Redeauszug der Bundestagsabgeordneten Susanne Hierl in der Bundestagsdebatte zum Schutz Minderjähriger bei Auslandsehen, 7.6.2024

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 

Es leben schätzungsweise 640 Millionen Mädchen und Frauen auf der Welt, die vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet wurden. Für die Mädchen bedeutet dies meist, dass ihnen Bildung, Schutz und das einfache Kindsein genommen werden. Oft erleben sie in ihrer Ehe physische, psychische und sexualisierte Gewalt.
Herr Thomae hat ausführlich die Historie der Gesetzentwürfe und die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts dazu hier schon vorgetragen, sodass ich mir jetzt weitere Ausführungen dazu spare. Ihre Ausführungen haben sich für mich so angehört, als ob Sie Sorge hätten, dass Sie wohl zum Gesetzentwurf nicht so viel sagen können, dass Sie Ihre fünf Minuten Redezeit hätten füllen können.

Das Verfassungsgericht hat uns also aufgegeben, bis zum 30. Juni 2024 eine Ergänzung des Gesetzes vorzunehmen, um verfassungskonform zu bleiben; denn ohne Neuregelungen sind die Kinderehen zulässig und wirksam. Wir sind uns mit Ihnen, Kollegen der Ampel, einig, dass die Kinderehen abzulehnen sind. Frau Helling-Plahr hat im März in der ersten Debatte zu unserem Antrag versprochen, dass Sie als Ampelkoalition – anders als die Union das getan hat – einen verfassungsgemäßen Entwurf vorlegen werden. Professor Dutta hat uns in der Anhörung prophezeit, dass auch dieses Gesetz vor dem Verfassungsgericht landen wird. Daher würde ich mir der Verfassungsgemäßheit noch nicht ganz so sicher sein.

Obwohl Sie eineinhalb Jahre Zeit hatten, legen Sie erst kurz vor Fristablauf einen Gesetzentwurf vor, der nur als Minimalkonsens bezeichnet werden kann. Ich werde Ihnen das auch erläutern. Herr Thomae, es ist, anders als Sie gesagt haben, keine gute Lösung. Und Sie legen diesen Minimalkonsens vor, obwohl in der Anhörung viele Punkte benannt wurden, die noch zu regeln wären. Auch Ihre Redner haben in den vergangenen Debatten genau diese Punkte herausgestellt, und sie haben auch bemängelt, dass sich wichtige Themen nicht im Gesetzentwurf wiederfinden, wie zum Beispiel die Beratung des ehemals minderjährigen Ehegatten vor der Wiederheirat, Regelungen zur Abstammung auch von Kindern, die schon vor der Einreise nach Deutschland geboren wurden; diese verlieren nämlich mit der Unwirksamkeit der Ehe ihren rechtlichen Vater und alle weiteren Ansprüche. Und: Es fehlen Regelungen zum Erbrecht. Nichts davon hat trotz Ihrer Beteuerungen in der ersten Lesung Eingang in den Änderungsantrag gefunden.

Ich möchte aus dieser Mängelliste zwei Punkte heraus-greifen, die wir anders regeln würden. Das ist zum einen die Beratungspflicht für die meist jungen Frauen bei Wiederheirat. Sie selbst haben gerade eingeräumt, Frühehen führten dazu, dass Mädchen keine Bildung erhalten und unter Druck und Zwang stehen. Aber wo ist denn Ihre Unterstützung für die jungen Frauen vor der erneuten Heirat, damit diese eine informierte und selbstbestimmte Entscheidung treffen können?
Durch die Beratung und Information über die Möglichkeiten der Frauen in Bezug auf diese Wiederheirat kann eine autonome Entscheidung getroffen werden. Wir als Union wollen die Betroffenen hier unterstützen.

Zum anderen geht es um die Regelung zum Verzicht auf die Vorlage eines Ehefähigkeitszeugnisses. Sofern die beiden Ehegatten der Frühehe wieder heiraten wollen, kann laut Gesetzentwurf auf die Vorlage dieser Urkunde verzichtet werden. Sollte einer der beiden Ehegatten aber einen anderen Ehepartner heiraten wollen, gilt diese Regelung nicht. Wir fordern in den Fällen der Frühehe einen generellen Verzicht auf die Vorlage des Ehefähigkeitszeugnisses.

Sie weisen in der Gesetzesbegründung darauf hin, dass es bereits heute eine Regelung gibt, nach welcher auf die Vorlage des Ehefähigkeitszeugnisses verzichtet werden kann. Dazu muss man aber wissen, sehr geehrte Damen und Herren, dass eine solche Befreiung von der Vorlage der Präsident des zuständigen Oberlandesgerichts erteilen muss. Jetzt stellen wir uns mal eine junge Frau vor, die sich aus ihrer vorherigen Ehe lösen will und wahrscheinlich nicht sehr selbstsicher ist und unter Druck steht. Die verweisen Sie auf diese Möglichkeit? Das ist zynisch!

Sie machen nichts anderes, als damit die vormalige Kinderehe zu zementieren. Der Gesetzentwurf lässt auch Fragen zur Abstammung und zum Erbrecht unbeantwortet.
Nachher wird wahrscheinlich wieder die Argumentation kommen: Es gibt Wertungswidersprüche zwischen „Es gibt eine unwirksame Ehe“ und „Wir haben zu vielen Dingen keine Regelungen getroffen, weil sich das eigentlich widerspricht“. Daher sei noch mal gesagt: Ja, diese Wertungswidersprüche sind hinzunehmen. Denn ich kann nicht auf der einen Seite sagen, etwas sei unwirksam, und auf der anderen Seite treffe ich eine entsprechende Regelung nicht. Auch das Verfassungsgericht hat das so klargestellt. Von daher sollte uns das nicht daran hindern, bei der Unwirksamkeit zu bleiben.

In all Ihren Reden, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel, haben Sie den Minderjährigenschutz und die dazu zu regelnden Themen herausgestellt, und dennoch fehlen all diese Punkte in Ihrem Gesetzentwurf. Die einzige Änderung ist die Aufnahme einer Regelung zur Evaluierung. Das ist auch richtig und gut so. Aber das Ganze wäre noch effizienter, wenn Sie die Regelungspunkte, die von Ihnen und uns mehrfach benannt wurden, in den Gesetzentwurf aufgenommen hätten. Sie finden diese Punkte zum Nachlesen in unseren beiden Anträgen. Vielleicht hilft das ja ein bisschen.

Lassen Sie mich zusammenfassen: Der Gesetzentwurf enthält noch viele Lücken. Aber wir als verantwortungsvolle Opposition wollen keinesfalls einen Rechtszustand, der Kinderehen wieder als wirksam ansieht. Darum stellen wir unsere Bedenken zurück und werden heute zustimmen. Alles andere wäre ein fatales Zeichen für den Kinder- und Jugendschutz.

Herzlichen Dank.
 

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