CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt erklärt im Interview mit der Augsburger Allgemeinen, mit welcher Strategie die CSU enttäuschte Wähler zurückholen will und welche Zukunft er der AfD wünscht.

Die Regierung steht, das Kabinett nimmt Gestalt an. Was hat die CSU als Teil der Großen Koalition vor in den kommenden dreieinhalb Jahren?

Erstmal gilt es festzuhalten, dass wir uns mit unserem Bayernplan im Koalitionsvertrag stark durchgesetzt haben und auch personell mit vier Ministern in Berlin bestens aufgestellt sind.

Moment: Es sind drei Bundesminister: Innenminister Seehofer, Verkehrsminister Scheuer und Entwicklungsminister Müller. Dorothee Bär ist Staatsministerin für Digitales, also eigentlich Staatssekretärin...

Das versuchen Sie mal zu erklären, dass eine Staatsministerin keine Ministerin sein soll. Inhaltlich werden wir die Themen Innovation und Wachstum, die Stärkung des sozialen Zusammenhalts und vor allem die dauerhafte Begrenzung der Zuwanderung sofort und mit aller Kraft angehen. Vor allem in der Migrationspolitik setzen wir auf sehr klare Botschaften.

Wie lauten diese Botschaften?

Wir werden viel stärker unterscheiden zwischen denen, die schutzbedürftig sind und ein Bleiberecht haben und denen, die ausreisepflichtig sind. Zur Durchsetzung der Ausreisepflicht werden wir mehr Kooperation von den Herkunftsländern einfordern. Dabei wird es auch zu einer engen Zusammenarbeit zwischen dem Innenministerium und dem Entwicklungsministerium kommen. Wir haben einen deutlichen Aufwuchs bei den Mitteln für die Entwicklungshilfe. Länder, die davon profitieren wollen, müssen dafür Kooperationswilligkeit zeigen. Die dauerhafte Begrenzung der Zuwanderung ist eines unserer Hauptanliegen.

Im Koalitionsvertrag ist nicht von einer Obergrenze die Rede, sondern davon, dass die Zuwanderungszahlen eine Spanne von 180 000 bis 220 000 Flüchtlingen nicht überschreiten werden. Was geschieht, wenn mehr Flüchtlinge kommen?

Der Koalitionsvertrag ist eindeutig, da haben wir uns durchgesetzt. Die Obergrenze gilt. Um die Integrationsfähigkeit unseres Landes nicht zu überfordern, brauchen wir eine wirkungsvolle und dauerhafte Begrenzung der Zuwanderung.

Auch beim Familiennachzug für subsidiär geschützte Flüchtlinge gibt es unterschiedliche Auffassungen von CSU und SPD, die etwa auf großzügige Anwendung von Härtefallregeln drängt.

Beim Familiennachzug gilt ebenfalls der Koalitionsvertrag, da wird es keine Nachverhandlungen geben. Wir haben den Familiennachzug für subsidiär geschützte Flüchtlinge nicht nur ausgesetzt, sondern wir schaffen den Rechtsanspruch darauf ab. Unter die sog. Härtefallregelungen fielen im vergangenen Jahr weniger als 100 Personen, ich sehe keinen Grund, warum sich das ändern sollte. Die Härtefallregelungen werden auf keinen Fall aufgeweicht.

Welche Lehren für die Zuwanderungspolitik ergeben sich aus dem Fall der Essener Tafel, die für Ausländer keine Berechtigungsscheine mehr ausstellt?

Essen ist ein Beispiel dafür, dass die Integrationsfähigkeit eines Landes eine Grenze hat. Außerdem ist die Essener Tafel ein deutliches Signal für die Spaltung zwischen dem veröffentlichten Meinungsmainstream und der von einer Mehrheit empfundenen Realität. Ich habe mit Jörg Sartor gesprochen, dem Vorsitzenden der Essener Tafel, die mit 120 Ehrenamtlichen 16 000 Menschen pro Woche mit Lebensmitteln versorgt. Er hat mir berichtet, wie es zur Verdrängung von angestammt Berechtigten durch respektloses Verhalten von anderen gekommen ist. Und wie er die notwendige Ordnung wiederhergestellt hat, indem die Tafel vorläufig keine neuen Berechtigungsscheine für Migranten ausstellt. Ich empfinde es als unglaublich, dass den ehrenamtlichen Helfern rechtsradikale Tendenzen unterstellt werden, obwohl ein einfaches Gespräch gezeigt hätte, dass vor Ort in Essen dringender Handlungsbedarf besteht. Mir geht es darum, die Essener Tafel zu unterstützen, anstatt die Ehrenamtlichen in Misskredit zu bringen. Der Tweet von SPD-Mann Lauterbach: „Schade, Ausländerhass sogar bei den Ärmsten angekommen“ zeigt, wie unreflektiert hier die Vorwurfskeule geschwungen wird.

Kritik am Pass als Kriterium für die Essensvergabe übte auch Angela Merkel...

Die Bundeskanzlerin hat mit dem Essener Oberbürgermeister telefoniert und sicher eine realistische Einschätzung der Lage bekommen. Aus meiner Sicht hat Herr Sartor in seiner Situation eine zwingend notwendige Entscheidung getroffen, um Ordnung wiederherzustellen. Und dabei geht es richtigerweise auch um die Frage, wer ist angestammt Berechtigter und wer kommt neu hinzu. Im Nachhinein Ratschläge zu geben, wie man es doch vermeintlich „politisch korrekter“ hätte fassen können, halte ich für überflüssig. Ich unterstütze die Entscheidung von Herrn Sartor.

Franz-Josef Strauß sagte einmal: „Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben.“ Jetzt sitzt die AfD im Bundestag und könnte im Herbst auch in den bayerischen Landtag einziehen. Wie ist Ihre Strategie gegen die AfD.

In den vergangenen Jahren wurde der AfD zu viel Raum im politischen Spektrum eingeräumt, sowohl von der Union als auch von der SPD. Das will ich ändern. Mein erklärtes Ziel ist es, dass sich die AfD wieder aus dem Bundestag verabschieden muss. Das gelingt, wenn die Unionsparteien ihr ganzes Wählerspektrum von der Mitte bis zur demokratischen Rechten im Auge behalten. Die CSU ist eine Mitte-Rechts-Partei. Neben den christlich-sozialen und den liberalen Wurzeln muss die Union insgesamt auch die konservativen Wurzeln wieder stärker betonen.

Muss die Union aus Ihrer Sicht nach rechts rücken? In der CDU warnten etwa Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer oder der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet davor.

Es gibt keinen Rechtsruck. Es geht darum, den Bürgern mit konservativen Wertvorstellungen wieder eine politische Heimat zu geben. Das zählt zu den Lehren aus der Bundestagswahl vom 24. September. Einige Wählergruppen haben sich aus der politischen Debatte mit ihren Meinungen ausgeschlossen gefühlt und das führt dann zu Protest.

Wie wollen Sie die Konservativen zurückgewinnen?

In Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung wünschen sich die Menschen, dass konservative Werte wie Heimat, Sicherheit, Freiheit und kulturelle Identität eine deutlich größere Rolle spielen. Die Menschen wollen keine linken Volkserzieher, aber auch keine Nationalisten, die sie abschotten.

Aber was wollen sie dann?

Sicherheit, Freiheit und die Wahrung ihrer Identität.

Ist die große Schwester CDU Ihrer Meinung nach zu weit nach links gerückt?

Das ist mir zu einfach. Es gibt vielmehr eine Diskrepanz zwischen den öffentlichen Debatten und dem Empfinden vieler Bürger. Die Menschen leben und denken und wählen mehrheitlich bürgerlich und trotzdem dominiert die Debatten ein linker Meinungsmainstream. Ich will wieder mehr Deckungsgleichheit zwischen dem, was die Mehrheit lebt und dem, was mehrheitlich diskutiert wird.

Wie sieht die CSU ihre Rolle im Bundestag?

Wir treten klar als bürgerlich-konservative Partei auf, die das ganze Mitte-Rechts-Spektrum anspricht. Nicht falsch verstandene politische Korrektheit ist unser Maßstab, sondern Verständlichkeit und Klarheit.

Welche Rolle spielen die Bayerischen Landtagswahlen im Herbst für Ihren Kurs in der Hauptstadt?

Wir kämpfen um größtmöglichen Zuspruch bei der Landtagswahl. Dazu leisten wir volle Unterstützung.

Ist da Streit mit dem GroKo-Partner SPD vorprogrammiert?

Nein. In den Koalitionsgesprächen mit der SPD haben wir unsere Interessen hart, aber nicht kompromisslos vertreten. Darum bin ich überzeugt, dass der Koalitionsvertrag eine gute Basis für die Zusammenarbeit in den kommenden Jahren ist.

Als Landesgruppenchef der CSU im Bundestag werden Sie eng mit SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles zu tun haben. Wie ist Ihr Verhältnis?

Wir kennen uns schon lange, waren zeitgleich Generalsekretäre unserer Parteien und Bundesminister. Wenn man wie wir sehr harte Auseinandersetzungen führen muss, kann man sich am Ende entweder nicht riechen, oder man entwickelt hohen Respekt füreinander. Bei uns ist letzteres der Fall.

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat den Weg für Diesel-Fahrverbote freigemacht. Haben Sie sich als Bundesverkehrsminister zu viel um die Ausländermaut und zu wenig um die Luftreinhaltung gekümmert?

Das Urteil hat meine Position als Verkehrsminister voll bestätigt, nämlich dass die Städte bereits heute Maßnahmen ergreifen können. Dazu braucht es keine blaue Plakette. Ich habe die blaue Plakette immer abgelehnt, weil sie nichts anderes als ein flächendeckendes Fahrverbot bedeutet. Daran hat sich nichts geändert. Solche Zwangsmaßnahmen lehne ich ab. Das Gericht hat auch darauf hingewiesen, dass Maßnahmen verhältnismäßig sein müssen. D. h. als erstes diejenigen Fahrzeuge, die sich ständig in der Stadt bewegen, auf emissionsarme Antriebe umzustellen. Z. B. ÖPNV-Busse, Taxen, städtische Flotten und Lieferverkehre können umgerüstet werden. Es ist doch viel wirkungsvoller diejenigen Fahrzeuge, die täglich in der Stadt sind, emissionsarm zu machen, als einen Autofahrer vom Land, der einmal im Monat in die Stadt fährt, auszusperren. Ich bleibe dabei, dass ich generelle Fahrverbote und blaue Plaketten ablehne. Fakt ist: Erfolge bei der Luftreinhaltung brauchen keine Verbote. Allein im letzten Jahr hat sich die Anzahl der grenzwertüberschreitenden Städte um über 20 reduziert. Der NOx Gehalt in der Luft hat sich seit 1990 um 70 Prozent reduziert und geht täglich weiter zurück. Das zu erwähnen vergessen die Gegner der individuellen Mobilität allzu gerne.

Ist die Afd aus Ihrer Sicht ein Fall für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz?

Mein Gefühl sagt mir, dass wir Gründe erleben werden in den nächsten Wochen oder Monaten, die eine Rechtfertigung der Beobachtung von Personen aus der AfD möglich machen werden. Wir haben es in Teilen der AfD-Führung mit Leuten zu tun, die Äußerungen am Rande der Legalität und mit brutaler Geschmacklosigkeit formulieren.

Was halten Sie von der Forderung, den Text der Nationalhymne geschlechtsneutral zu machen?

Totaler Quatsch.

Interview Alexander Dobrindt in der Augsburger Allgemeinen

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