Alexander Dobrindt, Chef der CSU im Bundestag, will eine Impfpflicht für Risikogruppen, die kommen „kann“ aber nicht muss.
Herr Dobrindt, hätte die Ukraine Waffen bekommen, wenn die Union noch regieren würde?
Deutschland hat eine große Verantwortung für den Frieden in Europa. Für uns steht dabei die Diplomatie immer im Vordergrund und nicht der Ruf nach Waffenlieferungen. Aber die Befähigung zur Verteidigung komplett auszuschließen, wie Teile der Ampel das tun, oder sogar anderen Ländern in Europa eine Unterstützung für die Ukraine zu untersagen, entspricht nicht meinem Verständnis von Partnerschaft und Bündnis. Im Rahmen von gemeinschaftlichen Initiativen, zum Beispiel innerhalb der EU, können Waffenlieferungen möglich sein. Die Zurverfügungstellung von Lazarettkapazitäten durch die Bundesregierung wird auf jeden Fall international als zynisch betrachtet.
Anders als Sie hat CSU-Chef Markus Söder Waffenlieferungen abgelehnt.
Markus Söder und ich sind uns vollkommen einig, wir stehen zwingend auf Seiten des Friedens. Dieser Frieden muss oft aber hart errungen werden. Dazu zählen intensive diplomatische Initiativen, Fragen der wirtschaftlichen und strategischen Zusammenarbeit, aber auch alle Optionen für Sanktionen. Waffenlieferungen können nie die erste Wahl sein, aber zur Erinnerung: 2014 hat Deutschland zum Beispiel auch Waffen zur Unterstützung der Kurden im Kampf gegen den IS geliefert. In bestimmten Situationen können derartige Unterstützungen notwendig und sinnvoll sein.
Die SPD hat am Montag über ihre Haltung zu Russland beraten. Nicht dabei war Bundeskanzler Olaf Scholz. Wie bewerten Sie das?
Olaf Scholz zeigt in zentralen politischen Fragen mangelnde Führung – bei der Impfpflicht, bei den massiven Preissteigerungen durch die Inflation und leider auch in der Außenpolitik. Das ist für die Erwartungen, die international an Deutschland geknüpft sind, ein echtes Problem. Die SPD muss ihre Haltung zum Konflikt mit Russland im eigenen Laden klären und auch ihre Haltung zu Altkanzler Schröder überdenken. Die bewusste Realitätsverfälschung, die Schröder betreibt, ist eines Altkanzlers unwürdig.
Obwohl man von Scholz wenig hört, ist von einer Sehnsucht der Bürger nach einem Kanzler Söder auch nichts zu spüren. War der ganze Streit im vergangenen Jahr unnötig?
Es ist bekannt: Ich hätte mir das Ergebnis bei der Auswahl des Kanzlerkandidaten anders vorgestellt. Und ich glaube auch, dass sich das auf den Ausgang der Bundestagswahl ausgewirkt hätte. Aber der Blick in den Rückspiegel hilft jetzt nicht weiter. Das starke Ergebnis für Friedrich Merz als Parteivorsitzendem ist die Chance auf eine neue Stärke der CDU. Mir geht es jetzt um Geschlossenheit zwischen CDU und CSU und um eine starke gemeinsame Fraktion im Deutschen Bundestag. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Friedrich Merz in der Führung der Fraktion. Wir müssen das bürgerliche Korrektiv und das Kontrastprogramm zur linken Ampel-Politik darstellen.
Die personelle Neuaufstellung der Union ist abgeschlossen. Was muss jetzt passieren?
Die Union muss das Comeback starten. Dazu gehört neben der Tagespolitik auch wieder, die großen gesellschaftlichen Debatten zu führen und grundsätzliche Linien zu denken. Grundprinzipien, die dieses Land leiten, müssen wieder stärker mit der Union in Verbindung gebracht werden, wie Freiheit, Leistung, Gerechtigkeit.
Aber wird man für „größere Linien“ gewählt? Das ist doch auch schwammig.
Wir wollen Haltung zeigen und Orientierung geben, dazu braucht es große überzeugende Linien. Krisenbewältigung allein reicht nicht als politisches Muster. Die Krisen gehen zwar nicht aus, siehe aktuell Preise, Putin, Pandemie, aber das darf uns nicht davon abhalten, die Statik der Union als bürgerliche Kraft in der Mitte unserer Gesellschaft wieder zu festigen.
In einem Papier zu ihrer Klausur, die Mittwoch startet, werfen sie der Regierung vor, es an „Respekt“ missen zu lassen. Ein zentraler Begriff von Olaf Scholz. Wo ist der Aufbruch, den Sie versprechen, wenn Sie anstatt Neues zu formulieren, nur ein Schlagwort der Regierung gegen sie wenden?
Wir machen beides. Aber natürlich muss sich Scholz an seinen Versprechen messen lassen. Respekt zu predigen, reicht nicht. Aktuell erleben wir doch mangelnden Respekt gegenüber Familien, die sich Wohnraum schaffen wollen, weil ihnen über Nacht die Förderungen gestrichen werden. Oder mangelnden Respekt gegenüber Genesenen, weil ihnen über Nacht der Genesenenstatus gestrichen wird. Oder mangelnden Respekt gegenüber Arbeitseinkommen, weil versprochene Entlastungen nicht eingehalten werden, dafür aber die Inflation die Preise nach oben treibt.
Wie passt der Begriff der Freiheit zu dem Plan einer Impfpflicht, den etwa ihr Parteichef weiterhin verfolgt?
Impfen ist natürlich der Weg raus aus der Pandemie und damit zurück zur Normalität und zur Freiheit. Dafür braucht es ein ausgewogenes Konzept. Die Ampel liefert aber Chaos statt Konzepte, weil sich die Bundesregierung weigert, ein Impfgesetz vorzuschlagen. Die aktuell angekündigten vier unterschiedlichen Konzepte der Ampelfraktionen sind der Beleg für die Uneinigkeit in der links-gelben Regierung. Wir werden als Unionsfraktion einen eigenen Vorschlag vorstellen.
Wie soll ihr Vorschlag aussehen?
Wir wollen ein Impf-Vorsorge-Gesetz. Das heißt, eine Impfpflicht kann eine zusätzliche Maßnahme gegen die Pandemie sein, sie muss aber angepasst an die jeweilige Situation sein.
Das Risiko oder die Gefährlichkeit einer Infektionsentwicklung verbunden mit den erwarteten Belastungen des Gesundheitssystems sind dabei die entscheidenden Faktoren. Dabei darf das nur eng zeitlich befristet sein und auf gefährdete Gruppen oder Altersstufen angewendet werden.
Die Grundlage dafür schafft das Impf-Vorsorge-Gesetz, über das Inkraftsetzen müssen Bundestag und Bundesrat explizit noch einmal entscheiden. Das allerdings unter enger wissenschaftlicher Beratung.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach sagt, dass eine solche Impfpflicht auf Vorrat nach Scharfstellen noch einmal fünf bis sechs Monate brauche, um zu greifen.
Es geht hier um Vorsorge. Und vielleicht sollte Lauterbach die Jagd nach dem goldenen Mikrofon einstellen und vorbereitende Maßnahmen angehen, anstatt mit Vermutungen zu agieren. Die Einführung eines Impfregisters wäre zum Beispiel schon eine sinnvolle Maßnahme, die Lauterbach bisher verweigert.
Und was ist mit der kritischen Infrastruktur?
Die Aufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur muss natürlich gewährleistet sein. Das ist ein Element der Betrachtungen in einem situationsbezogenen Vorsorge-Gesetz.
Die Mehrheit der Bürger ist für die Impfpflicht, für Beibehaltung der Corona-Maßnahmen, ja für teils noch verschärfte Maßnahmen. Kann diese Mehrheitsmeinung weiterhin der Maßstab sein?
Die emotionale Balance zwischen Sicherheit und Freiheit wird heute in der Gesellschaft anders beantwortet als noch im letzten Jahr. Omikron und der Impffortschritt haben die Lage komplett verändert. Meine persönlichen Begegnungen unterscheiden sich in Teilen auch von den Umfragen. Bei steigenden Inzidenzen ist es ja auch gelernt, verschärfte Maßnahmen zu befürworten. Aber die Inzidenz als Maßstab hat bei Omikron ausgedient. Die Krankenhausbelegung muss handlungsleitender Maßstab für die Politik sein. Deswegen braucht es im Februar auch Entscheidungen zu Öffnungsperspektiven.
Ist das ein Plädoyer für eine Durchseuchung?
Nein. Aber der Virus wird bleiben und wir müssen unseren Umgang anpassen. Es ist ein Plädoyer für mehr Eigenverantwortung. Noch braucht es Maßnahmen wie die Maskenpflicht. Aber wir müssen eine Perspektive vorstellen, Stück für Stück die Einschränkungen des täglichen Lebens zu reduzieren – im Handel, in der Gastronomie, in Kultur, Sport, Freizeit.
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