Redeauszug der Bundestagsabgeordneten Andrea Lindholz in der Bundestagsdebatte zum Bundesverfassungsgericht (Änderung GG und BVerfGG), 10.10.2024.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vor 75 Jahren, nämlich am 23. Mai 1949, verkündete Konrad Adenauer als Präsident des Parlamentarischen Rates das Grundgesetz. Es enthielt schon damals Regelungen für die zu dieser Zeit neu erdachte Institution eines Bundesverfassungsgerichtes, wenngleich diese aber noch wenig ausführlich waren; denn die Mütter und Väter des Grundgesetzes überließen es dem Gesetzgeber, dem Deutschen Bundestag, weitere Regelungen für das neu geschaffene Gericht zu erlassen. So wurde dann auch zwei Jahre später das Bundesverfassungsgerichtsgesetz im Bundestag verabschiedet und trat in Kraft.
Das Gericht selbst wurde damals noch misstrauisch beäugt, und so begründete und verfestigte es auch selbst mit einer Statusdenkschrift seine Stellung als Verfassungsorgan. Und auch wenn heute kein Demokrat die Stellung des Bundesverfassungsgerichtes, seine Auf-gaben im Gefüge der Staatsorganisation und die Verbindlichkeit seiner Entscheidungen anzweifeln würde, so war im Jahr 1949 der Status des Bundesverfassungsgerichtes, den es heute innehat, noch nicht abzusehen. Und auch wir sehen: Der Status, wie wir ihn heute kennen und bewahren wollen, ist somit keine Selbstverständlichkeit. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auch der Ausgangspunkt gewesen für viele Diskussionen um die Resilienz des Bundesverfassungsgerichtes, die im Übrigen nicht neu sind, sondern die schon seit den 90er-Jahren geführt werden.
Wir haben uns daher als CDU/CSU-Bundestagsfraktion gemeinsam mit den Ampelfraktionen dazu entschieden, das 75-jährige Bestehen des Grundgesetzes auch zum Anlass zu nehmen, diejenigen Regelungen, die sich über 75 Jahre im Westen und über 34 Jahre im Osten Deutschlands zweifelsohne bewährt haben und die auch von besonderer Bedeutung sind, im Grundgesetz festzuschreiben.
Dazu gehören zum einen Statusfragen und Strukturmerk-male. Das ist der Status des Gerichtes, es sind Strukturmerkmale wie die Anzahl der Senate und die Bindungswirkung von Entscheidungen, um nur drei zu nennen. Warum ist das wichtig? Das Bundesverfassungsgericht erhält damit die gleiche stabile Position in unserer Verfassung, die auch andere Verfassungsorgane haben.
Unser Grundgesetz hat sich als tragfähiges und strapazierfähiges Fundament unserer Gesellschaft bewährt. Aber wir sehen auch – und wir können und wir dürfen es nicht leugnen –: Unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung, sie steht unter Druck. Wir sehen, dass sich Parteienlandschaften verändern. Wir sehen, dass die Parteien an den politischen Rändern stärker werden. Im Zuge dieser schwierigen Lage, die es ohne Zweifel aus meiner Sicht politisch zu lösen gilt, haben wir als Parlamentarier aber auch die Verantwortung, die Gefahr zu bewerten, dass destruktive Kräfte in den Parlamenten eine sogenannte Sperrminorität – das sind etwas mehr als 33 Prozent an Stimmen – nutzen könnten, um die Richterwahl zu blockieren und damit auch die Arbeitsfähigkeit des Gerichtes zu gefährden.
Im europäischen Ausland sehen wir, dass eine unabhängige Justiz zuerst wankt, wenn destruktive Kräfte wirken. Wir haben uns daher der Verantwortung angenommen, eine Lösung dafür zu überlegen, und wir schlagen Ihnen deshalb mit den Regelungen auch eine Öffnungsklausel im Grundgesetz vor, kombiniert mit einem sogenannten Blockadelösungsmechanismus für die Richterwahl im Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Damit werden keine Stimmen ausgeschlossen. Es wird aber an einem demokratischen Konsens festgehalten, und es wird vor allen Dingen für eine spezifische Situation, die sich niemand von uns wünscht, die wir aber eben auch nicht absolut ausschließen können, eine Lösung angeboten.
Gerade an dieser Stelle stärken wir auch die Rolle der Länder in dem Gesamtgefüge. Denn unser Vorschlag ist, dass, falls es zu einer Blockade im Bundestag oder im Bundesrat kommt, das jeweils andere Organ das sogenannte Ersatzwahlorgan ist und dann die Wahl vornehmen kann, dass aber – und das war uns wichtig – bis zum Schluss das ursprünglich zuständige Organ die Wahl auch vornehmen kann. Diese Möglichkeit bleibt bis zum Schluss erhalten.
Sie sehen, Sie hören: Wir haben mit uns an vielen Stellen gerungen. Aber am Ende sind es nicht die gesetzlichen Regelungen, die das Bundesverfassungsgericht noch besser schützen. Es braucht Politiker, die ihrer Verantwortung gerecht werden und die Akzeptanz unserer Institutionen verteidigen. Es braucht die Bürgerinnen und Bürger. Es braucht uns, die die staatlichen Institutionen als die ihren begreifen und auch sehen, welchen Mehrwert sie für unser demokratisches System mit sich bringen. Und es braucht die politischen Parteien der Mitte der Gesellschaft, die die Herausforderungen unserer Zeit anpacken und lösen und die Bürgerinnen und Bürger von ihrer Politik überzeugen. In diesen Gesamtkontext passt das sogenannte Böckenförde-Diktum aus meiner Sicht wie kaum ein anderes. Er hat formuliert: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Verantwortlich dafür sind wir alle.
Auch ich möchte zum Schluss ganz herzlich Danke schön sagen, weil es kein einfacher Prozess war. Aber, sehr geehrter Herr Bundesjustizminister Buschmann, Sie waren mehr als ein Moderator, weil Sie sich auch selbst positioniert haben. Ihnen und Ihren Mitarbeitern, die uns immer wieder auch Material und Informationen in den Runden nachgeliefert haben, an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön dafür!
Bedanken möchte ich mich auch bei den Kolleginnen und Kollegen der Ampel. Wir haben konstruktive und gute Gespräche geführt, und das ist nicht so dahingesagt. Wir haben gerungen bei jeder Regelung. Wir haben uns viele Gedanken gemacht. Wir haben es uns nicht leicht gemacht, aber am Schluss haben wir eine gemeinsame Lösung gefunden. Ich finde, auch das ist in dieser Zeit ein sehr, sehr gutes Zeichen. Ich sage an dieser Stelle von Herzen auch Danke schön dafür, dass wir gezeigt haben, dass das möglich ist.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen heute um Unterstützung für unsere Vorschläge. Unser Grundgesetz hat sich als Garant für eine freiheitliche Gesellschaft bewährt. Wir schlagen maßvolle, bewährte Ergänzungen für das Bundesverfassungsgericht vor – maßvolle, bewährte Regelungen. Wir beenden damit aber auch eine Diskussion, die schon lange währt. Ich glaube, das ist gut so, dass wir unser Bundesverfassungsgericht in Teilen in der Verfassung verankern. Daher bitte ich auch um Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.