Im aktuellen Interview mit der PNP spricht Alexander Dobrindt über die vollständige Hinwendung der AfD zum Rechtsextremismus.
Eklat im Bundestag – von der AfD eingeschleuste Störer haben am Mittwoch Abgeordnete und Minister bedrängt. Welche Konsequenzen müssen aus diesen Übergriffen gezogen werden?
Das war offensichtlich eine konzertierte Aktion und kein Zufall. AfD-Abgeordnete haben bewusst Störer ins Reichstagsgebäude eingeladen und sie dort unbeaufsichtigt agieren lassen, damit sie Mitglieder des Bundestags bedrängen können. Die Fraktion der AfD hat das wahrscheinlich geduldet, wenn nicht sogar unterstützt. Die gesamte Aktion hat gezeigt, dass es eine enge Vernetzung gibt zwischen den Demonstranten auf der Straße, den AfD-Abgeordneten im Plenarsaal und den Störern im Reichstag. Das ist eine neue Qualität der Auseinandersetzung im Deutschen Bundestag, mit dem Ziel der Zersetzung des demokratischen Betriebes von innen heraus. Hier wollten Krawallmacher von der AfD zeigen, zu welchen Maßnahmen sie bereit sind. So ein Verhalten muss mit allen zur Verfügung stehenden ordnungsrechtlichen und strafrechtlichen Sanktionen beantwortet werden.
Das heißt konkret?
Der Bundestagpräsident ist aufgefordert, alle Möglichkeiten zu prüfen – von einem Betretungsverbot des Reichstags für die Störer, bis hin zu empfindlichen Geldstrafen für die beteiligten Abgeordneten. Womöglich wird sich der Bundestag eine neue Geschäftsordnung geben müssen, um solche Angriffe in Zukunft zu verhindern. Möglicherweise war das nur der Auftakt von dem, was wir im Bundestagswahlkampf an Aktionen erwarten müssen. Die AfD will die aggressive Auseinandersetzung anscheinend gerne von der Straße ins Parlament holen.
Erleben wir eine Radikalisierung der AfD? Ist sie eine rechtsextreme Partei?
Die AfD zeigt, dass sie wieder einen weiteren Schritt in Richtung Rechtsextremismus gegangen ist. Die radikalen Elemente in dieser Partei setzen sich immer stärker durch. Auch die Spitzen der Partei und Fraktion unterstützen diesen radikalen Weg. Der zeigt sich jetzt nicht mehr nur in Worten, sondern auch in Taten, wie wir es am Mittwoch erlebt haben. Die Biedermänner in der AfD haben den Brandstiftern längst das Feld überlassen. Der Missbrauch auch der Geschichte, die Verächtlichmachung des Parlaments und der politischen Institutionen, die Geschichtsfälschung und -vergessenheit und der Vergleich mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 – all das zeigt, dass die AfD mit der Fackel durchs Heu gehen will, um Emotionen zu entzünden und Aggressionen zu schüren. Damit ist die AfD auf dem direkten Weg, zur neuen NPD zu werden.
In Zeiten der Corona-Pandemie scheint sich die Spaltung der Gesellschaft noch zu vertiefen…
Wir haben bei der Demonstration am Mittwoch eine aufgeheizte Stimmung erlebt. Dort kamen viele Menschen zusammen, deren Bedenken von den Rädelsführern mit falschen Argumenten politisch missbraucht werden. Die Organisatoren versuchen, mit Lügen ein Schreckensbild vom Ende der Demokratie und dem Einstieg in eine Diktatur zu zeichnen. Die vermeintliche Corona-Kritik wird dabei gezielt als Einstiegsdroge genutzt für krude Verschwörungstheorien bis hin zur Verfassungsfeindlichkeit und einer generellen Ablehnung des Staates und unseres politischen Systems insgesamt.
Die Corona-Entwicklung bleibt auch in Deutschland besorgniserregend. An einem längeren Lockdown über den November hinaus führt wohl kein Weg vorbei, oder?
Alle beschlossenen Corona-Maßnahmen zur Kontaktvermeidung zeigen ihre Wirkung. Die Dynamik des Infektionsgeschehens ist gedrosselt worden. Aber wir sind noch weit entfernt von einer Inzidenz unter 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen. Daher ist heute schon klar: Wenn die Kanzlerin in der kommenden Woche wieder mit den Ministerpräsidenten beraten wird, kann es nicht um Lockerungen gehen. Wir müssen die Infektionskurve jetzt nach unten knicken. Dazu braucht es zusätzliche Beschränkungen, um einen deutlichen Rückgang der Infektionen zu erreichen.
Das heißt, auch Weihnachten wird es noch den Lockdown geben?
Unser Ziel muss es sein, vor Weihnachten unter die Inzidenz von 50 zu kommen, damit ein weitgehend normales Fest möglich sein kann. Deshalb sind jetzt noch stärkere Anstrengungen gefordert. Andernfalls erreichen wir nach aktuellen Berechnungen wohl erst Mitte Januar dieses Ziel. Dann wäre auch ein halbwegs normales Weihnachten nicht möglich. Der Teil-Lockdown sollte deswegen noch um weitere Elemente ergänzt werden. Die Schulen können zum Beispiel auf Wechselunterricht oder Hybridunterricht umstellen. Das Infektionsgeschehen in den Schulen muss stärker gebremst werden. Das geht nur, wenn man auch Kontakte in den Schulen herunterfährt. Dabei kann es auch helfen, wenn Schüler mit FFP2-Masken ausgestattet werden, um das Infektionsgeschehen besser in den Griff zu bekommen. Damit wären sie etwa auch in Bus und Bahn noch stärker geschützt. Auch die Frage, ob die Schulferien nicht früher beginnen und später enden sollten, muss diskutiert werden.
Wenn der Lockdown weitergeht, müssen dann nicht auch die Novemberhilfen weiterlaufen?
Wenn der Teillockdown weiterläuft, müssen auch die Hilfen für die Betroffenen in der Wirtschaft weiterlaufen. Dann werden auch die November-Hilfen verlängert. Die betroffenen Branchen befinden sich in einer sehr schwierigen Situation und leisten, insbesondere im Bereich der Gastronomie und der Veranstaltungsbranche, durch die Schließungen einen erheblichen Beitrag dazu, dass das Infektionsgeschehen nicht weiter steigt. Darüber hinaus wollen wir als CSU auch die Arbeitnehmer entlasten, die aufgrund der Pandemie von zuhause arbeiten müssen. Dafür wollen wir eine Home-Office-Pauschale von 600 Euro pro Jahr bei der Einkommenssteuer – unabhängig vom Nachweis eines separaten Arbeitszimmers.
Die Diskussion über die Zukunft der Rente nimmt in der Union aktuell wieder an Fahrt auf. Welche Vorstellungen hat die CSU?
Wir wollen weg vom Generationenkonflikt hin zu mehr Generationengerechtigkeit. Dafür wollen wir die bestehenden drei Säulen der Altersvorsorge um eine vierte Säule ergänzen – mit einem Renten-Starterkit für jedes Kind. Der Staat soll ab Geburt bis zum 18. Lebensjahr für jedes Kind einen Beitrag von 100 Euro pro Monat in einen Generationen-Rentenfonds einzahlen, der das Geld renditeorientiert anlegt. Mit dem Eintritt in das Rentenalter wird die Starter-Rente zusätzlich zu bestehenden Rentenansprüchen ausgezahlt. Unser Ziel ist, dass zukünftig jeder aus dieser vierten Säule der Altersvorsorge kapitalgestützt eine Fonds-Rente erhält und wir dadurch Altersarmut vermeiden.
Die CDU hat immer noch keinen neuen Vorsitzenden, die Union noch keinen Kanzlerkandidaten. Wo bleibt die Aufstellung von CDU und CSU für die Bundestagswahl im kommenden Jahr?
Die Bundestagswahl findet voraussichtlich am 26. September statt. Es gibt also ausreichend Zeit, die notwendigen Personalfragen zu klären. Allerdings finden die aktuellen Debatten nicht in der CSU, sondern ausschließlich in der CDU statt. Die CDU hat sich einen Zeitplan für einen ersten Schritt – die Wahl eines neuen Parteivorsitzenden – bis Mitte Januar gegeben. Dabei wird es wohl eine Kombination aus einer digitalen Vorabstimmung und einer Briefwahl geben. Das ist der rechtssichere und richtige Weg, solche Wahlen unter den aktuellen Pandemie-Bedingungen durchzuführen.
Die CSU im Bundestag will eine Frauen-Quote für Dax-Vorstände. Sollte es dann nicht auch eine Frauenquote für Ämter und Mandate bei CDU und CSU geben?
Wir als CSU sind für eine Frauenquote in DAX-Vorständen, aber eingebettet in ein Gesamtkonzept, dass sich nicht nur an Top-Verdienerinnen richtet, sondern auch in der Breite Frauen im Arbeitsleben unterstützt und mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht. Dazu gehören flexiblere Arbeitszeiten, mehr Unterstützung bei der Kinderbetreuung und eine deutliche Entlastung von Alleinerziehenden. Was die Partei angeht, so habe ich in den Vorständen der CSU als Generalsekretär eine Frauenquote von 40 Prozent eingeführt. Die CDU will ähnliches jetzt nachvollziehen. Ich werbe dafür, dass wir das Thema Beteiligung der Frauen deutlich stärker zu einem Thema der Unionsparteien machen. CDU und CSU haben eine überproportionale Zustimmung bei Frauen. Das ist eine enorme Mobilisierungs-Chance, die wir auch bei der nächsten Bundestagswahl nutzen sollten.
US-Präsidenten will weitere US-Soldaten noch vor Ende seiner Amtszeit aus Afghanistan abziehen. Was bedeutet das für den Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch?
Wir erwarten, dass solche Entscheidungen, wie der Abzug der US-Truppen aus Afghanistan, unter dem neuen Präsidenten nochmal überprüft werden. Wir brauchen die Amerikaner als stabilisierende Kraft in Krisengebieten wie Afghanistan und anderen Orten der Welt. Aber eine Lehre aus den letzten vier Jahren ist auch: Europa kann sich nicht uneingeschränkt auf das Handeln der Amerikaner in Sicherheitsfragen verlassen. Wir müssen deutlich eigenständiger und souveräner handeln und uns auch mehr in Sicherheitsfragen in der Welt engagieren. Deshalb werbe ich dafür, dass wir in Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel der NATO erreichen. Ohne moderne Ausrüstung werden wir in sicherheitspolitischen Fragen auf der Welt nicht die Rolle spielen können, die der Europäischen Union zukommen müsste. Es muss auch eine stärkere europäische Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik geben. Für eine europäische Armee unter Brüsseler Kommando sehe ich aktuell aus guten Gründen aber keine Akzeptanz.
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