Gerda Hasselfeldt im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ).
NOZ: Frau Hasselfeldt, der gesetzliche Mindestlohn gilt seit 100 Tagen und der Protest von Union und Wirtschaftsverbänden gegen die vorgeschriebene Arbeitszeiterfassung hält an. Haben CDU und CSU eigentlich die Mängel übersehen, als sie das Gesetz gebilligt haben?
Hasselfeldt: Schon während der parlamentarischen Beratungen haben wir auf die Probleme hingewiesen. Die Verhandlungen mit der SPD waren allerdings schon damals schwierig. Jetzt sehen wir die Auswirkungen und überbordende Bürokratie, über die sich die Wirtschaft und Vereine zu Recht beklagen. Klar ist: Beim Mindestlohn gibt es Handlungsbedarf.
NOZ: Der Mindestlohn wird zum Thema beim Koalitionsausschuss am 23.April. Pochen Sie auf Nachbesserungen?
Hasselfeldt: Ja, wir müssen dringend Korrekturen vornehmen. Das betrifft zum Beispiel die Abgrenzung zwischen ehrenamtlicher und beruflicher Tätigkeit, unkalkulierbare Haftungsrisiken, die Aufzeichnungspflicht bei geringfügig Beschäftigten und in einigen Branchen bei Monatseinkommen von bis zu 2.958 Euro. Dort müssen Beginn, Dauer und Ende der Arbeitszeit dokumentiert und für zwei Jahre nachgewiesen werden. Das ist völlig überzogen, geht an der Realität vorbei und ist für Unternehmen und Vereine eine große Belastung. Diese Beispiele zeigen den Änderungsbedarf. Hier müssen dringend praxistaugliche Lösungen her.
NOZ: Die SPD hat schon klar gemacht: Es gibt keine Änderungen….
Hasselfeldt: Wenn das so wäre, bräuchten wir uns beim Koalitionsausschuss kommende Woche nicht zusammenzusetzen. Ich erwarte auch von der SPD das ernsthafte Bemühen, zu sachgerechten Lösungen zu kommen. Hier ist vor allem auch Wirtschaftsminister Gabriel gefordert. Es wäre nicht glaubwürdig, einerseits mit großem Bohai eine Bürokratiebremse einzuführen, andererseits beim Mindestlohn aber einen Wust von Regulierungen und Belastungen neu zu schaffen.
NOZ: Streit auch bei der Besserstellung von Alleinerziehenden. Familienministerin Manuela Schwesig profiliert sich in der SPD durch beharrliche Forderungen an CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble. ..
Hasselfeldt: "Diese Profilierung wird schon deshalb nicht funktionieren, weil Manuela Schwesig in Wahrheit auf einen fahrenden Zug springt. Die Union und vor allem die CSU haben das Thema auf die Agenda gesetzt. Die CSU hat dazu sogar einen Parteitagsbeschluss. Es freut mich deshalb, dass wir uns zwischen Unions- und SPD-Bundestagsfraktion darauf verständigt haben, den steuerlichen Entlastungsbetrag für Alleinerziehende um 600 Euro auf 1908 Euro deutlich zu erhöhen. Finanziert werden soll die Entlastung aus dem Haushalt des Familienministeriums."
NOZ: Die SPD macht sich stark für ein neues Einwanderungsgesetz – wissend, dass die Union dies nicht will. …
Hasselfeldt: Wir haben bei der Einwanderung gute Regeln, die von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) als die weltweitweit liberalsten gelobt wurden. Deshalb sehe ich keinen Bedarf für ein neues Gesetz. Wir sollten unsere Anstrengungen besser darauf richten, alle jungen Menschen im Land, auch die Zuwanderer, für den Arbeitsmarkt fit zu machen.
NOZ: Die Flüchtlingsfrage schürt heftige Emotionen. Sehen Sie die Gefahr, dass wegen Internethetze und auch physischer Bedrohung kaum noch jemand in die Kommunalpolitik geht?
Hasselfeldt: Ich sehe das mit großer Sorge, auch weil viele in kleinen Gemeinden ehrenamtlich Verantwortung übernehmen. Wer als Bürgermeister oder auch Landrat für das Gemeinwohl tätig ist, hat den vollen Schutz durch die Gesellschaft, aber vor allem auch durch die Polizei verdient. Es gilt: Wer einen Bürgermeister oder Landrat bedroht, muss mit der Härte des Rechtsstaates rechnen. Hier müssen die Länder konsequent sein und dürfen nicht am Personal und der Ausstattung der Polizei sparen.
NOZ: Die Länder pochen auf mehr Mittel, weil die Unterbringung der Flüchtlinge teuer ist. Muss da draufgesattelt werden?
Hasselfeldt: Die Versorgung der Flüchtlinge ist für alle eine große Herausforderung. Hier sind alle staatlichen Ebenen gemeinsam gefordert. Der Bund überweist den Ländern deshalb zum Beispiel eine Milliarde Euro zusätzlich. Die Länder gehen allerdings sehr unterschiedlich mit ihrer Verantwortung um: Bayern zum Beispiel trägt 100 Prozent der Kosten für Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern, andere Länder beteiligen sich dagegen nur mit deutlich niedrigeren Anteilen oder zahlen Pauschalbeträge an die Kommunen, die die eigentlichen Kosten nicht annähernd decken. Hier sind die Länder in der Pflicht, ihre Hausaufgaben zu machen. Immer nur nach mehr Geld zu rufen, ist eine zu einfache und zu billige Antwort auf die vielschichtigen Herausforderungen. Da ist mehr Gehirnschmalz nötig. Es geht zum Beispiel auch um schnellere Asylverfahren, eine konsequente Rückführung abgelehnter Asylbewerber oder auch die Finanzierung von Sprachkursen. Es bringt nichts, hier ein Schwarze-Peter-Spiel zu veranstalten.
NOZ: Zum Schluss: Verfassungsrichter zweifeln am Betreuungsgeld, das die CSU für Eltern durchsetzte, die ihre Kleinkinder nicht in die Kita schicken …
Hasselfeldt: Im Zentrum des Verfahrens steht die Frage, ob der Bund die Kompetenz hat für die Einführung des Betreuungsgeldes. Es geht nicht um die politische Bewertung. Dazu sage ich: Wenn 400.000 Eltern diese 150 Euro pro Monat in Anspruch nehmen und ihr Kind zu Hause betreuen, ist das der Beweis, dass das Betreuungsgeld richtig ist. Nicht jedes Kindes ist mit einem Jahr oder vierzehn Monaten geeignet für eine Kita. Auch deshalb muss der Staat Wahlfreiheit schaffen - immerhin gibt er rund 1.000 Euro pro Monat für einen Kita-Platz aus.
NOZ: Wie rechtfertigen Sie Geschenke an Rentner, für die Kinder und Kindeskinder zahlen müssen? Die Bundesregierung will nun auch die Mindestrente für Geringverdiener offenbar bis zum Jahr 2017 einführen….
Hasselfeldt: Da ist noch nichts entschieden. Bei allen Diskussionen spielt die Finanzierbarkeit die entscheidende Rolle. Bereits die Rente mit 63 und die Erhöhung der Mütterrenten kosten die Rentenversicherung zusätzlich etwa zehn Milliarden Euro pro Jahr. Ich warne davor, noch mehr Entscheidungen zu Lasten nachfolgender Generationen zu treffen.
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