Redeauszug der Bundestagsabgeordneten Anja Weisgerber in der Aktuellen Stunde im Deutschen Bundestag: Kernkraft-Aus – Vorgänge um BM Habeck und BM Lemke, 15.5.2024:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Wissen Sie, was mich an dieser Debatte am meisten ärgert? Dass die Bundesminister Habeck und Lemke bis heute so tun, dass eine ergebnisoffene Prüfung zu einer längeren Nutzung der drei letzten Kernkraftwerke stattgefunden hätte und dass die Entscheidung rein auf Fakten beruhte. Es solle eine Prüfung „ohne Denktabus“ geben, so hat es Robert Habeck versprochen. Es war aber nicht so. Und das ist die Frage, um die es in dieser Debatte heute geht, und die blieb unbeantwortet, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Was in den Vermerken der Fachabteilungen nicht passte, wurde durch die politischen Ebenen einfach passend gemacht. Die uns vorliegenden Unterlagen und die zeitlichen Abläufe weisen deutlich darauf hin, dass die Prüfung nicht ergebnisoffen und ohne Denktabus stattgefunden hat. Dass die Menschen hinters Licht geführt und getäuscht wurden, ist absolut unverantwortlich und aus meiner Sicht ein handfester Skandal, meine Damen und Herren.

Kurz nach dem Ausbruch des Angriffskrieges gegen die Ukraine hat Bundesminister Habeck am 27. Februar 2022 öffentlich diese ergebnisoffene Prüfung zugesagt. Bereits einen Tag später, am 28. Februar 2022, schließt Bundesministerin Lemke einen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke aus sicherheitstechnischen Gründen kategorisch aus. In nur einem Tag können doch keine seriöse Prüfung und keine Abwägung, wie Sie sie gerade beschrieben haben, stattgefunden haben. Das ist doch ein Schauspiel, das Sie den Menschen des Landes hier vorgeführt haben.

Von der obersten Atomaufsicht unseres Landes, der Bundesumweltministerin, erwarte ich eine faktenbasierte, saubere und unvoreingenommene Prüfung. Das Fachreferat Ihres Ministeriums hat diese Prüfung auch aktenkundig am 1. März 2022 abgeliefert. Es hat aber keine Empfehlung ausgegeben, dass der Weiterbetrieb der Kernkraftwerke nicht möglich sei. In dem Vermerk wurde sehr neutral dargestellt, unter welchen Voraussetzungen ein Weiterbetrieb möglich wäre und wie das auch aus sicherheitstechnischen Erwägungen verantwortbar wäre. Das ist die Wahrheit. Aber dann kam Gerrit Niehaus, der entsprechende Abteilungsleiter, ins Spiel. Er erstellte bereits zwei Tage später, also am 3. März, einen weiteren Vermerk und gab der ganzen Sache eine ganz andere Richtung. Auf einmal war nur noch zu lesen, warum alles nicht geht, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Es ist doch offensichtlich, dass eine Prüfung ohne Denktabus nicht stattgefunden hat, sondern dass die Diskussion über den Weiterbetrieb möglichst schnell abgewürgt werden sollte. Das ist doch die Wahrheit.

Glauben Sie mir: Die Menschen in unserem Land merken, wenn sie hinters Licht geführt werden und Parteiinteressen über die Interessen des Landes gestellt werden.

Sie entscheiden nach Ideologie und nicht danach, was unser Land jetzt braucht.

Bundesministerin Lemke beteuert, sie habe bereits durch einen früheren Vermerk am 9. Februar über die wesentlichen sicherheitstechnischen Fragen Bescheid gewusst und auf dieser Basis dann auch weiter entschieden. Aber wurde da denn schon externer Sachverstand hinzugezogen, die Reaktor-Sicherheitskommission oder die Experten von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit? Nein, das war wohl nicht so.

Und es kam noch besser: Anscheinend kannte die Ministerin den Vermerk ihres Abteilungsleiters vom 3. März mit den politischen Schlussfolgerungen gar nicht. Der ging wohl an ihr vorbei an das Energieministerium. Bei solch weitreichenden Entscheidungen wurden Sie also offensichtlich gar nicht umfassend informiert. Das sind doch unhaltbare Zustände in Ihrem Haus. Das geht doch so gar nicht, Frau Ministerin!

Deswegen sage ich an der Stelle: Frau Ministerin, aus meiner Sicht konnten Sie weder in unserem Ausschuss noch heute hier in der Debatte diese Vorwürfe ausräumen, und deshalb müssen aus meiner Sicht die Vorgänge parlamentarisch untersucht werden.

Die Verantwortung nun auch noch auf die Betreiber abzuwälzen, ist mehr als billig. In einer sagenumwobenen Telefonschalte mit Robert Habeck wurden die Chefs der Kernkraftwerksbetreiber mit zweifelhaften Behauptungen zugeschüttet, und innerhalb einer Frist von wenigen Stunden mussten sie Stellung nehmen. Dass jetzt noch behauptet wird, die Betreiber wollten den Weiterbetrieb nicht, ist schlicht falsch, und auch das haben sie öffentlich bestätigt.

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