Redeauszug des Bundestagsabgeordneten Thomas Erndl in der Bundestagsdebatte zum NATO-Gipfel in Vilnius am 6.7.2023:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 

Ich glaube, wir sehen, dass dies eine wichtige Debatte ist. Herr Kollege Hellmich, wenn Sie auf Details unseres Antrags eingehen, dann ist das gut und richtig; aber wir wünschen uns natürlich, dass die Bundesregierung hier endlich einmal Position bezieht. Von dieser hört man nichts.

Dabei muss doch inzwischen klar sein, dass die Ukraine kein „Land dazwischen“ mehr sein darf, dass sie eine klare Einbindung in eine westliche Sicherheitsarchitektur braucht. Es ist klar, dass wir auf absehbare Zeit Sicherheit gegen Russland organisieren müssen und dass wir dafür ein Handeln aus einer Position der Stärke heraus brauchen – mit einer starken Gemeinschaft. Und die stellt sich nicht von selbst ein, sondern das muss aktiv und beherzt angegangen werden.

Ukrainische Armee jeden Tag stärker machen

Denken, reden, handeln, Herr Kollege Stegner, das mag die richtige Reihenfolge sein, aber die Denkgeschwindigkeit ist keine festgeschriebene Größe. Wir sollten nicht die Kollegen kritisieren, die vielleicht etwas schneller sind, auch aus Ihren Reihen, und Ideen auf den Tisch legen.

Durch unser zögerliches Verhalten haben wir ein verlorenes Jahr hinter uns. Das wird jeden Tag deutlicher. Wertvolle Zeit ist verloren, die für mehr Training, Ausbildung und vor allem Beschaffung hätte genutzt werden können. Ein kleines Beispiel: Letztes Jahr im Mai wurden 16 Haubitzen zugesagt. Jetzt, im Juli 2023, haben wir aber noch immer keine zusätzliche Munition auf dem Tisch. Ja, Verträge sind das eine, aber wir brauchen die Munition jetzt. Wir haben 16 Haubitzen abgegeben und 10 nachbeschafft. Es wären besser 100 gewesen. Weniger vorausschauend geht nicht! Und wer sich jetzt fragt, warum die Russen ihre Verteidigungsstellungen stark befestigt haben, der sollte sich selbst fragen, warum sie die Zeit dafür hatten.

Wir müssen sicherstellen, dass die ukrainische Armee jeden Tag stärker wird, und das auch noch nächstes und übernächstes Jahr. Das braucht Vorausschau. Es muss klar sein, dass die Hoffnung Putins, dass der Westen irgendwann einknickt, nie Wirklichkeit wird.

Zaudern und Zögern hat viele Opfer gefordert

„Jeden Tag stärker“, das ist eben auch Aufgabe dieser Bundesregierung, und dazu gehört eine klare Position, wie eine europäische Sicherheitsarchitektur aussehen soll. Kein Abwarten, Zaudern, Zögern mehr; das hat schon zu viele Opfer gefordert. Wir brauchen einen klaren Pfad für die Westintegration, für Sicherheitsgarantien, für eine konkrete Perspektive in Bezug auf EU und NATO. Die Geschichte zeigt doch, was alles nicht funktionierte: Münchner Abkommen 1938, Budapester Memorandum 1994, Minsker Abkommen 2014, Appeasement funktioniert nicht, lauwarme Sicherheitsgarantien auch nicht. 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kiew erreicht man derzeit nur im Schlafwagen, aber nach Vilnius kommt man mit dem Flugzeug. Liebe Bundesregierung, im Schlafwagen kommt man eben nicht zu umfassender Sicherheit für Europa. „Freedom is not for free“, hat der Verteidigungsminister gesagt. Das ist richtig. Es geht aber nicht nur um Geld, sondern auch um Mut und Tatkraft. Beherzigen Sie das bitte, und stimmen Sie unserem Antrag zu.

Herzlichen Dank.

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