Stefan Müller, Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe und Vorsitzender der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe des Bundestages im Interview mit dem Tagesspiegel
Im Interview mit Robert Birnbaum spricht Stefan Müller über mögliche Gründe für die jüngste Verschärfung der Krise auf der koreanischen Halbinsel und über die Reaktion der USA.
Der Tagesspiegel:
Herr Müller, welchen Eindruck haben Sie von Nordkorea nach dem Tod des langjährigen Diktators Kim Jong Il und dem Wechsel zu seinem Sohn gewonnen?
Stefan Müller:
Die Parlamentariergruppe war erst im vorigen Oktober in Nordkorea. Dabei hat sich uns trotz des Wechsels an der Spitze im Großen und Ganzen das gewohnte Bild geboten. Die neue Führung ist bis auf wenige Ausnahmen die alte. Was wir alle schwer einschätzen können ist, welche Rolle Kim Jong Un tatsächlich im Machtgeflecht spielt. Sicher ist, das Kims Onkel Jang Song Taek hinter den Kulissen nach wie vor eine der einflussreichsten Personen in Nordkorea ist.
Möglicherweise hat er im Rahmen des Führungswechsels seinen Einfluss noch ausgebaut.
Der Tagesspiegel:
Hat sich die Lage der normalen Menschen in Nordkorea seither verändert?
Stefan Müller:
Das Regime versucht, Ausländern in Pjöngjang ein Bild relativer Offenheit und wirtschaftlicher Stabilisierung zu vermitteln. Es wird viel neu gebaut und man sieht zum Beispiel auch mehr Menschen, die auf den Straßen mit Handys hantieren. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Leben für „normale“ Menschen in Nordkorea nach wie vor entbehrungsreich ist. Es fehlt an allem, vor allem aber an Energie, Nahrung und Freiheit.
Der Tagesspiegel:
Wie erklären Sie sich die jüngste Krise mit ihren ungewöhnlich scharfen Reaktionen?
Stefan Müller:
Zunächst muss man feststellen, dass diese Eskalation in erster Linie noch immer eine Eskalation der Worte ist. Insofern befinden wir uns – gottlob – noch nicht in einem Stadium einer tatsächlichen militärischen Eskalation, die es in der jüngeren Vergangenheit dort auch schon gab. Denken Sie nur an die mysteriösen, bis heute nicht vollständig geklärten Umstände des Untergangs der südkoreanischen Korvette Cheonan im Jahr 2010. Unübersehbar ist aber die schnelle Abfolge der aktuellen Provokationen aus Pjöngjang. Man kann sicher davon ausgehen, dass auch dort genau überlegt wird, was man sagt und tut. Mein Eindruck ist, dass alles, was wir zurzeit erleben, letztlich dazu dient, den System- und Machterhalt der Familie Kim und der sie umgebenden Elite abzusichern. Auch die persönliche Profilierung Kim Jong Uns dürfte bei alledem eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Und man muss wissen, dass für die Machthaber kaum etwas demütigender ist, als die Tatsache, dass die USA direkten Spitzengesprächen mit dem nordkoreanischen Regime bisher immer eine Absage erteilt haben. Die Hoffnung, die USA so an den Verhandlungstisch zwingen zu können, dürfte sich aber sehr schnell als trügerisch erweisen.
Der Tagesspiegel:
Ist das also wieder nur das gewohnte Säbelrasseln des Nordens?
Stefan Müller:
Wenn meine Einschätzung zutrifft, dass das Regime letztlich alles dem System- und Machterhalt unterordnet, wäre eine tatsächliche Eskalation töricht. Ich erwarte sie also eigentlich nicht. Allerdings wissen wir auch, dass solche Situationen immer die Gefahr bergen, eine schwer kontrollierbare Eigendynamik zu entwickeln.
Der Tagesspiegel:
Verhalten sich die USA klug, wenn sie Tarnkappenbomber nach Korea schicken?
Stefan Müller:
Bei aller Vorsicht: Ja. Denn Klarheit und Stärke sind die einzigen Botschaften, die man in Pjöngjang ganz sicher versteht. Zu dieser militärischen Demonstration von Klarheit und Stärke sollte aber möglichst schnell auch wieder intensivere diplomatische Aktivität treten, bei der den USA und China sicherlich eine gemeinsame Schlüsselrolle zukommt.
Der Tagesspiegel:
Wie empfinden die Menschen in Südkorea solche Situationen?
Stefan Müller:
Nach meiner Beobachtung haben die Südkoreaner gelernt, mit der unklaren Situation ihres geteilten Landes relativ gelassen umzugehen. Sie erleben die nordkoreanischen Provokationen ja seit Jahrzehnten in immer neuen Facetten. Trotzdem ist eine gewisse Verunsicherung in diesen Tagen unübersehbar.