Redeauszug des Bundestagsabgeordneten Jonas Geissler in der Bundestagsdebatte zu 70 Jahre Volksaufstand am 17. Juni 1953 am 15.6.2023:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 

Als jemand, der unmittelbar an der innerdeutschen Grenze aufgewachsen ist, kenne ich den Eisernen Vorhang nur als Kind. Ich bin damit Teil einer letzten Generation, die sich zumindest noch an die DDR und die Teilung beider deutscher Staaten erinnern kann.

Dass es vor dem 3. Oktober bereits einen anderen Tag der deutschen Einheit gegeben hat, habe ich vermutlich selber nur aus Schulbüchern gelernt. Die meisten von uns können sich an den 17. Juni 1953 nicht erinnern. Mitglieder des Deutschen Bundestags, die vor 1953 geboren sind, gibt es zwölf.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
Sie müssen mich dabei nicht angucken.

Dr. Jonas Geissler (CDU/CSU):
Entschuldigung. Ich habe nur gesehen, dass Sie auch vor 1953 geboren sind. – Insgesamt gibt es vielleicht fünf Mitglieder dieses Hauses, die sich aktiv an den 17. Juni 1953 erinnern können.

Wenn wir heute über dieses Datum reden, sind wir im Jahr 33 nach der Wiedervereinigung. Umso wichtiger ist es, dass wir uns auch im 33. Jahr nach der Wiedervereinigung mit den Inhalten des 17. Juni beschäftigen, ihn richtig einordnen und ihn vor allen Dingen als das begreifen, was er ist: als Beginn einer Freiheitsbewegung in Mittel- und Osteuropa.

Es ist wichtig, dass wir mit dem 17. Juni 1953, so wie es viele in diesem Haus schon getan haben, auch den Ungarn-Aufstand von 1956 nennen, dass wir den Prager Frühling benennen, das jahrzehntelange Ringen der Polen um Freiheit. Und es ist wichtig, dass wir unsere eigene Erinnerungskultur anlässlich dieses Datums überprüfen, dass wir nachjustieren, dass wir uns die Frage stellen: Geben wir jungen Menschen, die mit Sicherheit noch nicht mal die Teilung erlebt haben, heute das Rüstzeug mit, das Ereignis vom 17. Juni und die deutsche Teilung richtig einordnen zu können?

Begreifen wir die DDR als das, was sie war: ein Unrechtsregime? Würdigen wir und wertschätzen wir angemessen die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft?

Und ziehen wir die richtigen Lehren aus unserer gesamtdeutschen Geschichte?

Am Ende sind wir es den Opfern des 17. Juni schuldig, dass wir sie in den Mittelpunkt stellen: morgen, heute und gestern.

Kein Unrechtsregime an den Grenzen Europas 

Wir sind es den Opfern aber auch schuldig, dass sich ein Unrechtsregime auch an den Grenzen Europas niemals wiederholt. Als Union können wir ganz offen sagen: Wir teilen natürlich die Forderungen, die im Antrag der Ampel formuliert worden sind; aber wir gehen einfach in dem einen oder anderen Punkt einen Schritt weiter.

Ich möchte in dem Zusammenhang auf ein für mich persönlich zentrales Thema eingehen. Es stellen sich die Fragen, ob es vielleicht Menschen gibt, die das Unrechtsregime DDR verklären, und ob wir im Schulunterricht die richtigen Lehren ziehen. Daneben stehen wir auch in der Verantwortung, dass wir die Institutionen, die sich seit mehr als 30 Jahren mit der Aufarbeitung der deutschen Teilung beschäftigen, ordentlich finanzieren und ausstatten.

17. Juni ein Tag der Hoffnung

Deswegen ist es unsere Bitte an Sie, liebe Koalition, dass Sie die geplante Streichung der Selbstbewirtschaftungsmittel beim Haus der Geschichte zurücknehmen. Es geht dabei auch um die Dauerausstellung in der Kulturbrauerei. Es geht dabei um das Zeitgeschichtliche Forum in Leipzig. Es ist gerade in diesen Zeiten wichtiger als jemals zuvor, dass wir diese Projekte weiterhin unterstützen.

Der 17. Juni war ein Tag der Hoffnungslosigkeit. Am Ende haben wir ihn als Tag der Hoffnung verstanden.

Das muss unser gemeinsamer Auftrag sein.

Vielen Dank.
 

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