Alexander Dobrindt, Chef der CSU im Bundestag, warnt die SPD vor einem vorzeitigen Ausstieg aus der großen Koalition. In den Grünen sieht er keinen Ersatzpartner, er wirft ihnen Arroganz gegenüber den ländlichen Räumen vor. 

Herr Dobrindt, die Hälfte der Regierungszeit der GroKo ist abgelaufen. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Die Arbeit der Bundesregierung ist besser als ihr Ruf. Das sehen übrigens nicht nur wir so, sondern auch unabhängige Studien. Die Koalition hat bisher konsequent geliefert.
 
Woran machen Sie das fest?
Wir haben Rekordentlastungen für Bürger und Familien umgesetzt und gleichzeitig Rekordinvestitionen in Digitalisierung und Infrastruktur bereitgestellt. Unser Paket für den Klimaschutz hat weltweit Aufsehen erregt, weil es mit 60 Milliarden Euro Investitionen Maßstäbe setzt und dabei Anreize und Entlastungen, Ökologie und Ökonomie, sozialen Ausgleich und wirksamen Klimaschutz miteinander verbindet. Damit schaffen wir einen breiten Klimakonsens und haben die Chance auf einen echten Wachstumsschub für Deutschland.
 
Trotzdem verliert die GroKo immer mehr an Zustimmung.
Diese Koalition hat kein Bilanzproblem, sondern ein Kommunikationsproblem. Das ist eng verbunden mit der SPD. Sie stellt zu oft die eigenen Entscheidungen infrage – von der Agenda 2010 bis zum Klimapaket. Daraus entsteht die Grundlage für die nächste Pleite. Wer, wie die SPD, dauernd mit sich selbst hadert, kann doch keine Wähler überzeugen. Man muss seine Erfolge auch offensiv vertreten wollen. Das sollten wir gemeinsam tun.
 
Wenn von Ihrer Seite aus alles prima ist, dann hängt der Fortbestand der Koalition nur noch davon ab, ob die SPD genauso ein positives Urteil fällt, oder nicht? 
Die SPD muss nach ihrem quälenden Prozess der Selbstfindung jetzt ein klares Bekenntnis zur Großen Koalition und der Weiterführung dieser Regierung abgeben. Die Sozialdemokraten müssen sich schlichtweg entscheiden: GroKo oder K.O. 

Also wartet die CSU wie das Kaninchen auf die Schlange? Oder kann es auch sein, dass Sie und die Union an einem bestimmten Punkt sagen: es reicht? 
Wir warten nicht ab, wir wollen gestalten. Im Gegensatz zur SPD sagen wir deshalb ganz klar: Wir stehen zu dieser Koalition und wollen sie erfolgreich weiterführen. Deutschland braucht eine stabile Regierung, das ist für die politische Kultur in Deutschland wie Europa dringend notwendig. Wir sehen doch, was in Ländern passiert, denen die politische Stabilität fehlt. Gerade mit Blick auf die abflauende Wirtschaftslage, kann sich Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas ein Scheitern der Koalition nicht erlauben.
 
Und wenn es weiter geht – was soll dann in der zweiten Hälfte der Regierungszeit noch kommen? 
Im Zentrum steht jetzt die Frage, wie wir in Zeiten rückläufiger Konjunkturprognosen unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhalten können. Wir stehen jetzt vor der Entscheidung: Aktive Wirtschaftspolitik oder reale Wirtschaftskrise. 
 
Das heißt?
Deutschland braucht ein ambitioniertes Zukunftspaket mit Entlastungen, Investitionen und Innovationen. Dazu gehört unter anderem eine Unternehmenssteuerreform....
 
... die nicht im Koalitionsvertrag steht....
... auf die wir aber nicht warten können, um weltweit wettbewerbsfähig zu bleiben. Dringend erforderlich sind auch weitere Investitionen in die Infrastruktur, vor allem in die digitale Infrastruktur und bei den Mobilfunknetzen. In einem Hochtechnologieland darf es einfach keine weißen Flecken beim Mobilfunk mehr geben. 
 
Was noch? 
Wir brauchen weitere Entlastungen für die Bürger. Die Abschaffung der Hälfte des Solis ist ein wichtiger, aber nur ein erster Schritt. Der zweite, die komplette Abschaffung, muss dringend folgen.
 
Wir fassen mal zusammen: Investitionsprogramm, Steuersenkung für die Unternehmen und die komplette Abschaffung des Solis – und das bei sinkenden Konjunkturdaten. Wie soll das finanziert werden? Ist die schwarze Null da noch zu halten? 
Die schwarze Null steht. Heute billig Schulden machen und morgen teuer zurückzahlen, ist weder ökonomisch klug noch politisch verantwortungsvoll. Wir haben den größten Bundeshaushalt, den es jemals gab. Es mangelt also nicht an Einnahmen, sondern es geht um die richtigen Schwerpunkte.
 
Das Geld wird also nur an der falschen Stelle ausgegeben? Wo würden Sie denn sparen?
Nehmen Sie die Grundrente, die wir gerade verhandeln. Der zuständige Sozialminister Heil will dafür bis zu fünf Milliarden Euro pro Jahr ausgeben. Wir wollen stattdessen eine zielgerichtete Grundrente, um Altersarmut entgegen zu wirken. Angesichts einer drohenden Wirtschaftskrise wollen wir das Geld stärker in Projekte investieren, mit denen wir Wachstum schaffen. Denn: Ein starker Sozialstaat braucht eine funktionierende starke Wirtschaft.
 
Die SPD macht daraus: An den Rentnern wird gespart, damit die Steuern der Unternehmer sinken können.  
Bei den Rentnern wird nicht gespart. Gerade wir wollen eine Grundrente, die gerecht die Lebensleistung berücksichtigt. Das muss aber zielgerichtet stattfinden wie im Koalitionsvertrag vereinbart und darf nicht dazu führen, dass das Geld mit der Konfetti-Kanone verteilt wird.
 
Die SPD fordert Dinge, die nicht im Koalitionsvertrag stehen, Sie auch. Sammeln Sie schon Munition für den nächsten Wahlkampf? 
Klares Nein. Aber: Gut anderthalb Jahre nachdem wir den Koalitionsvertrag unterschrieben haben, hat sich die Welt weitergedreht. Wir sind im Aufschwung gestartet, müssen aber jetzt feststellen, dass unsere Wirtschaftsdynamik zurückgeht. Darauf müssen wir politische Antworten geben. 
 
Das heißt der Koalitionsvertrag muss angepasst werden? 
Der Unterschied zwischen uns und der SPD ist, dass wir auf die veränderte Situation reagieren wollen. Wir möchten das wirtschaftliche Wachstum und die Konjunktur neben dem Kampf gegen den Klimawandel in das Zentrum des politischen Handelns stellen. Die SPD hingegen tut so, als würde diese Veränderung der Welt nicht stattfinden. Stattdessen will die Partei Geld aus Steuereinnahmen ausgeben, das überhaupt nicht zur Verfügung steht.
 
Eine andere Regierungskoalition kommt für Sie nicht in Frage?
Ich habe keine romantischen Gefühle bei möglichen Koalitionsvarianten mit den Grünen. Die Gemeinsamkeit mit der SPD scheint mir immer noch leichter herstellbar zu sein, als mit einer linksideologischen, grünen Partei. Am Ende gilt: Ob Koalitionen zufällig, notwendig oder gewünscht herbeigeführt worden sind – sie haben immer die Verantwortung, eine volle Legislaturperiode zusammen zu arbeiten.
 
Gibt es bei Ihnen denn schon ein Szenario für den Fall, dass es nicht gelingt? 
Ich stehe zu dieser Großen Koalition. Ich will, dass diese Koalition erfolgreich ist. 
 
Also keine Minderheitsregierung? 

Es ist vollkommen abwegig, darüber nachzudenken, ob man innerhalb der nächsten Monate zu einer anderen politischen Konstellation kommen sollte. Weder eine Minderheitsregierung noch eine schwarz-grüne Koalition könnte die Herausforderungen verändern, vor denen auch diese Große Koalition steht. 
 
Gleichwohl ist die CSU in den vergangenen Monaten sehr „ergrünt“. Wäre eine gemeinsame Politik mit den Grünen da nicht leichter, als es vor ein paar Jahren noch war?
Ich sehe keine neuen Gemeinsamkeiten mit den Grünen. Die Partei lässt sich nach wie vor weniger von Sachverstand, sondern mehr von ideologisch geprägten Verbotsphantasien leiten.
 
Konkret?
Die Grünen wollen den Verbrennungsmotor bis 2025 verbieten, sie wollen den Neubau von Straßen bis 2025 verbieten und sie wollen sofort Ölheizungen in Privathäusern verbieten. Eine solche Politik spaltet die Gesellschaft. Auf der linken und rechten Seite gibt es schon genügend Kräfte, die die Gesellschaft spalten wollen. Wir müssen als Volksparteien die Aufgabe wahrnehmen, bei großen Konfliktfeldern wie Klimaschutz und Migration wieder eine Klammer zu bilden. 
 
Das können die Grünen nicht?
Der Unterschied ist doch: Wir sind eine Volkspartei, die den gesellschaftlichen Ausgleich sucht, die Grünen sind eine Interessenspartei, die Gegensätze schürt: Stadt gegen Land, Besserverdiener gegen Normalverdiener, Ökologie gegen Ökonomie. Parteien, die derart polarisieren, können keine Brücken in der Gesellschaft bauen. Dazu braucht es große Volksparteien wie CSU und CDU. Die Grünen sind ja Profiteure der gesellschaftlichen Spaltung.

Übertreiben Sie da nicht etwas?
Nein! Die Grünen zeigen doch ganz deutlich, dass sie ganze Bevölkerungsgruppen ausschließen wollen. Wer wie Robert Habeck nicht versteht, dass Menschen im ländlichen Raum, Familien und Pendler, auf das Auto angewiesen sind, der zeigt nicht nur eine ungeheure Ignoranz gegenüber diesen großen Bevölkerungsgruppen, sondern auch eine hohe Arroganz. Die Grünen sind das Symbol der Arroganz gegenüber den ländlichen Räumen.
 
Derzeit reden alle in der Union über neue Koalitionen. Wäre da eine Urwahl des Kanzlerkandidaten nicht die demokratischste Lösung? 
Der Parteitag der CSU hat die Urwahl des Kanzlerkandidaten mehrheitlich abgelehnt – auch mit meiner Unterstützung. Die SPD zeigt doch gerade, wie man es nicht machen sollte. Wer sich zu lange mit sich selbst und mit Personalfragen beschäftigt, erntet in der Bevölkerung Unverständnis und keine Zustimmung. Ich rate dazu, die Selbstbeschäftigung der SPD zu überlassen.
 
Wäre denn Markus Söder ein denkbarer Kandidat?
Der Parteivorsitzende der CSU ist immer für alle politischen Ämter eine Option. Aber Markus Söder hat dieser Tage selbst noch einmal gesagt, dass zu den bisher zwei Kanzlerkandidaten der CSU, Strauß und Stoiber, kein weiterer dazukommt. 
 
Stichwort Modernität: Sind Sie eigentlich für oder gegen eine verpflichtende Frauenquote in der CSU? Die Basis der CSU hat sich auf dem Parteitag ja erfolgreich dagegen gewehrt?
Ich habe vor acht Jahren als Generalsekretär erstmals die Frauenquote in der CSU eingeführt und das war eine richtige Entscheidung zur Modernisierung der Partei. Eine Partei überlebt nur, wenn sie mit den gesellschaftlichen Entwicklungen Schritt hält.

Ist das realistisch in der CSU? Der Männeranteil liegt bei knapp 80 Prozent und jedes zweite CSU-Mitglied ist 66 Jahre und älter....
Diese Darstellung verzerrt das Bild. Wir haben eine sehr starke Frauen-Union, dort kann man in einer CSU-Organisation mitarbeiten ohne formal Partei-Mitglied zu sein. Aber natürlich ist an einigen Stellen noch Überzeugungsarbeit zu leisten.

Anderes Thema: Angesichts der zugespitzten Lage in Syrien hat Annegret Kramp-Karrenbauer die Einrichtung einer internationalen Schutzzone vorgeschlagen. Das hat zu einigem Ärger in der Koalition geführt. Ist der Vorschlag mehr als persönliche Profilierung? 
Wenn die Vereinigten Staaten von Amerika zukünftig weniger Verantwortung auf der Welt übernehmen werden, kann man das zwar beklagen, aber man muss dann auch bereit sein, eine europäische Position zu entwickeln. So habe ich den Vorschlag von Annegret Kramp-Karrenbauer verstanden. Es geht jetzt darum, diesen Weg gemeinsam weiterzuentwickeln. Klar ist: Europa muss zukünftig bereit sein, mehr Verantwortung zu übernehmen und sich nicht ausschließlich auf einen moralischen Standpunkt zurückziehen.

Was meinen Sie genau?
Es geht darum, jetzt den Konflikt in Syrien zu entflechten. Ziel ist es natürlich, einen dauerhaften Waffenstillstand zu erreichen. Deshalb ist die Initiative von AKK als Antwort zu verstehen, dass Europa nicht wegschauen kann, wenn Auseinandersetzungen robuster Art vor unserer Haustür stattfinden. Ich halte die Zeit für ein entschlossenes Handeln für gegeben, um eine Stabilisierung zu erreichen.

Aber was macht man mit den Flüchtlingen, die ja in immer größerer Zahl kommen?
Unsere Maxime war immer Humanität und Ordnung. In diesem Sinn haben wir im Frühjahr ein umfangreiches Migrationspaket beschlossen, mit dem wir klar unterscheiden zwischen denen, die ein Bleiberecht in Deutschland haben und denen, die wieder gehen müssen. Das gilt es, konsequent anzuwenden und umzusetzen. 

Kann die neue EU-Kommission die Mitgliedsstaaten von einer gemeinsamen europäischen Lösung überzeugen?
Es braucht Ausdauer und Geduld. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Akzeptanz für eine gemeinsame Asylpolitik in Europa in den vergangenen Jahren nicht größer, sondern deutlich geringer geworden ist. Die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen wird von den EU-Ländern -und nicht nur von Ungarn - zunehmend in Frage gestellt. Wir haben es in der EU noch nicht einmal geschafft, die Vereinbarungen umzusetzen, die schon vor einem Jahr geschlossen wurden, denken Sie zum Beispiel an die Einrichtung sogenannter Ausschiffungsplattformen in Nordafrika.

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