Parlamentarischer Geschäftsführer Stefan Müller im Interview mit dem Deutschlandfunk

Die Bekämpfung des Rechtsextremismus dürfe nicht auf NPD-Verbot reduziert werden, erläutert der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Stefan Müller, im Interview mit Christoph Heinemann vom Deutschlandfunk. Ein mögliches Verbot sei zudem eine juristische und keine politische Entscheidung. Gesellschaft und Politik müssten einen Weg finden, das ‚braune Gedankengut‘ vollständig zu verdrängen.

Deutschlandfunk:
Koalitionsgipfel im Kanzleramt gestern - Themen waren etwa eine Begrenzung von Managergehältern und kleinere steuerliche Entlastungsschritte, weil die im Jahressteuergesetz 2013 geplanten großen Vorhaben im Vermittlungsausschuss scheiterten. Und Exit bleibt der Exitus erspart. Das heißt, die schwarz-gelbe Koalition will das Neonazi-Aussteigerprogramm Exit fortführen. Das kostet etwa 165.000 Euro jährlich. Geplant ist jetzt eine Bestandsgarantie des Bundes für die nächsten drei Jahre. Und das sollte man ruhig mal in einem anderen Zusammenhang sehen, denn am Mittwoch hatte die Regierung ja entschieden, dass sie ein Verbot der NPD nicht beantragen werde, anders als der Bundesrat. Schauen wir also mal, ob das Ja zu Exit mit dem Nein zum NPD-Verbot zu tun hat. Möchte sich die Bundesregierung vom Vorwurf freikaufen, sie unternehme nicht genug gegen Neonazis?

Stefan Müller:
Die Situation war ja bei dem Exit-Programm so, dass die Förderung durch den europäischen Sozialfonds ausgelaufen wäre oder ausläuft, und jetzt eben die Frage ist, ob man dieses erfolgreiche Programm fortsetzt oder nicht. Und wir haben in der Tat gestern im Koalitionsausschuss entschieden, dass es fortgesetzt wird und eben nicht mehr mit Mitteln aus dem europäischen Sozialfonds, sondern aus Bundesmitteln. Damit wird eines der zahlreichen Programme fortgesetzt, die es ja heute schon gibt. Ich halte das deswegen auch für wichtig und entscheidend, weil wir natürlich im Augenblick die Situation haben, dass das Thema Bekämpfung von Rechtsextremismus zu sehr auf eine Verbotsdebatte über die NPD verkürzt wird, und ich denke, entscheidend ist, wie wir in Gesellschaft und Politik insgesamt mit dem Thema Rechtsextremismus und vor allem auch Bekämpfung desselben dann umgehen.

Deutschlandfunk:
Ein Verbot, das die CSU ja befürwortet.

Stefan Müller:
Nun, ich mache keinen Hehl daraus, dass wir auch in der CSU da durchaus unterschiedliche Auffassungen haben. Es gab auch Kollegen in meiner CSU-Landesgruppe, die da eher kritisch waren, wie viele Kollegen in der FDP und auch Kollegen innerhalb der Oppositionsfraktionen. Aber Sie haben recht dem Grunde nach: Wir haben dieses Verbotsverfahren unterstützt. Insbesondere der Freistaat Bayern hat dieses Verbotsverfahren unterstützt. Man muss aber auch respektieren und akzeptieren, dass es auch im Deutschen Bundestag da andere Auffassungen insbesondere bei der FDP gibt.

Deutschlandfunk:
Herr Müller, ich weiß nicht, ob Sie den ZDF-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter" gesehen haben, der ja noch einmal bebildert hat, wofür die Nazis stehen: für Rassismus, für Töten, für Not und für Elend. Wieso schafft es diese Bundesregierung nicht, das Verbot einer rechtsextremen Partei zu beantragen?

Stefan Müller:
Wir sind uns ja darüber einig, dass die NPD eine verfassungsfeindliche Partei ist. Und deshalb wird es auch einen Verbotsantrag des Bundesrats geben. Ich sage noch mal: Ich finde das richtig. Nun muss man halt auch immer wieder feststellen, dass ein Parteiverbot eine juristische und eben keine politische Entscheidung ist. Also die Frage, ob nun die NPD verboten wird oder nicht, entscheidet einzig und allein das Bundesverfassungsgericht, und fürs Bundesverfassungsgericht ist es ja dem Vernehmen nach auch unerheblich, ob nun ein, zwei oder drei Verfassungsorgane einen solchen Antrag stellen.

Deutschlandfunk:
Gut! Aber in der öffentlichen Wahrnehmung lässt die Bundesregierung den Bundesrat im Regen stehen.

Stefan Müller:
Wir haben zugesagt, beziehungsweise die Bundesregierung hat zugesagt, dass sie den Bundesrat, die Bundesländer bei dem Anliegen, auch bei dem Verbotsantrag bestmöglich unterstützt. Es gibt Material, es gibt Erkenntnisse beim Bundesamt für Verfassungsschutz, das wird zur Verfügung gestellt. Und ich sage noch mal: Auch gerade wenn es insgesamt um die Frage geht, wie wir mit Rechtsextremismus umgehen, ist es eben nicht nur allein entscheidend, was passiert mit dem Verbotsantrag, sondern wie gehen wir insgesamt auch damit um, was tun wir in Gesellschaft und Politik, um dieses braune Gedankengut auch weiter zu verdrängen. Und deswegen, glaube ich, ist es völlig unerheblich, insbesondere für den Verbotsantrag vor dem Bundesverfassungsgericht, ob nun Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag einen solchen Antrag stellen. Es wird dieses Verfahren geben. Ich glaube aber, dass das Bundesverfassungsgericht sich natürlich auch - das wurde ja auch schon mitgeteilt - von anderen Dingen leiten lassen wird, als das bei früheren Verbotsanträgen der Fall war, und natürlich muss auch berücksichtigt werden, was auf europäischer Ebene zu Parteiverboten bislang gemacht worden ist.

Deutschlandfunk:
Herr Müller, es ist eben nicht unerheblich, ob die Regierung jetzt das unterstützt oder nicht. Deshalb noch mal die Frage: Wedelt in der Koalition der Hund Union mit dem Schwanz FDP?

Stefan Müller:
Ich sage noch mal: Man muss respektieren und akzeptieren, dass es unterschiedliche Auffassungen bei diesem Thema gibt. Und das ist ja nicht einfach so aus der Luft gegriffen. Ich respektiere insbesondere die Meinung von den Kollegen, die ein solches Verfahren ja seinerzeit schon einmal mit beschlossen haben und seinerzeit ja dieses Verfahren nicht erfolgreich war, wie wir wissen. Und dass es vor diesem Hintergrund durchaus Bedenken gibt, dass dieses zweite Verfahren auch scheitern könnte, finde ich, die sind noch nicht ganz aus der Luft gegriffen und das muss man auch entsprechend respektieren. Im Übrigen, ich will ja nur darauf hinweisen: Aber nicht nur die FDP hat erhebliche Bedenken, sondern auch Teile der Grünen sind eben nicht davon überzeugt, dass ein solches Verbotsverfahren erfolgreich sein wird, und natürlich gibt es auch Angst davor, dass, wenn es nicht erfolgreich ist, dadurch eine Partei wie die NPD gestärkt wird.

Deutschlandfunk:
Herr Müller, der Bundesrat wird sich heute - und damit zu einem anderen Thema - mit dem Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung von Personen gleichen Geschlechts befassen. Aus der Regierungskoalition hört man auch bei diesem Thema Hü und Hott. Die Union ist in Teilen dagegen, die FDP dafür. Wie macht man aus der heterogenen eine homogene Koalition?

Stefan Müller:
Wir haben ja das Thema Gleichstellung und Lebenspartnerschaften, insbesondere was die steuerliche Gleichstellung angeht, nun auch nicht erst in den letzten Wochen entdeckt, sondern dieses Thema beschäftigt uns ja schon seit Längerem. Ich erinnere mich, dass es jedenfalls in den vergangenen zwei oder drei Jahren regelmäßig auch in der Sommerpause eine gewisse Rolle gespielt hat …

Deutschlandfunk:
Beziehungsweise dann, wenn Karlsruhe geurteilt hat?

Stefan Müller:
Und dann stellt sich dieses Thema ja erst recht. Wir haben schon vor einiger Zeit gesagt, wir warten auf das Urteil aus Karlsruhe. Ich halte das im Übrigen auch für sachgerecht, nicht jetzt schon eine Entscheidung vorwegzunehmen, von der man annimmt, dass Karlsruhe sie dann treffen wird. Ich denke, wir haben noch ausreichend Zeit, uns mit dieser Frage dann zu beschäftigen, aber dann eben auch auf einer fundierten Grundlage, nämlich mit dem Text des Urteils.

Deutschlandfunk:
Das heißt, Sie warten, bis das Bundesverfassungsgericht Ihnen einmal mehr bescheinigt, dass Sie hinterm Mond leben?

Stefan Müller:
Es ist ja ein Unterschied, ob das Bundesverfassungsgericht einen Zustand beendet, der nun schon seit Jahrzehnten besteht, oder ob das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung trifft, die mit einer aktuellen, vielleicht auch Bundestagsentscheidung zu tun hat. Nichtsdestotrotz, ich sage noch mal: Für uns ist wichtig, dass wir dieses Urteil jetzt abwarten. Das war auch bisher die Linie der CSU, und daran halten wir uns.

Deutschlandfunk:
Die FDP, namentlich Christian Lindner, hat vor Kurzem einen Gruppenantrag ins Gespräch gebracht, also eine fraktionsübergreifende Lösung. Wäre das der bessere Weg vielleicht?

Stefan Müller:
Wir haben nun einige Kollegen, die - das ist ja auch öffentlich geäußert worden - dazu eine andere Auffassung haben als ich persönlich oder auch meine CSU-Kollegen. Bislang gibt es keine Initiative für einen Gruppenantrag.

Deutschlandfunk:
Herr Müller, noch mal zum Koalitionsgipfel. Normalerweise werden da ja die großen Dinge des Lebens besprochen und geklärt, oder die großen streitigen Fragen. Gestern ging es jetzt doch eher um Kleinteiliges. Was bekommt diese Regierung absehbar bis zur Wahl im Herbst überhaupt noch zustande?

Stefan Müller:
Das wird auch maßgeblich davon abhängen, welche Initiativen auch im Bundesrat oder die Bundesländer bereit sind mitzutragen. Gestern beispielsweise das Thema Energiepolitik. Ich halte es schon für sehr bemerkenswert, wenn von den Bundesländern einerseits gesagt wird, es muss was getan werden, aber es darf nichts passieren. Also diese Politik nach dem Motto, wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass, wird jedenfalls nicht weiterführen. Die Mehrheit im Bundesrat liegt bei Rot-Grün oder bei Rot-Rot-Grün, und Mehrheit bedeutet eben auch Verantwortung. Insofern ist es wichtig, sich dort auf etwas zu verständigen. Wir werden jetzt einen weiteren Versuch starten im Bereich der Steuerpolitik. Das heißt, auch das ist gestern ja im Koalitionsausschuss noch mal vereinbart worden, dass Teile des Jahressteuergesetzes, das gescheitert ist, noch einmal aufgegriffen werden. Das sind im Übrigen die Inhalte, mit denen wir uns oder über die wir uns schon mit Rot-Grün verständigt haben, und jetzt wird sich eben zeigen, ob man es ernst meint damit, dass man auch solche Initiativen noch durchsetzen möchte.


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