Im aktuellen Interview mit der Passauer Neue Presse spricht Alexander Dobrindt über die Corona-Krise und wie wir unser Land wieder auf Kurs bekommen.
Herr Dobrindt, die Infektionszahlen steigen sprunghaft an. Droht jetzt die zweite große Corona-Welle auch in Deutschland?
Die aktuellen Zahlen zeigen: Die Befürchtungen sind real, dass wir im Dezember zu täglichen Infektionszahlen von über 19.000 kommen können, wenn wir politisch nicht entschlossen handeln.
Wir müssen eine solche Entwicklung dringend vermeiden, um nicht in eine Art faktischen Lockdown zu kommen, weil sich zu viele Menschen in Deutschland gleichzeitig in Quarantäne aufhalten müssen.
Wo liegen die Ursachen für die Entwicklung?
Gerade in Großstädten wie Berlin lässt die Disziplin erkennbar nach und die Stadtpolitik macht erhebliche Fehler. Das betrifft die Zulassung großer Feiern und Festivals und fehlende Kontrollen bei der Einhaltung der Hygienevorgaben. Das alles trägt leider erheblich zur Verbreitung des Virus bei. Lokale Ausbrüche müssen aber gerade lokal und konsequent bekämpft werden – Bayern hat mit Garmisch und München gezeigt, wie das gelingen kann. Der Berliner Senat scheint hier vollkommen neben der Spur zu sein.
Je größer die Infektionszahlen, desto schwieriger wird auch die Nachverfolgung der Infektionsketten. In Berlin scheint die Nachverfolgung nicht ausreichend gewährleistet zu sein. Aus ideologischen Gründen dabei auf die Unterstützung der Bundeswehr zu verzichten, ist höchst fahrlässig und gefährlich. All das trägt zur dynamischen Verbreitung des Virus bei. Übrigens ist das bewusste Wegschauen, wie aus einer Partyszene heraus oder von Großhochzeiten die Infektion in breitere Bevölkerungskreise getragen wird, schlicht unverantwortlich.
Es gibt Kritik an den unterschiedlichen Regeln und Beherbergungsverboten. Müssten die Länder nicht einheitlich vorgehen?
Es wäre sicher besser, es würde eine bundesweit einheitliche Regelung für ein Beherbergungsverbot für Menschen aus innerdeutschen Risikogebieten geben. Das war aber unter den Ländern diese Woche offensichtlich nicht möglich. Klar ist: Man kann es eben nicht den Hotspot-Regionen alleine überlassen, wie sei mit dem Thema umgehen. Innerdeutsche Beherbergungsverbote sind nicht schön, darunter leiden alle. Aber die Alternative eines explosionsartigen Infektionsgeschehens wäre für die Gesellschaft noch viel belastender. Der Blick über die Grenzen nach Frankreich oder in die Niederlande muss Mahnung sein!
Bei den Gesundheitsämtern fehlt es noch immer am Personal und an der notwendigen Ausstattung. Ärztevertreter befürchten auch eine Überlastung des Gesundheitswesens. Sind wir auf die zweite Welle nicht gut vorbereitet?
Durch unsere Maßnahmen der letzten Monate sind wir deutlich besser auf wieder steigende Infektionszahlen vorbereitet: Es sind deutlich mehr Masken, mehr medizinische Schutzausrüstung und Beatmungsplätze in den Krankenhäusern verfügbar, wir haben bei der Kontaktnachverfolgung deutlich aufgerüstet und haben eine funktionierende Corona-App. Das zeigt: Die politischen Maßnahmen greifen. Das Wichtigste ist jetzt: Wachsam bleiben und lokale Infektionsherde sofort eindämmen.
Die Wirtschaft leidet weiter unter der Corona-Krise. Braucht es noch weitere Corona-Hilfspakete?
Auch die ökonomische Welt wird nach der Pandemie eine andere sei als zuvor: Das betrifft nicht nur Staatsbeteiligungen an vielen Unternehmen. Einige Branchen werden mit einer langanhaltenden Krise zu tun haben; zum Beispiel die Luftfahrtbranche, vielleicht auch die Automobilindustrie. Hier sind schwere Einbrüche zu verzeichnen. Vor diesem Hintergrund muss die Politik bereit sein, strategische Branchen zu definieren, die wir in Europa zwingend erhalten wollen. Die Automobilindustrie, die Luftverkehrsbranche aber auch der Maschinenbau gehören dazu. Weitere Hilfen sind deshalb durchaus denkbar.
Sie bleiben bei der Forderung nach Kaufprämien auch für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren?
Ich werbe dafür, dass wir noch in dieser Bundesregierung ein Anreizprogramm für modernste PKW und LKW verabschieden. Wir brauchen weitere Kaufanreize, um ein klares Signal in die Branche zu geben und Arbeitsplatzabbau oder Abwanderung der Unternehmen zu verhindern. Wir wollen die Automobilindustrie bei ihrem notwendigen Transformationsprozess auch im Bereich der Antriebe politisch begleiten mit klugen Anreizen. Vorstellbar wäre zum Beispiel ein Gutschein-system: Wer jetzt einen modernen Verbrenner mit niedrigem CO2-Ausstoß kauft, bekommt einen Gutschein für eine Prämie beim späteren Kauf eines Elektrofahrzeugs. Das könnte Anreize geben, um den Umstieg zu fördern.
Die Grünen wollen den Bau von Autobahnen und Bundesstraßen stoppen und im Gegenzug das Bahnnetz und den Öffentlichen Nahverkehr stärker ausbauen. Was spricht dagegen?
Es ist schon falsch, Straße und Schiene in einen Gegensatz zu bringen. Wir benötigen auch zukünftig beides. Aber der ideologische Kampf gegen das Auto gehört bei den Grünen ganz offensichtlich zum Gencode. Den Baustopp von Autobahnen und Bundesstraßen zu fordern, ist ein Angriff auf Wirtschaft und Wohlstand in Deutschland und Europa und zeigt eine erhebliche Arroganz der Grünen gegenüber den ländlichen Räumen. Dort bedeuten Straßen Teilhabe und Wohlstand für Millionen Menschen. Außerdem herrscht bei den Grünen ein großes Maß an Heuchelei: Da, wo sie regieren, in Baden-Württemberg und Hessen etwa, stimmen sie Straßenbaumaßnahmen zu. In Berlin kämpfen sie dagegen. Da gibt es große Dissonanzen innerhalb der Grünen! Klar ist: Der Stau auf unseren Straßen ist eine der größten Belastungen für die Volkswirtschaft. Den gilt es, durch Investitionen in das Straßennetz aufzulösen und gleichzeitig das Schienennetz auszubauen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich gegen die Pläne von Arbeitsminister Hubertus Heil für ein Recht auf Homeoffice ausgesprochen. Ist das Thema damit erledigt?
Homeoffice kann eine gute Lösung sein. Es muss aber eine Entscheidung der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam sein. Wir brauchen keinen Eingriff der Politik in die Tarifautonomie. Uns sind die Ansätze von Minister Heil zudem zu langweilig und unkreativ. Moderne Arbeit braucht vor allem mehr Flexibilität. Der starre 8-Stunden-Tag bietet zu wenig Gestaltungsmöglichkeiten. Wir wollen hin zur Flexi-Woche. Das ermöglicht individuelle Lösungen, bringt mehr Flexibilität und nutzt Arbeitnehmern in Anwesenheits-Branchen genauso wie denen, die zu Hause arbeiten können. Außerdem wollen deshalb das Home-Office steuerlich fördern und 600 Euro Pauschale ermöglichen.
Arbeitsminister Heil und Entwicklungsminister Müller halten die Zeit reif für ein Lieferkettengesetz für faire Löhne und Arbeitsbedingungen bei den Zulieferern. Warum stehen hier Teile der Union auf der Bremse?
Einspruch! Wir stehen nicht auf der Bremse. Das Gegenteil ist der Fall. Das Lieferkettengesetz kann für die deutsche Wirtschaft ein großer Vorteil sein, wenn es unbürokratisch und mittelstandsfreundlich ausgestaltet ist. Die Globalisierung hat Fehler. Wir wollen das korrigieren! Dazu gehört das klare Bekenntnis zum Welthandel. Dazu gehört aber auch das klare Bekenntnis, dass wir den Wettbewerb um den billigsten Preis nie gewinnen werden können. Made in Germany war nie ein Versprechen für den billigsten Preis, sondern immer ein Versprechen für die beste Qualität. Dazu gehört heute auch ein Versprechen an eine ethische Wirtschaft – zum Beispiel ohne Kinderarbeit. Wer den Wettbewerb um den billigsten Preis gewinnen will, wird ethisch versagen. Wir wollen deshalb ein Lieferkettengesetz, das Standards umsetzt und dabei die Unternehmen und besonders auch den Mittelstand bürokratisch nicht überfordert. Dafür werbe ich.
Die SPD fordert Steuererhöhungen für Besserverdienende, um die Belastungen durch die Corona-Krise zu finanzieren. Auch CDU-Wirtschaftsexperte Friedrich Merz schließt Steuererhöhungen nicht mehr aus. Brauchen wir höhere Steuereinnahmen?
Meine Befürchtung ist, dass wir am Ende der Pandemie mit einem größeren wirtschaftlichen Schaden zu kämpfen haben als viele heute glauben. Dann braucht es dringend Impulse für neues wirtschaftliches Wachstum. Einer Idee der Wachstums-Impulse durch Steuererhöhungen kann ich nichts abgewinnen. Ich glaube, wir sollten mit Entlastungen dafür sorgen, dass der Binnenkonsum läuft und die Wirtschaft wieder wächst.
Die CDU will Anfang Dezember in Stuttgart ihren neuen Vorsitzenden wählen. Kann der Parteitag mit mehr als tausend Delegierten und Medienvertretern angesichts der Corona-Entwicklung überhaupt stattfinden?
Die Politik darf nicht stillstehen. Auch im Deutschen Bundestag kommen in jeder Sitzungswoche 700 Parlamentarier und Mitarbeiter unter strengsten Hygienevorschriften zusammen. In der CSU-Landesgruppe testen wir die Kolleginnen und Kollegen jetzt regelmäßig montags und freitags in jeder Sitzungswoche, um Infektionen möglichst frühzeitig zu erkennen. Mit Reihentests, Maskenpflicht, Abstandsregelungen und einem klaren Hygienekonzept müssen politisch notwendige Veranstaltungen machbar sein.
Die SPD hat mit Olaf Scholz ihren Kanzlerkandidaten nominiert. Wann kommt die Kür der Union?
Wir erleben gerade, wie schnell sich Situationen verändern können. Da muss man sich politische Flexibilität erhalten. Es wäre deshalb klug, über die Kanzlerkandidatur erst im Laufe des nächsten Jahres zu entscheiden. Die SPD, die sich früh festgelegt hat, kann daraus aktuell keinen Vorteil ziehen.
Ihr Parteichef Markus Söder liegt in den Umfragen vorn. Ist es Zeit für einen Kanzlerkandidaten der CSU?
Das Vorschlagsrecht für den Kanzlerkandidaten der Union hat die CDU. Darüber wird dann von CDU und CSU gemeinsam entschieden.
Auch die Pläne von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer für eine Einführung einer europäischen Pkw-Maut sind jetzt vom Tisch. War es das endgültig mit den Plänen für eine solche Abgabe?
Andreas Scheuer hat die richtige Entscheidung getroffen, das Projekt einer EU-Maut aktuell nicht weiter zu verfolgen. Die Vorstellungen in der EU sind hier zu unterschiedlich. Eine gemeinsame europäische Lösung ist zurzeit nicht erkennbar.