Im Interview mit dem Straubinger Tagblatt spricht Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU im Bundestag, über Klimaschutz und Steuerentlastungen.

Herr Dobrindt, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat den Unionskonkurrenten, CDU-Chef Armin Laschet, in den Umfragen überholt. Wäre das mit CSU-Chef Markus Söder auch passiert?

Armin Laschet ist unser Kanzlerkandidat und wir arbeiten gemeinsam mit voller Unterstützung für ihn für einen Wahlerfolg am 26. September. Der Wettbewerb zwischen CDU und CSU um die Kanzlerkandidatur gehört zum demokratischen Prinzip, aber er ist abgeschlossen. Wir haben ein gemeinsames großes Interesse, dass die Unionsparteien nicht nur als Erste durchs Ziel gehen, sondern auch, dass gegen uns nicht regiert werden kann. Dafür kämpfen wir mit aller Kraft.

Viele haben den Eindruck, Laschet tritt von einem Fettnäpfchen ins nächste, ist aber gleichzeitig unkonkret, was politische Inhalte angeht. War er die richtige Wahl?

Es sind große Herausforderungen, die Armin Laschet zurzeit zu bewältigen hat: Nicht nur der Bundestagswahlkampf, sondern vor allem auch die Folgen der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen. Ich habe Verständnis dafür, dass ihn das aktuell sehr in Anspruch nimmt. Das ändert nichts daran, dass wir gemeinsam für ein gutes Wahlergebnis arbeiten.

Warum sollte der nächste Kanzler Laschet heißen?

Armin Laschet steht für Stabilität in Deutschland. Er schafft den nötigen Ausgleich zwischen Modernisierung und dem Erhalt des Bewährten. Er hat mit seinem Programm der Entfesselung das richtige Rezept gewählt, um Deutschland fit zu machen für die Zukunft.

Laschet hat vor ein paar Wochen aber gesagt, er sehe im Moment keinen Spielraum für Steuersenkungen. Die CSU dagegen sattelt auf die ohnehin teuren gemeinsamen Wahlversprechen der Union noch mal eigene drauf. Wer soll das bezahlen?

Ich habe ihn so verstanden, dass wir mit einer klaren Wachstumsstrategie Deutschland aus der krisenhaften Situation nach der Pandemie herausführen. Wirtschaftliches Wachstum und neue Dynamik erreichen wir nur mit Entlastungen von Unternehmen und der Mitte der Gesellschaft. Deswegen haben wir im Wahlprogramm klare Aussagen dazu getroffen. CDU und CSU gehören zum Team Entlastungen.

Noch mal: Wer zahlt diese Entlastungen? Wie finanzieren Sie die?

Daran zeigt sich die Richtungsentscheidung am 26. September: Andere Parteien setzen darauf, die Steuern zu erhöhen, Vermögenssteuern einzuführen, die Erbschaftssteuer zu erhöhen. Wir setzen auf die klare Wachstumsstrategie, und die geht nur mit Entlastungen. Wer erfolgreich sein will in der Zukunft, muss jetzt die nötigen Rahmenbedingungen schaffen, damit Unternehmen in dem neuen, verschärften Wettbewerb auf der Welt auf Augenhöhe agieren können und Familien größere finanzielle Spielräume haben. Dazu braucht es Entlastungen und keine Steuererhöhungen. SPD und Grüne wollen beispielsweise das Ehegattensplitting abschaffen, was eine Steuererhöhung für Millionen von Familien bedeutet. Wir wollen Familien und Alleinerziehende zusätzlich entlasten – zum Beispiel mit der Einführung des Kindersplittings zusätzlich zum Ehegattensplitting und einem steuerlichen Entlastungsbetrag von 5.000 Euro für Alleinerziehende. 

Den dritten Rentenpunkt für alle Mütter erklären Sie sogar zur Koalitionsbedingung. Wie wollen Sie das durchsetzen, wenn Sie es nicht mal bei der CDU geschafft haben?

Das hat ja Tradition. Wir hatten sowohl die Mütterrente I als auch die Mütterrente II nicht im gemeinsamen Wahlprogramm von CDU und CSU. Es waren beides Anliegen der CSU und im Bayernplan verankert. Wir haben diese Anliegen durchgesetzt. Die CDU weiß, dass es für uns wichtig ist, endlich Gerechtigkeit herzustellen zwischen den Müttern, die Kinder vor 1992, und denen, die Kinder nach 1992 geboren haben. Deswegen werden wir diesen Punkt auch umsetzen.

Zum Klimaschutz: Sie haben im Mai vorgeschlagen, den CO2-Preis schon 2022 auf 45 Euro pro Tonne zu erhöhen statt wie geplant auf 30 Euro. Benzin und Diesel wären damit um vier bis fünf Cent teurer als geplant. Stehen Sie dazu?

Wir haben in unserem Regierungsprogramm festgelegt, dass wir den Aufwuchs der CO2-Bepreisung straffen wollen. Das entspricht meiner Vorstellung. Das Jahr 2022 ist nicht mehr erreichbar, aber für 2023 ist eine Straffung weiterhin möglich, bei gleichzeitiger Verbilligung der Stromkosten. Der Staat darf aus der CO2-Bepreisung keine zusätzlichen Einnahmen erzielen. Ich glaube, dass wir beim Klimaschutz schneller werden können. Das betrifft sowohl den Kohleausstieg, der schneller organisierbar wäre, als auch das CO2-Preissystem, das ambitionierter gestaltet werden kann, weil es ein wesentlicher Baustein im Systemwechsel weg von den fossilen Kraftstoffen hin zu den erneuerbaren Energien ist. Aber das geht immer nur mit entsprechenden Anreizen. Das heißt: Was beim CO2-Preis oben drauf kommt, muss bei der Stromsteuer abgezogen werden, denn wir machen Klimaschutz mit den Menschen und nicht gegen sie. Wir wollen für Klimaschutz begeistern, die Grünen wollen nach meinem Eindruck bestrafen.

Glauben Sie, dass Sie damit Wähler überzeugen können, die mehr Klimaschutz wollen? Oder wählen die ohnehin die Grünen?

Klimaschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Außer der AfD haben das heute weitestgehend alle verstanden, dass wir einen erheblichen Anteil daran haben, dass die Klimaschutzziele auf der Welt erreicht werden können. Wir sind diejenigen, die mit unseren Technologien dafür sorgen können, dass Klimaschutz verstärkt auf der Welt stattfindet. Innovationen im Klimaschutz können ein Exportschlager „Made in Germany“ werden. Deswegen ist es sowohl aus Klimaschutzgründen richtig, schneller und ambitionierter die CO2-Einsparziele umzusetzen, als auch aus wirtschaftspolitischer Sicht, um Innovationstreiber in der Welt bei Klimatechnologien zu sein.

Themawechsel: Nach den umstrittenen Äußerungen von Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger zu Corona-Impfungen hat ihn CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer aufgefordert, sein Amt als stellvertretender Ministerpräsident zu überdenken. Wie belastet ist die bayerische Koalition?

Persönlich habe ich kein Verständnis für die Äußerungen von Hubert Aiwanger. Er hat in Stil und Sprache inzwischen das Niveau der Querdenker erreicht. Ich rate ihm dringend, das zu überdenken. Ich vermute, dass er aus taktischen Gründen wegen seiner deutschlandweit geringen Umfragewerte im Querdenker-Lager Stimmen fischen will. Ich glaube nicht, dass das gelingt, weil da das AfD-Original immer stärker sein wird. Alle Wähler in Bayern müssen sich im Klaren sein: Die Freien Wähler werden die Fünf-Prozent-Hürde bundesweit nicht überschreiten. Das heißt: Eine Stimme für die Freien Wähler ist eine Stimme für den Papierkorb und nicht für den Bundestag.

Aber eines hat Aiwanger ja geschafft: dass deutschlandweit über ihn geredet wird. Seine Bekanntheit hat er auf jeden Fall gesteigert.

Bekanntheit ist kein Wert für sich alleine, wenn einem der Grund dafür eher unangenehm sein sollte.

Könnten Sie ein konkretes Beispiel nennen, was Sie bei Aiwanger als „Niveau der Querdenker in Stil und Sprache“ bezeichnen würden?

Aiwanger redet von „Impf-Apartheid“. Das zielt eindeutig Richtung Querdenker. Er behauptet wörtlich, dass bei den Nebenwirkungen der Impfstoffe „einem die Spucke wegbleibt“. Wider besseren Wissens versucht er offenbar, den Eindruck von hoher Gefährlichkeit bei Impfstoffen zu erwecken. Auch das ist Stil der Querdenker-Bewegung. Im Übrigen kenne ich die Freien Wähler auch ganz anders. In meinem Wahlkreis betreibt ein Landrat der Freien Wähler sehr erfolgreich ein Impfzentrum. Die Rhetorik von Aiwanger passt nicht zu dem Handeln von Freien Wählern vor Ort. Ich kann mir vorstellen, dass da viele gar nicht glücklich sind über Aiwangers Querdenker-Ausrutscher. 

Söder und auch Sie selbst haben mehrfach die Ständige Impfkommission (Stiko) kritisiert und gefordert, sie solle eine Impfempfehlung für Jugendliche aussprechen. Glauben Sie wirklich, dass es das Vertrauen in die Impfung stärkt, wenn Sie unabhängige Wissenschaftler unter Druck setzen?

Es geht nicht darum, Druck auszuüben, sondern eine Debatte in der Wissenschaft einzufordern. Wir stellen fest, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur die Zulassung für Biontech und Moderna für Kinder ab 12 Jahren erteilt hat. In vielen anderen Ländern, beispielsweise in den Vereinigten Staaten, läuft die Impfkampagne bei den Jugendlichen längst sehr erfolgreich. Auf dieser Basis sollte auch eine Stiko ihre Entscheidungen noch mal überprüfen. Die große Schwachstelle beim Impfen zurzeit ist die mangelnde Impfung bei den Kindern und Jugendlichen. Wenn man eine vierte Welle abwenden will, muss der Impffortschritt schneller werden und auch die Jüngeren stärker umfassen, die ja ab September in Bayern auch wieder in die Schule gehen. Mir ist es wichtig, dass dort kein Infektionsgeschehen stattfindet, sondern maximaler Schutz der Kinder und Jugendlichen möglich ist.

Es wird viel darüber diskutiert, Geimpften wieder mehr Freiheitsrechte zurückzugeben. Führt das nicht letztlich zu einer Impfpflicht durch die Hintertür?

Nein, im Gegenteil. Es geht darum, dass wir denjenigen, die durch ihre Impfung sich und andere vor einer Infektion schützen, wieder die Normalität ermöglichen. Normalität heißt: Theater, Kino, Kunst, Kultur, Gastro und Hotellerie wieder ungehindert nutzen können. Wir können nicht warten, bis auch der Letzte in Deutschland geimpft ist, um Normalität herzustellen. Deswegen ist die unterschiedliche Betrachtung von Geimpften und Nicht-Geimpften eine mögliche Konsequenz. Wer geimpft ist, wird am Schluss seine Freiheiten vollumfänglich nutzen können. Bei Nicht-Geimpften sind Einschränkungen vorstellbar, wenn das Infektionsgeschehen wieder stark steigt.

Das Problem verschärft sich aber, wenn Tests tatsächlich kostenpflichtig werden sollen. Wann ist das denn angedacht?

Ich kann mir vorstellen, dass wir im November an einen Punkt kommen, wo Tests für Erwachsene kostenpflichtig werden - zu dem Zeitpunkt, wenn alle die Möglichkeit hatten, beide Impfangebote anzunehmen.

Mehr als die Hälfte der Deutschen sind mindestens ein Mal gegen Corona geimpft, der Schutz ist so hoch wie nie. Ist die Inzidenz noch der richtige Richtwert für Maßnahmen?

Die Inzidenz hat als singulärer Wert ausgedient. Man kann sie maximal noch als Frühwarnsystem betrachten. Jetzt geht es darum, einen kombinierten Mechanismus, einen Skalenmechanismus zu nutzen aus Impffortschritt, der Belastung des Gesundheitssystems und der Inzidenz. Und auch das kann nur ein fließender Mechanismus sein, weil der Impffortschritt immer neu in diese Betrachtung eingehen muss. Einen festen Automatismus mit Werten, die zu einem Lockdown führen, kann es nicht mehr geben. Einen weiteren Lockdown sehe ich aus heutiger Sicht durch den vorhandenen Impffortschritt ohnehin nicht mehr für gerechtfertigt.

Und wann rechnen Sie damit, dass dieser neue Mechanismus festgelegt wird?

Die politische Debatte darüber wird ja intensiv geführt. Ich gehe davon aus, dass wir uns im Laufe des Augusts auf diese neuen Skalenmechanismen verständigen können.

Ihr Parteichef fordert mindestens drei Ministerien, wenn die CSU wieder an der Bundesregierung beteiligt ist. Mit Horst Seehofer und Gerd Müller hören zwei amtierende Ressortchefs auf. Wer könnte ihnen ins Kabinett nachfolgen?

Spannende Frage. Aber Sie kennen ja die Geschichte mit dem Bären und dem Fell. Ich würde mich da dringend an die Reihenfolge halten, erst den Erfolg organisieren und dann die Verteilung.

Wollen Sie selbst wieder Minister werden?

Ich habe ein ausgesprochen spannendes Amt als Vorsitzender der CSU im Deutschen Bundestag. Ich hätte große Freude daran, in diesem Amt weiterzumachen.

Sie haben mehrfach gesagt, Sie hätten sehr viel Sympathie für eine Deutschland-Koalition aus CDU/CSU, SPD und FDP. Glauben Sie wirklich, dass die Sozialdemokraten ihr GroKo-Elend noch verschlimmern wollen, indem sie die FDP mit ins Boot holen?

Es war Franz Müntefering (SPD), der gesagt hat, Opposition ist Mist. Auch deswegen wird die SPD eine Grundbereitschaft zur Zusammenarbeit haben müssen. Für mich hat die Deutschland-Koalition schon allein deswegen Charme, weil sie ohne Beteiligung der Grünen auskommen würde. Ich habe nach wie vor keine romantischen Gefühle gegenüber den Grünen. Deswegen sind Optionen unter unserer Führung, die ohne Toni Hofreiter als Verkehrsminister zurechtkommen, durchaus attraktiv.

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