Rede zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Streichung des Majestätsbeleidigungsparagrafen

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute zwei Gesetzentwürfe zur Neuregelung des § 103 Strafgesetzbuch.

(Christian Flisek [SPD]: Zur Abschaffung, nicht zur Neuregelung!)

Ich möchte vorausschicken, dass wir nicht den Fehler begehen sollten, ein Einzelfallgesetz zu debattieren. Es geht um die Regelung von Straftaten gegen Vertreter ausländischer Staaten.

Vorausgeschickt sei auch, dass in der Frage von Meinungs- und Pressefreiheit eines festgestellt wird: Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Sie ist schlichtweg konstituierend für eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft. Sie ist sehr weitgehend. Diejenigen, die im öffentlichen Leben stehen, müssen viel ertragen. Aber die Meinungsfreiheit ist auch nicht grenzen- und schrankenlos, sondern sie findet ihre Grenzen im Recht und in der Würde des anderen. Es ist ein Grundrecht in der Abwägung und keines ohne Grenzen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Über den § 103 Strafgesetzbuch lässt sich sehr trefflich streiten. Wenn man sich die Debatten der letzten Wochen so ansieht, ist es erstaunlich, wer sich alles zu § 103 Strafgesetzbuch geäußert hat und wer dessen sofortige Streichung verlangte. Teilweise wird der Eindruck erweckt, dass manche die Vorschrift sofort streichen wollten, ohne überhaupt zu wissen, dass sie jemals existiert hat. Offenbar plant auch Justizminister Maas, den § 103 sofort abzuschaffen. Aber wenn es ein solches Bedürfnis gäbe, sofort zu handeln: Warum hat er es denn nicht vorher getan? Warum jetzt erst einzelfallbezogen?

(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Komische Logik!)

Meine Damen und Herren, von einem Parlament wird nicht erwartet – das sollte nicht unser Leitbild sein –, zu schnell und zu hektisch zu handeln und Gesetzgebungsverfahren am derzeitigen Erregungsgrad sozialer Medien festzumachen.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Dr. Eva Högl [SPD]: Es war die Kanzlerin!)

Gesetzgebung braucht klare Orientierung, Nachdenken, Verlässlichkeit und Sorgfalt. Wir brauchen eine ernstzunehmende Verantwortung und keine Schnellschüsse.

(Beifall bei der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch kein Schnellschuss! Sie wollen es doch auch!)

Das gilt insbesondere für das Strafrecht. Der Strafanspruch des Staates ist die einschneidendste Form, wie der Verfassungsstaat seinen Bürgern gegenübertritt. Das Strafrecht ist das schärfste Schwert des Staates. Deswegen hat der Gesetzgeber besondere Sorgfaltspflichten, wenn er über strafrechtliche Normen debattiert. Diese Sorgfaltspflicht, meine Damen und Herren, lassen die Gesetzentwürfe der Grünen und der Linken stark vermissen.

Man könnte den Eindruck gewinnen, es ginge Ihnen gar nicht um Strafgesetzgebung, sondern darum, auf der Welle der ansonsten berechtigten Kritik gegen Erdogan zu surfen und damit taktisches Handeln zu produzieren, statt sorgfältiger Gesetzgebung. Das ist mit uns nicht zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Blödsinn! – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: So ein Unsinn! Die Kanzlerin selber hat die Streichung gefordert!)

Sie sprechen zunächst vom „Majestätsbeleidungsparagrafen“. Den Begriff des Majestätsbeleidigungsparagrafen hat in letzter Zeit vornehmlich die Boulevardpresse gebraucht.

(Christian Flisek [SPD]: Der findet sich sogar in juristischen Kommentaren!)

Das mag zur Vereinfachung eines Sachverhaltes zutreffend sein. Er ist aber fehl am Platz, wenn es um konkrete Rechtsfragen geht. Ich sage Ihnen: Unsere Fraktion ist nicht bereit, im Strafrecht eine Boulevardisierung der Begriffe und der Politik zu akzeptieren. Wir arbeiten hier sorgfältig.

(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Flisek [SPD]: Man kann aber sorgfältig arbeiten und schnell zu Ergebnissen kommen!)

Die Majestätsbeleidigung ist zunächst einmal die Beleidigung des eigenen Staatsoberhauptes, sofern er ein Monarch ist. Aber der § 103 Strafgesetzbuch schützt in erster Linie gar nicht die Ehre. Geschützt werden die auswärtigen Beziehungen des Bundes, die Integrität von auswärtigen Delegationen und Diplomaten, also der Respekt zwischen den Völkern und das Funktionieren des Völkerrechts. Das ist das Schutzgut. Das bitte ich Sie zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

§ 103 Strafgesetzbuch steht nicht allein. Er ist in ein System von weiteren Normen eingebettet; dazu gehört beispielsweise auch der Schutz ausländischer Flaggen und Hoheitszeichen.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist doch kein Gesslerhut!)

Wenn man § 103 Strafgesetzbuch isoliert streichen würde, dann hätte das zur Folge: Wenn Sie einen Diplomaten oder Regierungschef eines anderen Landes anspucken und sein Gesicht treffen, werden Sie nach Ihrer Rechtsart weniger hart bestraft, als wenn Sie die Flagge treffen, die am Auto angebracht ist. Ein solcher Wertungswiderspruch kann nicht sein. Deshalb sollte man die gesamten Paragrafen lesen. Man sollte den Paragrafen lesen, der § 103 vorausgeht, und den, der danach folgt.

(Dr. Eva Högl [SPD]: Das können wir alles streichen!)

Das lernt man im ersten Semester Strafrecht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun zum Gesetzentwurf der Linken. Kern Ihres Gesetzentwurfs ist die Streichung der Verunglimpfung des Bundespräsidenten. Aus unserer Sicht muss die Verunglimpfung des Bundespräsidenten bleiben,

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie glauben doch selber nicht, was Sie da sagen!)

nicht deswegen, weil der Bundespräsident als Person mehr Ehrenschutz verdient hätte als ein normaler Staatsbürger – insofern befindet sich auch der erste Bürger dieses Landes auf der gleichen Ebene –, sondern weil wir, indem wir den Bundespräsidenten schützen, auch unser eigenes Verfassungssystem schützen. Wir schützen den Respekt vor dem gewählten Staatsoberhaupt und die Selbstachtung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Daran werden wir nichts ändern.

(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Flisek [SPD]: § 103 gilt für jeden Diktator dieser Welt! – Zuruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])

Trotzdem werden wir die Straftaten gegen ausländische Staaten einer konkreten, aber auch verantwortlichen und klug abgewägten Reform zuführen.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wie Sie es bei Böhmermann gemacht haben!)

Wir müssen darüber diskutieren, ob die Strafrahmen zueinanderpassen, ob es sein kann, dass die Strafrahmen bei Beleidigungsdelikten höher oder tiefer liegen als im Bereich der §§ 102, 103, 104 a Strafgesetzbuch.

Wir müssen darüber reden, ob wir die Verfolgungsermächtigung durch die Bundesregierung beibehalten, die übrigens in der Strafantragsbefugnis ihre Entsprechung hat, wenn jemand einzelbeleidigt wird. Wir müssen darüber reden, ob sie beibehalten wird oder ob wir es als Aufgabe des Rechtsstaats und der unabhängigen Gerichte ansehen, nachzuprüfen, ob eine Beleidigung vorlag oder nicht. Wir müssen uns fragen, wie wir Hoheitszeichen und Flaggen ausländischer Delegationen schützen, wenn sie sich in offizieller Mission in Deutschland befinden und auch den Respekt dieses Landes verdient haben.

Das sind Fragen, für deren Lösung wir uns die nötige Zeit nehmen sollten.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwei Jahre oder was? Das ist ja unglaublich!)

Nur kurzfristig zu sagen: „Es gibt eine gewisse Empörung in diesem Lande, und daraufhin ändern wir das Strafgesetzbuch“, ist unsorgfältig. Gegen ein solches kurzfristiges Handeln der Politik wenden sich die Menschen zu Recht.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Eva Högl [SPD]: Das war die Bundeskanzlerin, nicht irgendwer! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das sagt doch Frau Merkel! Das war doch Frau Merkel, die das gesagt hat! – Christian Flisek [SPD]: Mir sagen die Menschen ganz was anderes!)

Ja, wir sind auch empört

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über Frau Merkel!)

darüber, dass in vielen Teilen der Welt Presse- und Meinungsfreiheit nicht in dem Maße gewährleistet werden, wie sie gewährleistet werden müssten. Wir sind empört darüber, dass auch ausländische Politiker den Rechtsstaat in Deutschland in Anspruch nehmen dürfen, obwohl sie selbst diesen Rechtsstaat in ihrem eigenen Land nicht im gleichen Maße gewährleisten. Auch das muss man sagen.

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU):

Bitte.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Kollege, ich höre Ihnen mit großem Interesse zu und frage mich, mit wem Sie das alles abgestimmt haben. Ich lese Ihnen nur einen kurzen Satz der Kanzlerin vor. In ihrer bekannten Rede vom 15. April 2016, die immer wieder gesendet worden ist, heißt es abschließend:

Wir werden deshalb einen Gesetzentwurf zu seiner Aufhebung

– gemeint ist § 103 –

vorlegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Christian Flisek [SPD]: Nicht zu einer Reform! Aufhebung! – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Nicht zu einer Reform! Genau!)

Die Frage ist doch geklärt. Oder sollen wir der Kanzlerin nicht mehr glauben?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Christian Flisek [SPD]: Das weiß man bei der Union nicht so genau!)

Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU):

Herr Kollege Ströbele, in diesem Lande werden die Gesetze durch das Parlament gemacht, nicht durch die Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh! Oh!)

Das sollten Sie wissen. Die Bundesregierung kann gerne einen Vorschlag machen. Wir werden darüber in Ruhe debattieren und eine Anhörung dazu durchführen. Wir werden aber nicht dem süßen Gift erliegen, ein Einzelfallgesetz zu machen, das verfassungswidrig wäre und das nur einer temporären Empörung entsprechen würde.

(Christian Flisek [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! Da empfehle ich mal das Studium! Das ist ein Einzelfallgesetz! § 2 Strafgesetzbuch!)

Wir haben in diesem Hohen Hause die Verpflichtung, gerade im Bereich des Strafrechts sehr besonnen, klug und verlässlich zu agieren. Das werden wir machen. Wir werden diese Aufgabe wahrnehmen, aber nicht, indem wir heute einem untauglichen, inhaltlich nicht abgestimmten und auch nicht sehr guten Vorschlag Ihrerseits zustimmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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