Im Spiegel-Interview macht Alexander Dobrindt klar: Die Grünen versuchen sich an einer großen Täuschung. Bürgerliche Verpackung und Inhalt passen nicht zueinanderer - im grünen Programm stehen Steuererhöhungen, Exportreduzierungen, Schleifen der Schuldenbremse und Abkehr vom 2-Prozent-Ziel der NATO.
Herr Dobrindt, wir haben drei Zitate rausgesucht. Nummer eins: »Schwarz-Grün ist jenseits aller Vorstellungen.« Nummer zwei: »Die Grünen wollen Deutschland in eine staatliche Umerziehungsanstalt verwandeln.« Nummer drei: »Die Grünen sind zutiefst antibürgerlich.« Wer hat’s gesagt?
Sagen Sie auch, von wann die Zitate sind?
Wollen wir erst klären, von wem sie sind?
Manches davon habe ich als Generalsekretär gesagt. Ob mir jemals die Resozialisierung aus meiner Generalsekretärszeit gelingt, ist noch unsicher.
Damals verteufelten Sie die Grünen regelmäßig. Heute wirkt die Union fast grüner als die Grünen. Sind Ihnen ihre Sprüche von damals mittlerweile peinlich?
Die Zeiten ändern sich, wie sich auch die Grünen in Teilen verändert haben, Gott sei Dank. Trotzdem ist bei denen nicht alles so, dass wir jederzeit freudig in eine schwarz-grüne Liebesheirat eintreten würden. Aber wir leben in einer Zeit gewaltiger wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Umbrüche, dabei geht es um die neue Balance zwischen Ökologie und Ökonomie, zwischen moderner Arbeitswelt und neuen Lebensmodellen. Da lernen wir alle täglich dazu.
Die Lernkurve scheint eher bei der Union steil zu sein: Ihr Parteichef Markus Söder will neuerdings die CO2-Emissionen bis 2030 um 65 Prozent senken, den Kohleausstieg beschleunigen und Bayern bis 2040 klimaneutral machen. Wo liegt der Unterschied zum grünen Programm?
Wir setzen auf Innovation und Ambition, die Grünen auf Ideologie und Verbote. Wir wollen für Klimaschutz begeistern, die Grünen wollen bestrafen. Wir verbinden die vermeintlichen Gegensätze Wirtschaft und Klima und spielen sie nicht gegeneinander aus. Außerdem verfolgen wir beim Klimaschutz einen globalen Ansatz, der nicht nur auf nationale Maßnahmen setzt. Die Grünen glauben, Deutschland könne allein den Klimawandel bekämpfen, wenn man nur mit maximaler Härte CO2 einspart. Wir wollen in Deutschland beim Klimaschutz ambitioniert vorangehen, aber auch international Verantwortung übernehmen und die enormen Einsparpotentiale in Drittländern realisieren helfen.
In der wohl wichtigsten klimapolitischen Entscheidung der Ära Merkel, dem Atomausstieg, haben Sie eine rein nationale Entscheidung getroffen.
In der Tat wird die Kernenergie international vermehrt als Instrument für den Klimaschutz gesehen. Ich halte es trotzdem für richtig, dass wir uns nach der Katastrophe von Fukushima bewusst von dieser Technologie verabschiedet haben, auch wenn wir uns damit für den härtesten Weg entschieden haben, nämlich aus der Kohle und der Kernenergie zugleich auszusteigen. Diese Entscheidung wollen wir auch nicht verändern.
Im Bayern-Wahlkampf 2018 haben Sie aus Angst vor der AfD deren Positionen kopiert – ohne Erfolg. Warum probieren Sie jetzt denselben Trick mit den Grünen?
Wir kopieren keine Inhalte anderer Parteien, sondern nehmen unsere Funktion als Volkspartei wahr, Stimmungen in der Bevölkerung aufzunehmen. Eine Volkspartei sollte keinem Zeitgeist nachrennen, aber sie muss mit neuen Ideen am Puls der Zeit arbeiten. Volksparteien müssen an der Spitze der großen gesellschaftlichen Debatten stehen. Das Unterbinden von Diskussionen oder Ausgrenzen von Meinungen führt immer zu Protest oder Radikalisierung, ob rechts- oder linksaußen.
So kann man sich jeden Opportunismus schönreden. Wenn Sie Politik immer nur nach der Mehrheitsmeinung machen – wo ist dann der innere Kompass der Union?
Wir sind keine Umerzieher, sondern das Spiegelbild von gesellschaftlichen Entwicklungen. Die Union ist da, wo sich die Mitte der Gesellschaft hinbewegt, und gestaltet aktiv den Fortschritt. Das ist das Gegenteil von Opportunismus.
Und Ihre viel beschworene Basis, die in vielen Themen ziemlich konservativ denkt, macht die neue Klima-Euphorie einfach so mit?
Es gibt einen großen Konsens, dass die Bewahrung der Schöpfung und der Lebensgrundlagen und damit auch Klimaschutz zu unserem Gencode gehören. Und es gibt eine klare Erwartungshaltung, nicht nur bei der jüngeren Generation, beim Klimaschutz schneller zu werden. Das greifen wir aus Überzeugung auf. Unser Land gehört zu denjenigen, die vor über 100 Jahren mit dem Beginn der Industrialisierung das fossile Zeitalter eingeleitet haben – und wir wollen auch als Erste zeigen, dass es heute anders gehen kann.
Was machen Sie eigentlich ganz persönlich für den Klimaschutz?
Ich habe auf meinem Dach eine Photovoltaik- und Warmwasser-Anlage. Und ich war der erste Bundesminister, der einen Hybrid-Dienstwagen gefahren ist. Bis heute bin ich mit einem Plugin-Hybrid unterwegs.
Gibt es bei Ihnen zu Hause noch Strohhalme und Plastiktüten?
Unsere Strohhalme sind inzwischen aus Glas oder Papier. Plastiktüten gibt es nach wie vor. Nicht beim Einkaufen, aber beim Müll.
Bei so viel Engagement und Einsicht fragt man sich: Warum haben Sie 2019 beim Klimaschutzgesetz noch so gebremst?
Der Vorwurf ist falsch. Die Union ist einen weiten Weg gegangen und hat damals eine CO2-Bepreisung eingeführt, die uns wenige zugetraut haben. Dieses System wollen wir weiterentwickeln. Die Erneuerbaren Energien müssen ausgebaut werden, der CO2-Preis muss steigen und wir wollen früher als geplant mit einer marktwirtschaftlichen Bepreisung starten. Den Markt klug einzubinden, das ist klassische Unionspolitik.
Anspruch und Wirklichkeit fallen bei Ihnen ziemlich auseinander. Bei der Windenergie hat die CSU wie niemand sonst gebremst.
Insbesondere der Ausbau der Windenergie braucht immer auch die Akzeptanz der Bevölkerung. Wer Abstandsregeln zwischen Windrädern und Wohnbauten ignoriert, schafft keine Akzeptanz, sondern Protest.
Die Regeln hat die CSU so gemacht – mit einem Abstand, der Windkraft verhindert. Warum ändern Sie das nicht?
Weil diese Regeln dazu beitragen, neue Windkraftanlagen bauen zu können, ohne am Widerstand der Bevölkerung zu scheitern. Übrigens sind die Ressourcen auch unterschiedlich verteilt: Im Süden scheint stärker die Sonne, deshalb setzen wir auf Photovoltaik. Im Norden weht der Wind deutlich stärker, deshalb liegt dort der Fokus auf dem Ausbau der Windenergie.
Im Verkehrssektor, den die CSU seit Jahren verantwortet, ist ebenfalls nicht sehr viel passiert.
Einspruch! Noch nie wurde so viel Geld in den Schienenausbau, den öffentlichen Nahverkehr und intelligente Mobilität gesteckt, wie in den letzten Jahren. Gleichzeitig haben wir den massiven Hochlauf der Elektromobilität erreicht, indem wir tausende E-Ladesäulen gebaut und E-Fahrzeuge steuerlich stark begünstigt haben. Die Zulassungszahlen und die Ladeinfrastruktur befinden sich heute auf Rekordniveau.
Nur die Emissionen sinken im Verkehrssektor leider nicht.
Sie sinken nicht, weil die Mobilität der Menschen gestiegen ist. Das wird auch in Zukunft der Fall sein, deswegen setzen wir stark auf alternative Antriebe. Wir wollen mehr Mobilität bei weniger Emissionen.
Der alte Dobrindt hätte gesagt: Wir wollen den Menschen ihren SUV nicht wegnehmen.
Das will ich auch heute nicht. Ein SUV ist doch ein spannendes Fahrzeugkonzept. Mein Ansatz ist, über bessere Batterien und den Ausbau von Ladestationen Anreize zu schaffen, damit sich mehr Menschen für alternative Antriebe entscheiden. Zugleich werbe ich dafür, dass es ab 2035 keine Erstzulassungen mehr für Fahrzeuge mit fossilen Verbrennungsmotoren geben wird.
Noch hat die Union nicht mal ein Wahlprogramm. Markus Söder hat gerade vor Helmut Kohl 2.0 gewarnt. Wo genau ist Ihnen die CDU zu altbacken?
Ich habe das nicht als Warnung verstanden. Helmut Kohl genießt bei uns großen Respekt und Anerkennung.
Es klang aber nicht, als wolle Söder mehr Kohl, sondern eher weniger.
Meine Interpretation seiner Äußerungen war, dass wir als Union an die großen Erfolge von Kohl anschließen können, aber mit einem modernen Programm. Der Respekt vor Erreichtem und der Aufbruch zu Neuem gehören eng zusammen.
Für die christdemokratische Finanzpolitik hat Laschet schon den Neuanfang eingeläutet: Er will jenseits der Schuldenbremse einen Deutschlandfonds für Milliardeninvestitionen schaffen. Ist das eine gute Idee?
Das Grundgesetz gibt uns klare Regeln vor, wie wir von der Schuldenbremse in Notsituationen abweichen können. Davon machen wir gerade Gebrauch, die Regeln geben uns auch weiter Spielraum. Wir sollten klären, wie weit wir diesen Spielraum in den nächsten Jahren noch nutzen wollen, um die Folgen der Pandemie abzufedern. Ich rate dringend dazu, beim Grundprinzip der Schuldenbremse im Grundgesetz zu bleiben. Sie auszuhebeln, wie es die Grünen vorsehen, ist für uns als CSU kein Modell.
Warum ist Annalena Baerbock so viel populärer als Ihr Kandidat Laschet?
Angela Merkel hat 16 Jahre regiert. Es gibt eine große Gruppe von jüngeren Menschen, die sich an keine Zeit erinnern können, in der Angela Merkel nicht Kanzlerin gewesen ist. Es steht ein großer politischer Bruch an, und damit ist oft verbunden, dass Menschen sagen, es darf sich auch mal etwas ändern. Das haben die Grünen aufgenommen. Jetzt liegt es an uns, deutlich zu machen, dass gerade wir in der Lage sind, etwas zu verändern, und dass es einen Unterschied macht, wer Deutschland als eine der stärksten Volkswirtschaften der Welt regiert. Dabei geht es neben einem modernen Wohlstandsversprechen und einer Freiheitsgarantie auch um Stabilität. Für all das stehen die Grünen nicht.
Sei bezweifeln, dass Baerbock das Land als Kanzlerin regieren könnte?
Ich habe Zweifel, ob sie sich ausreichend mit dieser Aufgabe vertraut gemacht hat. Sie selber scheint es sich zuzutrauen. Die Außenbetrachtung wird am 26. September vom Wähler getroffen. Bis dahin ist Zeit zu betrachten, was sich hinter der Fassade verbirgt. Die Grünen haben immer Wert darauf gelegt, dass sie eine linke Partei sind. Heute wollen sie das gerne mal verstecken, bereiten aber mit ihrem Programm eine Linkskoalition vor. Es wird Zeit, das zu entlarven.
Wo wittern Sie die linke Agenda?
Die Grünen versuchen sich an einer großen Täuschung. Verpackung und Inhalt passen nicht zueinander. Wer Baerbock will, bekommt Dietmar Bartsch. Im Programm der Grünen stehen Steuererhöhungen, Exportreduzierungen, Schleifen der Schuldenbremse, Abkehr vom 2-Prozent-Ziel der Nato und internationaler Bündnisfähigkeit. Bei der Migration wollen die Grünen Geringqualifizierten den Weg nach Deutschland bahnen, die Sozialleistungen dafür erheblich ausweiten, die Unterscheidung zwischen Asyl und Arbeitsmigration verwischen, die Ausweisung sicherer Herkunftsstaaten verweigern und damit die Zuwanderung in unsere Sozialsysteme ermöglichen und befördern. Wir stehen in Herbst vor einer Richtungsentscheidung!
Hinter die Fassade der Union braucht man nicht groß zu blicken, das meiste findet auf offener Bühne statt: Der Kandidat ist schwach, die CDU innerlich gespalten. Wie wollen Sie die Stimmung noch drehen?
Interessant, was Sie da beschreiben, aber ich teile diese Einschätzung nicht.
Sie würden sagen, der Machtkampf um die K-Frage hat der Union geholfen?
Wenn in den USA Vorwahlen stattfinden, wird mit einer Bewunderung auf die Transparenz und Offenheit geschaut, die dort herrscht. Wenn bei uns zehn Tage in einem demokratischen Wettbewerb über zwei Kandidaten diskutiert wird, heißt es: Das sei zerstörerisch. Das verwundert mich. Eine Auswahl in der Frage, wer uns als Kanzlerkandidat in eine Bundestagswahl führt, sollte Normalität sein und nicht als feindseliger Akt gesehen werden. Für mich hat sich übrigens in diesem Prozess gezeigt, dass die Basis unserer beider Parteien viel näher beieinander ist, als manche in den Führungsgremien vermuten.
Sie haben die Söder-Fans in der CDU auf die Bäume getrieben.
Der Vorwurf ist grundfalsch. Es gab einen Wunsch an der Basis der CDU nach einem Angebot Markus Söder. Ich hätte es für falsch gehalten, wenn man sich in so einer Situation als starker CSU-Chef und herausragender Ministerpräsident einem Wettbewerb verweigert.
Ein strikter Söder-Gegner war Wolfgang Schäuble. Er warnte, dass Söder von einer Bewegung in seinem Namen träumte, und so die Strukturen der CDU zerstört hätte.
Ich verstehe dieses Argument bis heute nicht. Ich weiß auch gar nicht, auf welche Ängste da versucht wurde, anzuspielen. Unser Parteiensystem in Deutschland ist im Umbruch, ja. Aber Volksparteien leben von ihrer Breite – und immer stärker auch von der Kraft ihrer Personen an der Spitze. Dass man da auf eine Person setzen kann, die Faszination auslöst und Bindekraft entfalten kann, finde ich alles andere als zerstörerisch.
Schäubles Angst war, dass eine solche Bewegung zerfallen würde, wenn der Anführer geschwächt oder nicht mehr da ist.
Man kann es durchaus als Anerkennung für Markus Söder verstehen, wenn man ihm zutraut, dass er so eine Bewegung organisieren könnte. Aber im Ernst: Als Volkspartei müsste man Angst haben, wenn solch eine Bewegung außerhalb der eigenen Organisation stattfände, oder wenn sie der letzte Ausweg vor dem Untergang wäre – wie bei der ÖVP in Österreich. Beides trifft auf die Union nicht zu. Eine Söder-Bewegung innerhalb der Parteienfamilie hätte diese stärken können. Angst vor Bewegungen ist kein Ausdruck von Modernität.
Wie groß ist die Gefahr, dass die Union die Bundestagswahl verliert?
Die Union hat immer dann beste Chancen, wenn sie es schafft, ihr Wählerpotential maximal zu mobilisieren. Unsere Anhänger dürfen nicht zu Hause bleiben. Die aktuellen Umfragen gründen sich ja nicht auf der Ablehnung unserer Inhalte. Das bürgerliche Lager ist schlicht nicht ausreichend mobilisiert, während ein hohes Mobilisierungspotential bei den Grünen erkennbar ist. Das müssen wir verändern. Dann haben wir alle Chancen, bei dieser Wahl gut abzuschneiden.
Welche Rolle wird die Corona-Pandemie noch im Wahlkampf spielen?
Sie wird uns nicht loslassen. Wir sind aber auf einem Weg hin zur Normalität, die von den Bürgern mit Sehnsucht erwartet wird. Das Zurückerlangen der alten Freiheit ist ein dringendes Bedürfnis, das wir jetzt ermöglichen können durch die Ergebnisse des Bundes-Lockdowns. Es muss jetzt die Gleichung gelten: dreimal G gleich N - aus geimpft, genesen, getestet wird Normalität. Bei einer Inzidenz von unter 100 müssen Kultur, Gastronomie, Hotels und Sportangebote öffnen können. Aber auch bei Inzidenzen von über 100 muss demnächst bei weiterem Impffortschritt Normalität möglich sein.
Ist das eine Impfpflicht durch die Hintertür? Nur Geimpfte werden frei?
Nein, es gibt keine Impfpflicht. Die SPD will Genesenen und Getesteten die Normalität verweigern, um eine angebliche Zweiklassengesellschaft zu verhindern. Über diese Frage werden wir Wahlkampf führen. Wir haben über ein Jahr Freiheitsrechte eingeschränkt, um die Gesundheit aller zu schützen. Jetzt brauchen wir Raum für mehr Freiheit. Nur weil Menschen noch nicht geimpft sind oder eine Impfung ablehnen, kann man nicht anderen, von denen keine Ansteckungsgefahr mehr ausgeht, die Freiheit verweigern.
Herr Dobrindt, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
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