Redeauszug der Bundestagsabgeordneten Daniela Ludwig in der Bundestagsdebatte zu jüdischem Leben in Deutschland, 7.11.2024.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 

In wenigen Tagen jährt sich die Reichspogromnacht zum 86. Mal. Und leider war diese Schandtat der deutschen Geschichte fast nie näher als heute.

Unter dem tiefgreifenden Eindruck des Überfalls der Hamas auf Israel am 7. Oktober und angesichts des zunehmenden und immer stärker werdenden Antisemitismus ausgerechnet in Deutschland muss das Gedenken an die brennenden Synagogen im Jahr 1938, an deren Ende bekanntlich die Shoa und mit ihr die Ermordung von 6 Millionen Jüdinnen und Juden stand, noch offensiver und noch viel präsenter ausfallen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Deshalb möchte ich den Jüdinnen und Juden bei uns im Land, aber auch weltweit zurufen: Wir sehen euch. Wir nehmen eure Sorgen und eure Nöte ernst. Wir begreifen die Gräueltaten, die ab dem Jahr 1933 an euren Vorfahren begangen wurden, als Verpflichtung für jetzt und für zukünftiges Handeln in diesem Land.

Wir haben heute auch einen ganz entscheidenden Vorteil im Vergleich zu damals. Wir wissen jetzt, was passieren kann, wenn Antisemitismus vielschichtig in unterschiedlichem Gewand vorkommt und gesellschaftsfähig wird und wenn es Menschen gibt, die die Augen davor verschließen, die zuschauen und nichts tun. Nichtstun ist nämlich oftmals auch Zustimmung.

Dieses Mal – das verspreche ich für meine Fraktion, und ich denke, für viele andere hier im Haus auch – schauen wir nicht weg.

Es ist eine Schande, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dass jüdische Mitmenschen in unserem Land sich in ihrer Freiheit eingegrenzt fühlen, sich in ihrem täglichen Leben bedroht fühlen, dass ihre Kinder wegen Sicherheitsbedenken die Schule wechseln müssen. Überlegen Sie sich einmal: Was würde es für Sie bedeuten, wenn Ihr Kind die Schule wechseln muss, weil Sie als Eltern die Sicherheit Ihres Kindes nicht garantieren können? Was würde es für Sie bedeuten, wenn Sie in Ihre Kirche gehen und religiöse Symbole nicht mehr offen tragen können, weil Sie Angst haben müssen vor körperlichen Übergriffen auf der Straße?

All das muss man sich vor Augen führen, um zu sehen: Es geht um unsere Mitbürger, es geht aber auch um uns. Es geht auch um unsere Werte, unseren Rechtsstaat und die Frage: Wie gehen wir in Deutschland mit solchen Dingen um?

Deshalb ist es gut, dass es diesen gemeinsamen Antrag gibt. Ich bin allen Beteiligten wirklich sehr dankbar. Jeder musste hier weite Wege gehen, auch wir. Es ist kein Geheimnis, dass wir als Unionsfraktion uns an der einen oder anderen Stelle auch mehr hätten vorstellen können.

Klar ist aber auch: Es ist wichtig, dass man sich auf die IHRA-Definition verständigt hat. Und ich möchte in aller Deutlichkeit sagen: Es ist nichts anderes als eine bösartige Unterstellung von immer wieder der gleichen Seite, zu behaupten, mit der Anwendung dieser international und wissenschaftlich anerkannten Definition würden wir Meinungsfreiheit und Kritik am Handeln der israelischen Regierung einschränken. Das ist eine bösartige Unterstellung; nichts daran ist wahr.

Ich will auch in aller Deutlichkeit sagen: Wir müssen an unseren Hochschulen für Ordnung sorgen. Es kann nicht sein, dass sich die Hochschulleitungen in Schränken und in ihren Zimmern verbarrikadieren müssen, sich nicht mehr raustrauen, weil ein Mob durch die Gänge wildert und sie bedroht.

Wir müssen uns dafür schämen, aber wir müssen auch die entsprechenden rechtsstaatlichen und repressiven Konsequenzen erst zur Verfügung stellen und dann auch dafür sorgen, dass sie zur Anwendung kommen, um jüdischen Studentinnen und Studenten die Sicherheit im Studium zu geben, die sie in diesem Land verdienen. Das halte ich für ausgesprochen notwendig.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, danke ich Ihnen für diese Debatte an diesem schwierigen Tag. Das Thema bleibt, und es ist wichtiger denn je. Lassen Sie uns zumindest hier zusammenstehen!

Vielen herzlichen Dank.
 

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