr auch eine klare Standortbestimmung.
Und wie zufrieden sind Sie mit der Performance der CSU in Berlin?
Wir haben in weiten Bereichen den Kurs bestimmt. Das habe ich ja ausgeführt. Mit unseren Kreuther Beschlüssen sind wir gerade beim Thema Innere Sicherheit und Reduzierung der Flüchtlingszahlen immer wieder Ideengeber und Motor in der Koalition gewesen. Unsere Forderungen konnten wir in zahlreichen Gesetzen umsetzen.
Was ist denn von der großen Koalition bis zur Bundestagswahl im kommenden Jahr noch zu erwarten?
Die Union ist die Partei der Inneren Sicherheit. Die Vorschläge liegen bereits auf dem Tisch und müssen schnellstmöglich umgesetzt werden. Im Bundesrat haben wir noch die Anerkennung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer zu klären. Hier ist mir das Verhalten der Grünen völlig unverständlich. Es ist nachweisbar, dass eine solche Einstufung ein wichtiges Signal an die Menschen dort ist. Außerdem müssen wir eine konsequente Abschiebung umsetzen. Die Erbschaftsteuerreform steht noch an. Ebenso das Entgeltgleichheitsgesetz. Wir wollen gleiche Bezahlung von Männern und Frauen, aber ohne den bürokratischen Aufwand, den Familienministerin Manuela Schwesig in ihrem Vorschlag vorgesehen hat.
Die Unions-Innenminister haben einen umfangreichen Katalog vorgelegt mit Maßnahmen, um die innere Sicherheit zu stärken. Wird hier nicht gerade etwas über das Ziel hinausgeschossen?
Die Diskussion beginnt ja erst. Dass die Situation es erfordert, über zusätzliche Maßnahmen nachzudenken, ist unbestritten. Eine bessere Ausstattung der Polizei mit Personal und Ausrüstung muss einfach sein. Sinnvoll ist sicher auch eine bessere Nutzung der vorhandenen Möglichkeiten, also der Zugriff von Geheimdiensten auf die Vorratsdatenspeicherung oder mehr Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen. Ich finde es auch wichtig, dass Polizei und Bundeswehr gemeinsame Anti-Terrorübungen durchführen.
Sorgt ein Burka-Verbot für mehr Sicherheit?
Die Verschleierung des Gesichts passt nicht in unsere freiheitliche Rechtsordnung. Man muss sicher sehen, ob ein Verbot rechtlich möglich ist. Aber mit unserer freien Gesellschaft, der Gleichberechtigung von Mann und Frau, ist die Burka nur schwer zu vereinbaren.
Die Bundespolizei klagt über erheblichen Personalmangel bei immer mehr Aufgaben und mangelhafte Ausrüstung. Was ist zu tun?
Die Bundespolizei muss personell und materiell gut ausgestattet werden. Im Vergleich zu 2006 steigen die Ausgaben für die Bundespolizei 2017 um mehr als 50 Prozent. Zugleich sind vor allem in vielen SPD-regierten Ländern die Polizeistellen reduziert worden. Dass die SPD gerade uns den Rotstift bei der Inneren Sicherheit vorwirft ist fadenscheinig und entbehrt jeder Grundlage. Bayern geht hier hingegen mit gutem Beispiel voran.
Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat einen Maßnahmenkatalog zur inneren Sicherheit vorgelegt. Droht hier ein Konflikt mit den Länderkollegen?
Der Bundesinnenminister liegt mit seinen Maßnahmen richtig. Wir müssen Polizei und Justiz die geeigneten Mittel an die Hand geben. So fordert die CSU seit langem, die Sympathiewerbung für terroristische Vereinigungen wieder unter Strafe zu stellen. Rot-Grün hatte sie seinerzeit abgeschafft.
In den vergangenen Jahren hat die Politik in erster Linie reagiert: auf die Bankenkrise, auf die Flüchtlingskrise, auf die Situation im Nahen Osten, auf den Brexit, auf die Entwicklung in der Ukraine oder der Türkei. Müsste Politik nicht viel visionärer werden und sich Ziele setzen, unabhängig von den Erfordernissen der Tagespolitik?
Das wäre durchaus wünschenswert. Allerdings mussten in dieser Legislaturperiode und der davor Antworten auf Entwicklungen gegeben werden, die in diesem Ausmaß nicht vorhersehbar waren. Die Politik war durch die Veränderungen in vielen Teilen der Welt gezwungen, zu reagieren.
Warum haben Sie sich für das Ende Ihrer politischen Karriere entschieden?
Ich werde nächstes Jahr 67 und bin dann 30 Jahre Mitglied des Bundestags. Dies ist und war eine Zeit, in der ich viel gestalten konnte. Dafür bin ich sehr dankbar. Jetzt ist es für mich an der Zeit, Jüngeren Platz zu machen. Es gibt auch ein Leben außerhalb der Politik.
Und die Aussicht, womöglich erste Bundespräsidentin werden zu können, reizt Sie nicht?
Das ist reine Spekulation, an der ich mich nicht beteilige.
Das Interview im Straubinger Tagblatt finden Sie hier.
Druckversion