Redeauszug des Bundestagsabgeordneten Volker Ullrich in der Bundestagsdebatte zu 30 Jahre Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien am 25.5.2023:
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa war die politische Stimmung von einer Erwartung nach Freiheit, Frieden und Demokratie gekennzeichnet. Und kaum ein Jahr nach den Ereignissen von 1989 ist in Jugoslawien ein furchtbarer Krieg mit grausamen ethnischen Säuberungen ausgebrochen. Dass dieser Krieg zu Beginn der 90er-Jahre über viele Jahre hinweg vor unseren Augen und vor unserer Haustür passiert ist, muss uns ob unserer jahrelangen Handlungsunfähigkeit heute noch beschämen. Umso wichtiger ist, dass das Recht die Aufgabe in die Hand genommen hat, zu zeigen, dass Kriegsverbrechen sich nicht lohnen dürfen, und dass heute vor 30 Jahren der Gerichtshof für das ehemalige Jugoslawien seine Arbeit aufnehmen konnte.
Gerechtigkeit dauert. Das Verfahren gegen Slobodan Milosevic wurde erst 2002 begonnen, die letzten Berufungsurteile erst vor sechs Jahren gefällt, also knapp 30 Jahre später. Das ist auch das richtige Zeichen für die Aufarbeitung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Es wird dauern. Gerechtigkeit braucht einen langen Atem; aber das Völkerrecht muss siegen, und Kriegsverbrechen müssen abgeurteilt werden. Das ist die wichtige Botschaft dieses Tribunals.
Es muss uns auch nachdenklich stimmen, dass dieses Tribunal, obwohl 1993 gestartet, weder die grausame Belagerung von Sarajevo noch den Genozid in Srebrenica 1995 verhindern konnte. Aber es hat dafür gesorgt, dass aufgearbeitet wurde. Die Aufarbeitung hat den Opfern ihre Würde zurückgegeben und dafür gesorgt, dass eine Grundlage für ein friedliches Miteinander in den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens geschaffen wurde.
Aber die Schatten dieses Krieges sind nicht völlig verschwunden; die Geister der Vergangenheit sind noch aktiv. Deswegen muss von dieser Debatte auch das Signal ausgehen, dass Europa und die westliche Staatengemeinschaft weder Destabilisierung noch eine Klitterung der Geschichte akzeptieren, sondern dass wir Völkermorde als Völkermorde benennen müssen und dass nur aus der Aufarbeitung und aus dem gegenseitigen Miteinander eine Situation entstehen kann, bei der es eine friedliche, demokratische und freiheitliche Zukunft auf dem Balkan gibt. Das ist die Lehre aus diesem Strafgerichtshof.
Herzlichen Dank.
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