Im Interview mit der Augsburger Allgemeinen fordert Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU im Bundestag, im Kampf gegen Corona einen Schulunterrichts-Stopp und klare Ansagen von Bund und Ländern.

Herr Dobrindt, Sie plädieren im Kampf gegen die Corona-Pandemie für schärfere Maßnahmen. Was schlagen Sie vor und vor allem: Wann soll der harte Lockdown Ihrer Meinung nach beginnen?
Die bisherigen Maßnahmen reichen nicht aus und das enttäuscht uns alle. Wir sind jetzt sogar wieder in einer stark steigenden Dynamik und deshalb sind harte Maßnahmen notwendig, um das Infektionsgeschehen vor Weihnachten deutlich zu reduzieren. Ansonsten besteht das Risiko, dass wir zu den Festtagen das Infektionsgeschehen aus der jüngeren in die ältere Generation eintragen und damit einen erheblichen Schaden in der Bevölkerung auslösen. Die Statistik ist da sehr eindeutig. Deswegen hilft jetzt nur noch ein harter Lockdown mit einer strengen Einschränkung von Kontakten. Dazu gehören auch Einschränkungen im Schulbetrieb, und zwar in ganz Deutschland. Wo es noch nicht geschehen ist, muss jetzt zügig auf Digital- und Distanzunterricht umgeschaltet werden und die Ferien müssen früher beginnen.

Und wann soll der harte Lockdown starten?
In den Schulen müssen wir sofort handeln und der harte Lockdown sollte noch vor Weihnachten beginnen.

Weihnachten wollen Sie aber aussparen. Da sollen es sich alle schön gemütlich machen. Das macht doch keinen Sinn? 
Doch. Wir müssen das Infektionsgeschehen nämlich vor Weihnachten eindämmen. Das erreichen wir auch mit dieser Art von Vorquarantäne für die Schüler. Weihnachten selber kann dann mit einem geringeren Risiko in der Familie stattfinden. Da können und werden alle sehr sorgsam und vorsichtig miteinander umgehen. Aber es muss auch klar sein, dass danach wieder ein harter Lockdown notwendig ist. Wir müssen verhindern, dass wir in eine Infektionsspirale geraten, die am Ende sehr viele Menschen das Leben kostet.

Was erwarten Sie sich vor diesem Hintergrund vom Treffen der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin am Sonntag?
Corona ist ein Stress- und Ausdauertest für alle. Gerade deswegen braucht es am Sonntag klare Entscheidungen der Politik. Es braucht aber auch die Akzeptanz der Bevölkerung, wir brauchen das Verständnis, dass harte, einschneidende Maßnahmen notwendig sind. Deswegen erwarte ich, dass am Sonntag die Entscheidungen zwischen Bund und den Ländern nachvollziehbar, erklärbar und so eindeutig sind, dass jeder weiß, auf was er sich in den nächsten Wochen einstellen muss.

Im Kampf gegen die Corona-Pandemie nimmt die Bundesregierung 180 Milliarden Euro neue Schulden auf. Eine irre Summe. Lebt dieses Land über seine Verhältnisse?
Insgesamt sind es in 2020 und 2021 ja sogar 400 Milliarden Euro neue Schulden. Das sind Zahlen, bei denen es einem zurecht schwindelig werden kann. Natürlich leben wir damit zeitweise über unsere Verhältnisse. Wir leben aber begründet über unsere Verhältnisse und wir müssen genauso begründet wieder zurück zu soliden Haushalten und dem Einhalten der Schuldenbremse. Ab 2022 muss die Schuldenbremse wieder eingehalten werden. Ansonsten gefährden wir die Finanzstabilität unseres Landes. 
Andere im Parlament fordern hingegen noch höhere Ausgaben, stellen gar die Schuldenbremse in Frage. Kredite sind gerade billig zu haben, warum also nicht noch mehr Geld aufnehmen und investieren?
Dobrindt: Wir stehen gerade vor einer finanzpolitischen Richtungsentscheidung. Einige hoffen darauf, dass die Dämme jetzt gebrochen sind und jährlich neue Schulden in dreistelliger Milliardenhöhe zur Normalität werden. Genau das darf natürlich nicht passieren. Da reicht der Blick auf einige unserer Nachbarländer. Viele sind derzeit massiv von europäischer Hilfe abhängig und wären alleine nicht in der Lage, die Folgen der Pandemie zu bekämpfen. Der Bundesrepublik Deutschland darf das nicht passieren. Wer sollte uns in einem solchen Fall in Europa denn noch stützen können? Die soliden Haushalte in Deutschland sind eine der Stabilitätssäulen Europas.

Ein anderer Weg, um an Geld zu kommen, wäre die Einführung eines Corona-Soli. Die SPD findet die Idee gut. Und Sie?
Die SPD-Ministerpräsidenten haben eine Debatte begonnen, die ich für eine unverschämte Ansage gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern halte, die in den vergangenen Jahren durch hohe Steuerzahlungen und viel Engagement für Wachstum und Überschüsse gesorgt haben. Der Corona-Soli ist in den vergangenen Jahren von den Steuerzahlern doch schon längst bezahlt worden. Der arbeitenden Bevölkerung jetzt mit der Steuerkeule zu drohen, ist – diplomatisch formuliert – mindestens ein unsensibles Vorgehen der SPD.

Aber Sie plädieren für ein Wachstumsprogramm. Das kostet. Wer bezahlt es?
Wir haben aus der Vergangenheit gelernt, dass uns das Doppelspiel aus Wachstum und soliden Haushalten am Ende den Erfolg garantiert. Deswegen geht es jetzt darum, dass wir mit Investitionen in Innovationen wie Künstliche Intelligenz, Robotik und Infrastruktur schnell wieder Wachstum generieren. Daraus entstehen neue Arbeitsplätze und Steuereinnahmen. Dieses Erfolgsmodell aus der Nach-Finanzkrisen-Zeit müssen wir jetzt auch umsetzen. Die finanziellen Grundlagen dafür haben wir im aktuellen Haushalt gelegt – mit einer guten Mischung von Investitionen und Entlastungen.

Oder wir wählen den ganz schlauen Weg: Erst Schulden machen und dann einen Schuldenerlass fordern. So, wie es derzeit einige europäische Regierungen tun. Gehen Sie damit?
Die italienische Regierung hat den Vorschlag in die Debatte eingebracht, die bei der EZB liegenden Staatsanleihen durch den Reißwolf zu schieben. Das gefährdet massiv die Akzeptanz und die Finanzstabilität des Euro. Das geht nicht! Es muss vielmehr klar bleiben, dass Schulden natürlich zurückgezahlt werden müssen und nicht im Papierkorb landen. Das würde völlig falsche Anreize setzen. Im Übrigen: Es ist doch bei den aktuell niedrigen Zinsen geradezu widersinnig, überhaupt solche Debatten zu führen.

Bleiben wir kurz bei Europa. Die EU hat eine schwere Belastungsprobe gerade so gemeistert und die Haushaltsblockade durch Ungarn und Polen mit einem Kompromiss verhindert. Was halten Sie von den Vorgängen in Brüssel?
Es ist gut, dass der Konflikt gelöst worden ist. Klar ist aber: Das war kein Ruhmesblatt für Europa und hat weniger mit Zusammenhalt als mit Auseinandertreiben zu tun. So dürfen europäische Partner nicht miteinander umgehen. Für mein Gefühl sind hier aktuell viel zu viele Vorwürfe im Spiel und viel zu wenig gegenseitiges Verständnis. Die ständigen Ermahnungen aus Brüssel helfen nicht weiter. Wir brauchen wieder ein stärkeres miteinander in Europa und weniger den erhobenen Zeigefinger. Europa muss wieder lernen, Vereinbarungen zu treffen, bei denen alle 27 Mitglieder im Boot sind. Außerdem halte ich die Verknüpfung von Finanz- und Rechtsstaatsfragen für falsch. Rechtsstaatsprinzipien müssen unabhängig von Finanzfragen in Europa gelten – und zwar für alle. Das ist der Kern Europas.

Zurück zu Corona. Wenn ein harter Lockdown nach Weihnachten kommt, werden weitere Wirtschaftsbereiche Nothilfen beanspruchen. Der Einzelhandel zum Beispiel. Bekommen wir das finanziell gestemmt oder müssen wir das Geld zielgenauer verteilen?
Die November- und Dezemberhilfen können nicht beliebig weitergeführt werden. Wir brauchen andere Mechanismen. Die Überbrückungshilfe III, sie beginnt im Januar und orientiert sich ja grundsätzlich an den tatsächlichen Kosten, muss der Maßstab für weitere Unterstützungen sein. Klar ist aber auch, dass wir wirtschaftliche Härten ausgleichen müssen, wenn der harte Lockdown kommt! Sie müssen allerdings angepasst, zielgenau und natürlich finanziell leistbar sein. Wir werden nicht ausfallende Umsätze dauerhaft finanzieren können. 
 

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