„Mit größtem Interesse“ beobachtet Alexander Dobrindt, Landesgruppenchef der CSU, die Suche nach einem neuen CDU-Vorsitzenden.
Hat die Politik das Anschwellen der vierten Corona-Welle verschlafen?
Die vierte Welle kommt mit einer größeren Wucht als man das erwartet hat. Das Infektionsgeschehen explodiert, die Hospitalisierung und die Belegung der Intensivbetten steigen und die dritte Impfung muss erst an Fahrt gewinnen. Das steigert die Handlungsnotwendigkeit der Politik. Umso dramatischer ist, dass die zukünftige links-gelbe Koalition die epidemische Lage nicht verlängern will. Im August hat sich Olaf Scholz noch für eine Verlängerung ausgesprochen. Heute, bei mehr Kranken, bei mehr Infizierten, bei mehr Belastung der Krankenhäuser, will er die epidemische Lage politisch beenden. Damit stellt die Ampel-Koalition unser Gesundheitswesen vor eine echte Belastungsprobe.
Nun haben die Ampel-Partner einen Gesetzentwurf vorgelegt. Darin haben sie der Opposition angeboten, noch weitere Vorschläge zu machen und gegebenenfalls in das Paket aufzunehmen. Tun sie das?
Wir sind eine konstruktive Opposition, aber auch eine kritische. Die Maßnahmen, die die künftige Koalition vorschlägt, müssen angemessen sein und die nötige Flexibilität haben, um wirkungsvoll gegen die vierte Welle anzutreten. Was bisher vorgelegt worden ist, reicht nicht aus. Olaf Scholz hat im Bundestag zwar gesagt, man müsse vorsichtig bleiben. Er verlässt aber gerade das „Team Vorsicht“ und wechselt in das „Team Versuchen wir es mal“. Wir haben vorgeschlagen, die epidemische Lage zu verlängern, um mit dem jetzigen Instrumentenkasten weiter handlungsfähig zu bleiben. Wir sind gesprächsbereit. Aber das erfordert von Scholz die Bereitschaft, wieder ins „Team Vorsicht“ zurückzukehren.
Muss ein Lockdown weiter im Instrumentenkasten als Option liegen?
Es geht nicht um einen Lockdown, sondern darum, rechtssicher Maßnahmen anzuwenden, die gegebenenfalls nötig werden könnten. Der Ampel-Vorschlag genügt nicht, um angemessen, verhältnismäßig und rechtssicher handeln zu können. Olaf Scholz sagt selbst, dass er 2G befürworten würde. Durch den Gesetzentwurf nimmt er aber gerade die Möglichkeit, 2G bundesweit und flächendeckend einzuführen. Er verschiebt diese Verantwortung alleine auf die Länder. Das wird seiner neuen Verantwortung dabei aber nicht gerecht.
Sind sie für eine Impfpflicht für Berufsgruppen, die mit risikoträchtigen Menschen umgehen, etwas in Pflegeheimen?
Wir haben uns gegen eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen. Wir erkennen aber jetzt, dass besonders verletzbare Gruppen stark gefährdet sind durch Nicht-Geimpfte in ihrem Umfeld. Es ist daher richtig, darüber nachzudenken, ob für bestimmte Berufsgruppen, etwa in der Pflege, eine Impfpflicht nicht doch angemessen wäre.
Ein anderes Thema. Droht angesichts der Zustände an der polnisch-belarussischen Grenze für Deutschland eine neue Flüchtlingswelle?
Ich habe größte Sorge, wenn ich die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze betrachte. Das gilt nicht nur mit Blick auf die Migranten, sondern auch wegen der starken militärischen Präsenz auf beiden Seiten. Die Gefahr besteht, dass es hier zu einem handfesten Konflikt zwischen einem EU-Land und seinem Nachbarland kommt. Daher sind alle zwingend dazu aufgefordert, auch Russland und die Türkei, ihren Einfluss geltend zu machen, um die Lage zu entschärfen. Belarus versucht, die EU durch den Missbrauch von Menschen als Waffe in einer hybriden Kriegsführung zu erpressen. Hier wird auf einem kalkulierten Konflikt versucht, an der Destabilisierung Europas zu arbeiten.
Was ist die Konsequenz?
Darauf kann man nur mit aller Härte und weiteren schnellen und drastischen Sanktionen antworten. Dazu gehören zum Beispiel das Einfrieren von belarussischem Auslandvermögen, Einreiseverbote und Kontosperrungen für regimenahe Köpfe, das Unterbinden von Flugbewegungen und weitere wirtschaftliche Sanktionen.
Was ist mit den Flüchtlingen?
Es ist zunächst einmal richtig, dass Polen seine Grenze und damit die Außengrenze der EU schützt. Wenn Binnengrenzen entfallen, müssen Außengrenzen gesichert werden. Die EU hat die Verantwortung, diesen Außengrenzschutz mit zu unterstützen, auch den Bau von Grenzschutzanlagen. Auch das Verhindern von illegalen Grenzübertritten ist eine richtige Maßnahme. Die Kritik von Katrin Göring-Eckhardt an sogenannten Push-Backs der polnischen Grenzschützer ist daher in keiner Weise sachgerecht. Wer glaubt, an der EU-Außengrenze dürfe es keine Grenzsicherung geben, die Menschen davon abhält, illegal in die EU einzureisen, der liegt falsch. Das Schicksal der Migranten in Belarus darf uns trotzdem nicht kalt lassen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk muss in Kontakt mit Belarus treten, um Hilfe anzubieten.
Zur Parteipolitik. Wie will die Union eine Ampel-Koalition stellen?
CDU/CSU sind eine kritische Opposition. Das heißt aber nicht, dass wir uns plump, unfair und aggressiv mit einer zukünftigen links-gelben Bundesregierung auseinandersetzen werden. Wir werden konstruktiv sein, aber sehr klar unsere Haltung und alternative Positionen aufzeigen.
Welches Profil muss eine neue Vorsitzende, ein neuer Vorsitzender der CDU aus Sicht der CSU haben?
Ich beobachte mit größtem Interesse die Entscheidungen in der CDU. Wir können und wollen sie nicht beeinflussen. Aber die Ergebnisse haben auch Auswirkungen auf die CSU. Mir ist wichtig, dass möglichst umgehend im Januar eine Neuaufstellung bei der CDU abgeschlossen ist, um gemeinsam verantwortungsvoll das demokratische Gegengewicht zur links-gelben Regierung darzustellen.
Fürchten sie eine Polarisierung in der CDU über den Führungs-Wettstreit?
Nein, aber natürlich sind Personalentscheidungen auch verbunden mit inhaltlichen Entscheidungen.
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