Redeauszug der Bundestagsabgeordneten Dr. Anja Weisgerber in der Bundestagsdebatte zum Wasserstoffhochlauf, 20.10.2023.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! 

Wenn man die Ampel bei ihrer Regierungstätigkeit beobachtet, kommt man sich schnell vor wie bei „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Erst kommen die großen Ankündigungen, daraufhin folgt der Streit unter den Ampelpartnern, dann kommt lange nichts – in der Zwischenzeit stellen wir die entsprechenden An-träge –, und am Ende wird ein halbgares, unvollständiges Ergebnis präsentiert.

So war es auch mit der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie: lange angekündigt, viel gestritten, oft verschoben. Mit unserem Antrag, den wir heute abschließend beraten, haben wir bereits vor Monaten wert-volle Impulse gesetzt. Wenn sie schon zu spät auf uns als konstruktive Opposition eingeht, hätte die Ampel doch wenigstens über den Tellerrand hinausblicken können.

Es wurde schon angesprochen: Die USA zeigen mit ihrem Inflation Reduction Act, wie eine starke Wirtschaft und Klimaschutz gemeinsam vorangehen können. Hier werden grüner und blauer Wasserstoff stark gefördert. Schon jetzt fließen Investitionen in den Wasserstoff in Milliardenhöhe aus Europa in die USA ab. Deutschland darf dahinter nicht zurückfallen, sondern muss nachziehen; denn Wasserstoff in allen Farben ist der Schlüssel für eine starke und klimafreundliche Volkswirtschaft.
Frau Nestle, Sie sprachen davon, dass wir Verantwortung übernehmen müssen. Damit der Wasserstoffhochlauf gelingt, müssen wir aber eben allen emissionsarmen und emissionsfreien Wasserstoffformen eine Chance geben, sie zulassen und auch fördern. Das bedeutet, Verantwortung zu übernehmen. Wir müssen doch alle Formen des Wasserstoffs nutzen und dürfen keine Optionen ausschließen, meine Damen und Herren.

Genau das fordern wir in unserem Antrag, und das fordern auch alle Experten aus der Branche, auf die Sie an dieser Stelle nicht hören.
Herr Kruse, Sie behaupten, dass Sie alle Farben des Wasserstoffs nutzen wollen und dass das auch in der Wasserstoffstrategie festgelegt wird.
Schauen wir doch mal in die Wasserstoffstrategie rein! Die Fortschreibung der Wasserstoffstrategie enthält genau an einer Stelle den Verweis auf den türkisen Wasserstoff, also den Wasserstoff, der aus der Spaltung von Methan gewonnen wird, und an zwei Stellen ganz kurz einen Verweis auf den blauen Wasserstoff, bei dem das Beiprodukt CO2 aufgefangen wird.

Auch der orangene Wasserstoff aus Biomasse findet kaum Berücksichtigung. In Ihrer Wasserstoffstrategie liegt der Fokus ohnehin eher darauf, den blauen Wasserstoff zu verhindern, und zu beschreiben, was alles nicht geht. So sagen Sie zum Beispiel, es müssten erst einmal Schwellenwerte für die Treibhausgasemissionen festgelegt werden, bis zu denen der blaue Wasserstoff als emissionsarm gilt. Aber dann setzen Sie sich doch auf EU-Ebene dafür ein, dass dieser Schwellenwert festgelegt wird! Damit es beim blauen Wasserstoff voran-geht, muss die Möglichkeit der CO2-Speicherung in der EU etabliert werden; das ist doch die Wahrheit. Wie lange wollen Sie das denn noch hinauszögern, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen?

Wenn Sie sich jetzt wieder – das ist genau das, was ich gerade sagen wollte – auf die Kommissionspräsidentin beziehen, dann möchte ich Ihnen antworten. Herr Kruse – es wäre schön, wenn Sie mir mal zuhören würden, wenn ich Ihnen auf Ihren Zwischenruf antworte –, Sie verweisen immer auf die Kommissionspräsidentin. Als ehemalige Europaabgeordnete möchte ich Ihnen noch einmal erklären, wie das Gesetzgebungsverfahren in der EU funktioniert:

Die Kommission bringt die Vorschläge ein; aber dann ist die Kommission eigentlich nur noch beratend tätig. Gesetzgeber auf europäischer Ebene sind das EU-Parlament und der Rat und damit entsprechend die Minister dieser deutschen Bundesregierung. – Kämpfen Sie doch endlich mal dafür, dass die CO2-Speicherung in der EU etabliert wird! Verweisen Sie nicht in jeder Rede immer wieder auf Ursula von der Leyen, sondern handeln Sie selbst!

Wenn das Projekt Wasserstoff ein Erfolg werden soll, dann müssen wir doch pragmatisch handeln. Und wir müssen vor allem schnell und technologieoffen handeln. Die Welt wartet nicht auf uns. Meine Damen und Herren von den Grünen und auch von der ganzen Ampelkoalition, legen Sie endlich die Scheuklappen ab, und nutzen Sie alle Technologien, damit der Wasserstoffhochlauf wirklich gelingt!

In Bayern sind wir schon ein gutes Stück weiter. Schon seit Jahren richtet die Bayerische Staatsregierung ihre Bemühungen darauf aus, eine regionale und dezentrale Wasserstoffproduktion zu unterstützen und hochzufahren. Erst vor wenigen Wochen wurde ein großes Förderprogramm gestartet. Es stehen 150 Millionen Euro zur Verfügung, um bis zu 50 Elektrolyseure zur Produktion von grünem Wasserstoff sowie die dafür notwendigen erneuerbaren Kapazitäten in ganz Bayern zu errichten. Und das ist nur der Anfang. Damit werden wir auch unsere Abhängigkeit von Wasserstoffimporten reduzieren. Wir in Bayern gehen voran, auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien. – Da ich jetzt schon weiß, welche Zwischenfrage kommt, lasse ich sie gerne zu.

Präsidentin Bärbel Bas:

Gut, wenn Sie das zulassen, hat Herr Banaszak das Wort.

Felix Banaszak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Frau Dr. Weisgerber, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Jetzt sind wir mal gespannt, ob Sie mit Ihrer Annahme richtigliegen.
Zu meiner ersten Frage. Sie haben gerade dargestellt, dass die Kommissionspräsidentin eigentlich gar nichts mit dem zu tun hat, was auf europäischer Ebene besprochen wird. Planen Sie eigentlich, im nächsten Jahr einen Europawahlkampf mit einer Kommissionspräsidentin zu machen, die etwas bewirken will, oder sagen Sie: „Nein, mit dem, was auf europäischer Ebene beschlossen wird, hat Frau von der Leyen wirklich gar nichts zu tun“? Dann kann es ja auch jemand anders machen. Wir haben da vielleicht ein Angebot; da freuen wir uns aufs nächste Jahr.

Zweite Frage. Frau Dr. Weisgerber, Sie sagen, Bayern gehe richtig voran. In jedem Bundesland gibt es Förderprogramme, die das ergänzen, was wir auf Bundesebene haben. In Nordrhein-Westfalen haben wir beispielsweise H2KMU, explizit für kleine und mittelständische Unter-nehmen. Überall gibt es einen glaubwürdigen Zusammenhang zwischen der Erzeugung der erneuerbaren Energien und der Nutzung. In Bayern haben wir die Situation, dass Herr Söder 1 000 neue Windkraftwerke an-gekündigt hat, aber vier liefert. Wie viel, glauben Sie, ist dann von Ihrem Förderprogramm am Ende zu halten?

Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Kollege, vielen Dank für Ihre Zwischenfrage. – Was ich zur Arbeit auf europäischer Ebene erklärt habe, ist, wie das Gesetzgebungsverfahren funktioniert. Natürlich bringt die Kommission, auch Ursula von der Leyen, die Vorschläge ein. Aber die Gestaltung muss durch den Rat und das Parlament erfolgen. Bei jeder Ihrer Reden verweisen Sie auf 16 Jahre unionsgeführte Regierung und immer wieder auch auf die Kommissionspräsidentin.
Aber nehmen Sie doch einfach mal Ihre eigene Verantwortung im Europaparlament wahr! Der Kollege Pieper hat übrigens beim Thema „Wasserstoff und Wasserstoffhochlauf“ viele Erfolge erzielen können. Unterstützen Sie doch mal den Kollegen Pieper an dieser Stelle, und flankieren Sie dieses Handeln durch Ihre Minister im Rat, anstatt immer wieder auf Ursula von der Leyen zu verweisen!

Zu Ihrer zweiten Frage. Auf diese Frage habe ich in der Tat gewartet. Es wird immer wieder behauptet, dass wir in Bayern beim Ausbau der erneuerbaren Energien zurückfallen. Die Wahrheit ist doch – das ist etwas, was ich selbst Minister Habeck gefragt habe –, dass wir in Bezug auf die installierte Leistung bei allen erneuerbaren Energieformen an der Spitze liegen. Und bei der Windkraft – ich habe das gerade noch mal herausgesucht – liegen wir im Mittelfeld, noch vor Baden-Württemberg.
Jetzt muss ich Ihnen noch mal etwas zu den Genehmigungsverfahren sagen. Wir haben im Bayerischen Land-tag jetzt die Weichen dafür gestellt, dass es beim Thema Windkraft in Zukunft neuen Schwung gibt. Genehmigungsverfahren dauern. Aber schon jetzt wurden über 130 Verträge für Windenergievorhaben unterschrieben, und über 300 weitere Anfragen liegen auf dem Tisch. Schauen wir im nächsten Jahr doch mal, ob es vielleicht so ist wie bei allen anderen erneuerbaren Energieformen, nämlich dass ihr uns dann nur noch zuschaut, wie wir in Bayern davonziehen!

Wir müssen schnellstmöglich mit dem Aufbau einer Infrastruktur für die Verteilung von Wasserstoff in Deutschland und auch für den Import beginnen. Das Wasserstoffkernnetz ist dafür der richtige erste Schritt. Aber auch hier braucht es schnell Klarheit über den regulatorischen Rahmen und insbesondere über die Finanzierung. Die Netzbetreiber und auch die Unternehmen brauchen langfristige Perspektiven und Investitionssicherheit, auch bezüglich der Infrastruktur.
Zur Wahrheit gehört auch, dass wir in Deutschland unseren Wasserstoffbedarf nicht alleine decken können, weder in Bayern noch in Deutschland insgesamt. Beim Aufbau der Importinfrastruktur müssen wir aber in alle Himmelsrichtungen schauen. Der Wasserstoff darf nicht nur vom Norden oder vom Westen nach Deutschland kommen. Wir sehen gerade aus der bayerischen Perspektive großes Potenzial für den Import von Wasserstoff aus Süd- und Südosteuropa sowie aus Afrika. Die Importinfrastruktur müssen wir daher auch vom Süden her denken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland als Industriestandort im Herzen Europas mit seiner gut ausgebauten Gasinfrastruktur hat beste Voraussetzungen, auch europaweit zur Wasserstoffdrehschreibe zu werden. Wir sind weltweit für unsere Ingenieurskunst bekannt.

Deutschland ist Innovationsstandort und muss es auch bleiben. Wir entwickeln die Technik für den Wasserstoffhochlauf und müssen in Deutschland und Europa voran-gehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von den Ampelfraktionen, ich sage es noch einmal: Legen Sie die Scheuklappen ab! Denken Sie an alle Optionen! Nutzen Sie vollumfänglich alle Technologien! Es gibt mehr als nur Strom und die Elektrifizierung. Deutschland kann das. Die Bundesregierung muss es ihrem Land aber auch zutrauen und die Themen einfach noch beherzter angehen.

Vielen Dank.
 

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