In einem aktuellen Interview mit der Funke Mediengruppe analysiert Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU im Bundestag, die Lage der Koalition, erteilt dem von der SPD gefordertem Spurwechsel eine Absage und schließt eine Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch aus.

Herr Dobrindt, wann entschuldigt sich die CSU bei den Bürgern? 

Dobrindt: Wer sich die Fakten anschaut und nicht nur die Schlagzeile, kann auf eine solche Idee nicht kommen: Diese Bundesregierung hat eine hohe Dynamik in der Sacharbeit. Die Koalition hat kluge Entscheidungen getroffen, um Wachstum, Arbeit und Wohlstand in unserem Land zu verlängern - Rekordinvestitionen, Entlastungen für Arbeitnehmer und Familien, Wohnpaket, Baukindergeld, Mütterrente II. Das müssen wir herausstellen, denn dass ist das, was den Alltag der Menschen konkret verbessert.

Erst der Streit um Seehofers „Masterplan“, dann der Fall Maaßen. Die CSU hat einen erheblichen Anteil am Regierungschaos der vergangenen Monate…

Einspruch! Wenn es nach uns gegangen wäre, wäre Herr Maaßen heute noch an seinem Platz. Wir haben Herrn Maaßen nie kritisiert. Die ganze Diskussion war unnötig. Die SPD hat eine Empörungswelle erzeugt, um ihre innerparteiliche Zerrissenheit zu kaschieren. Der Kampf gegen Rechtsaußen ist die einzige Klammer, die diese Partei derzeit noch zusammenhält. Die SPD hat Herrn Maaßen unfairerweise zum Symbol dieses Kampfes gemacht. Ich halte es für mehr als bedenklich, aus Parteitaktik einen Menschen öffentlich in dieser Form zu diskreditieren. Die SPD hat aus einem inneren Problem ein Problem der Koalition gemacht. Dieses Verhalten sagt viel über den aktuellen Zustand der SPD.

Kanzlerin Merkel hat ihr Bedauern ausgedrückt, dass sich die Regierungsparteien zu sehr mit sich selbst beschäftigt haben. Gilt das für die CSU nicht ganz besonders?  

Streit und Debatten sind in der Politik Normalität. Das ist der Wesenskern der Demokratie, die nach einem Interessensausgleich sucht. Politik ohne Streit ist Theorie-Wunschdenken. Wo es keine Auseinandersetzung über den richtigen Weg gibt, finden sich wesentliche Teile der Bevölkerung nicht mehr in der Debatte vertreten. Das führt am Schluss zum Protest. Ich bin für eine offene Streitkultur - ohne persönliche Herabsetzungen, aber hart in der Sache.

Die Lösungen, die CDU, CSU und SPD nach ihren Auseinandersetzungen gefunden haben, sind wenig überzeugend – nicht nur im Fall Maaßen, sondern auch bei der Zuwanderung. Die Rücknahme-Abkommen, die Seehofer mit anderen EU-Staaten aushandelt, betreffen kaum Flüchtlinge… 

Derzeit sind wenige Flüchtlinge betroffen, weil die Flüchtlingszahl insgesamt reduziert ist. Uns geht es aber darum, grundsätzlich Regelungen zu treffen, damit sich das Jahr 2015 nicht wiederholt. Genau dazu dienen die Vereinbarungen, die der Bundesinnenminister Horst Seehofer derzeit mit Hochdruck verhandelt. Damit erreichen wir ein neues Grenzregime, mit dem wir Asylbewerber, die bereits in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt haben, über Transitzentren innerhalb von 48 Stunden zurückweisen können. Das ist ein Paradigmenwechsel. 

Die SPD dringt auf eine Lockerung der Zuwanderungsregeln: Abgelehnte Asylbewerber sollen die Möglichkeit bekommen, als Arbeitsmigranten zu bleiben. Steht die Regierung vor der nächsten Zerreißprobe?

Wir werden bei dem Fachkräftezuwanderungsgesetz sehr genau darauf achten, dass es keine Vermischung von Asylrecht und Arbeitsmigration gibt. Wer fordert, dass abgelehnte Asylbewerber ohne Bleiberecht in den deutschen Arbeitsmarkt eintreten dürfen, will nichts anderes, als das geltende Rechtssystem aushebeln. Das wäre ein fatales Signal in die ganze Welt nach dem Motto: Es ist vollkommen egal, ob jemand anerkannter Asylbewerber ist oder ob er abgelehnt wurde - er kann in jedem Fall bleiben. Das würde weitere Anreize schaffen.

Ist das Ihr letztes Wort? 

Wenn wir die gesellschaftliche Akzeptanz, Hilfsbedürftige aufzunehmen, erhalten wollen, müssen wir auch bereit sein, diejenigen ohne Hilfsanspruch zurückzuführen. Das Asylrecht darf nicht missbraucht werden zur Einwanderung in unsere Sozialsysteme und auch nicht zur Arbeitseinwanderung. 

Dann darf sich die Wählerschaft auf den nächsten Großkonflikt in der Koalition einstellen. Wie groß ist Ihre Zuversicht, dass die Regierungskoalition bis zum Ende der Wahlperiode 2021 hält?

Ich bin der festen Überzeugung, dass Union und SPD diese Wahlperiode gemeinsam zu Ende bringen – auch wenn es anspruchsvoll wird. Die SPD wollte diese Regierung nicht, und die GroKo-Gegner sind bei den Sozialdemokraten eine wachsende Gruppe. Ich habe aber die SPD in den vergangenen Jahrzehnten immer als staatstragende Partei erlebt. Die SPD trägt gerade in dieser Phase mit einem erheblichen Maß an Destabilisierung des gesamten Parteiensystems eine hohe Verantwortung dafür, dem Affen nicht weiter Zucker zu geben. 

Die Macht der Kanzlerin erodiert, das zeigt die Abwahl ihres Weggefährten Volker Kauder... 

Es geht hier nicht um Machtverlust, sondern um das Selbstbewusstsein des Parlaments. Eine Fraktion, die aus 246 selbstbewussten Abgeordneten besteht, hat sich zwischen zwei Kandidaten entschieden. Wettbewerb ist der Normalfall in der Demokratie. Es geht um ein selbstbewusstes Auftreten gegenüber der Bundesregierung und eine Stärkung des Profils. 

Mehr Selbstbewusstsein gegenüber der Regierung - das klingt, als wolle die Union mehr SPD wagen...

Wagen hat etwas mit Mut zu tun. Einen Zusammenhang zwischen SPD und Mut kann ich gerade nicht erkennen. Die SPD zeichnet sich aktuell eher durch Verzagtheit aus. 

Ist die Kanzlerin gut beraten, auf eine Vertrauensfrage im Bundestag zu verzichten? 

Die Fraktion aus CDU und CSU hat einen neuen Vorsitzenden gewählt - nicht mehr und nicht weniger. Ralph Brinkhaus hat selber gesagt, dass er ein großes Interesse hat, die Bundesregierung zu unterstützen.

Sind Sie davon überzeugt, dass Angela Merkel nach dem Hamburger CDU-Parteitag im Dezember noch Parteivorsitzende ist?

Das entscheidet Angela Merkel selbst. Aber meines Erachtens „Ja“. Angela Merkel kann besser mit veränderten Situationen umgehen als viele andere. Der Wechsel an der Fraktionsspitze kann auch für Angela Merkel eine positive Neuerung in der Zusammenarbeit mit der Fraktion sein. 

Wie sehr belastet das zerrüttete Verhältnis zwischen Merkel und Seehofer die Regierungskoalition?

In das Verhältnis der beiden wird viel zu viel hineininterpretiert. Beide gehen professionell damit um, dass sie unterschiedliche Meinungen haben können. Beide eint aber der Wille, dass CDU und CSU gemeinsam erfolgreich regieren. Ihr gemeinsames Interesse ist, den Charakter der Union als Volkspartei zu erhalten - und eine Zersplitterung der Parteienlandschaft zu verhindern. 

Wer wird CSU-Chef, wenn Ihre Partei bei der Bayern-Wahl in zwei Wochen abstürzt, wie es alle Umfragen vorhersagen? 

Wir stecken mitten in der Aufholjagd. Die CSU hat immer Schlussspurtqualitäten gezeigt. Bei der Bayern-Wahl ist im positiven Sinn noch alles drin. Wir haben viel Zustimmung. Jetzt geht es um die Mobilisierung. Dazu gehört auch, den Menschen sehr deutlich zu machen: Stabilität kann nicht so leicht organisiert werden, wenn man sich in einer Koalition befindet. Die CSU und der Freistaat Bayern haben eine beispiellose Erfolgsgeschichte geschrieben. Diese Einzigartigkeit Bayerns weiter fortzuschreiben hängt maßgeblich an der Stärke der CSU. Daran werden wir die Menschen in den zwei Wochen vor der Wahl aktiv erinnern.

Einige sehen Schwarz-Grün in Bayern kommen - ein Hirngespinst?

Ich habe Koalitionen mit den Grünen noch nie für erstrebenswert gehalten. Und meine Meinung hat sich nicht geändert. 

In den Umfragen ist die CSU auf 34 Prozent gesunken - mehr als 13 Punkte weniger als bei der letzten Bayern-Wahl. Übernehmen Sie dafür auch persönlich Verantwortung?

Wie kommen Sie jetzt darauf?

Sie gelten als Kopf der Strategie, in der Zuwanderungsfrage die totale Konfrontation mit der CDU zu suchen - auch mit Formulierungen, wie sie sonst nur die AfD verwendet.

Das ist abwegig und der Vorwurf einfach falsch.  

Sie haben von Asyl-Tourismus gesprochen und von Anti-Abschiebe-Industrie.

Asyl-Tourismus ist ein Begriff, den die Europäische Union im Jahr 2008 offiziell eingeführt hat. Anti-Abschiebe-Industrie ist lediglich eine Realitätsbeschreibung.

Realität ist: Sie wollten die AfD schwächen und haben sie gestärkt.

Auch diese Analyse ist falsch. Die CSU hat die Strategie, das ganze Spektrum von der Mitte bis zur demokratischen Rechten abzudecken. Die AfD ist nicht in Bayern besonders stark, sondern da, wo man ihr mehr Raum lässt. Etwa dort, wo man versucht, die AfD durch Ignorieren zu bekämpfen - eine Partei, die sich erkennbar immer mehr nach Rechtsaußen bewegt und die Grenzen zum Rechtsextremismus einreißt.  Wir dürfen den Raum im demokratisch rechten Spektrum nicht der AfD überlassen.

Wann wird die AfD vom Verfassungsschutz beobachtet? 

Bei der Linkspartei wurden einzelne Funktionäre vom Verfassungsschutz beobachtet. Das halte ich auch bei der AfD für notwendig. Tendenzen der Radikalisierung sind unübersehbar. AfD-Politiker marschieren Seit an Seit mit Hooligans und Rechtsextremisten. Da ist jede Scham gefallen. 

Der neue Fraktionschef der sächsischen CDU, Christian Hartmann, schließt eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht mehr aus. Nur eine Einzelstimme in der Union?

Die AfD ist unser erklärter politischer Gegner. Wir haben im Bundestag eine Zusammenarbeit mit der AfD per Fraktionsbeschluss ausgeschlossen. Wer zu einem anderen Ergebnis kommt, hat nicht alle Latten am Zaun. 

Welche Mehrheiten kann die Union im Osten überhaupt noch bilden?

Wir sollten uns um maximale Zustimmung bemühen und nicht von Bündnissen mit Parteien außerhalb des demokratischen Spektrums schwadronieren. Wir müssen bereit sein zum Kampf gegen die politischen Ränder und nicht zur Kooperation. Das gilt für den rechten wie für den linken Rand. Wer den Eindruck erweckt, er könne mit jedem zusammenarbeiten und alles lasse sich pragmatisch lösen, kann in der Politik kein Vertrauen gewinnen. Deswegen war auch die Diskussion über eine mögliche Zusammenarbeit von CDU und Linkspartei in höchstem Maße schädlich. Es gehört zum Gencode der Unionsparteien, dass die Kommunisten der politische Gegner und nicht der Koalitionspartner sind.
 

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