Vom CSU-Parteitag in Nürnberg ging neben dem Signal der Geschlossenheit auch das der Verantwortung aus, sagte Alexander Dobrindt im Interview mit dem Deutschlandfunk. Der CSU-Landesgruppenvorsitzende begrüßt zudem das wieder neu gewonnene Vertrauen zur CDU. Er freut sich über die Bereitschaft der SPD zu Sondierungsgesprächen, lehnt aber die Pläne zur Bürgerversicherung und zu Europa ab. Hier das gesamte Interview:

Herr Dobrindt, der CSU Parteitag ist gerade zu Ende gegangen. Wir sitzen hier im Ü-Wagen, noch auf dem Parteitagsgelände. Und was von diesem Parteitag ausgegangen ist: das große Signal, das man immer wieder gehört hat, war das, war die Geschlossenheit. Glauben Sie denn, dass diese Geschlossenheit, die man jetzt hier demonstriert hat, wirklich hält?

Erstens Ja und zweitens, neben der Geschlossenheit geht es vor allem auch Verantwortung. Und wir haben eine große Verantwortung auf der einen Seite in Berlin, auf der anderen Seite in München, das heißt für Deutschland und für Bayern. Und wir wollen in beiden Fällen diese Verantwortung wahr nehmen. Das heißt wir arbeiten gerade eine stabile Regierung in Berlin zu gründen. Und wir arbeiten daran, dass wir ein gutes Wahlergebnis in Bayern schaffen. So, und dazu hat dieser Parteitag das richtige Signal gegeben.

Sie haben auf diesem Parteitag auch eine neue Doppelspitze jetzt bestimmt, mit Markus Söder als neuen Spitzenkandidaten und Horst Seehofer als Parteivorsitzenden. Ich würde nochmal gerne auf die Frage zurückkommen, ob die Harmonie hält. Denn es hieß immer, Markus Söder und Horst Seehofer waren nie die besten Freunde, politisch und persönlich. Glauben Sie denn, dass über die nächste Zeit bis zur Landtagswahl die beiden es durchhalten, diese Professionalität weiter an den Tag zu legen, die Sie jetzt am Parteitag auch an den Tag gelegt haben?

Die Betrachtung der Vergangenheit, die überlassen wir den Historikern. Wir wissen, dass wir für die Zukunft eng zusammenarbeiten und zusammenspielen müssen, wenn man am Schluss erfolgreich sein will. Und das ist wie beim Fußball: Nicht alle, die da auf dem Spielfeld sind, sind automatisch die engsten Freunde, sondern sie arbeiten in einem Team zusammen. Und jeder weiß, er muss dem anderen auch mal den Ball zu spielen, damit der ein Tor macht, um ein Spiel am Schluss zu gewinnen, auch wenn es nicht gerade der ist, mit dem man seinen nächsten Geburtstag feiert. Und das ist etwas, was uns auch auszeichnet. Wir sind ein Team, wir sind eine Mannschaft, wir spielen uns die Bälle zu. Am Schluss muss das Tor gemacht werden, dann siegen wir gemeinsam. Und das ist die Überzeugung die wir alle teilen.

Stichwort "Mannschaft". Die Mannschaft hat ja auch einen Mannschaftskapitän. In dem Fall ist es Horst Seehofer, als ihr alter und neuer Parteivorsitzender. Er ist gewählt worden auf diesem Parteitag mit einem Ergebnis von knapp 84 Prozent. Das ist sein bisher schlechtestes Ergebnis, dass er erreicht hat als Parteivorsitzender. Ist das wirklich ein Zeichen von Geschlossenheit, dass die Partei hinter ihrem Vorsitzenden steht?

Ja, absolut. Das ist ein gutes Ergebnis. Man muss ja sehen, wo kommen wir her. Wir haben eine schwierige Bundestagswahl hinter uns gebracht, wir haben Monate auch in der wir nicht die optimale Darstellung geboten haben. Wir waren eine Partei die auch im Streit wahrgenommen worden ist. Das hat man ja auch sofort an den Umfragen dann gesehen. So, das ist alles ein Prozess, den man hinter sich bringen muss. Und unter diesen Bedingungen dann ein gemeinschaftliches Ergebnis, eine gute neue Aufstellung, den gemeinsamen Willen zum Sieg, all das zu erreichen, muss man sagen, da ist dann auch ein Parteitag wie dieser, extrem gut gelaufen und hat gute Ergebnisse hervorgebracht, und wir gehen gestärkt aus diesem Parteitag raus.

Angesichts dieses Ergebnisses, dass er jetzt bekommen hat – und es ist ja ein absteigendes Ergebnis, er hatte bei dem Parteitag vor vier Jahren noch ein Ergebnis von 95 Prozent, dann 87 Prozent, jetzt sind wie bei 84 Prozent -, gehen Sie davon aus, dass er wirklich die nächsten zwei Jahre auch als Parteivorsitzender weitermachen wird?

Ja, selbstverständlich. Wir brauchen auch eine stabile Aufstellung die die nächsten Jahre ja auch genau so hält. Das sind ja nicht Herausforderungen, die eine mal kurze Momentaufnahme bedeuten, sondern wir haben jetzt diese Herausforderung mit der Regierungsbildung in Berlin, den anstehenden Wahlen in Bayern, danach kommen ja dann wieder Europawahlen, Kommunalwahlen. Das heißt, wir haben eine ganze Reihe von inhaltlichen Themen und Aufstellung der Partei vorzubereiten. Und da ist Horst Seehofer der, der am besten mit seiner großen Erfahrung garantieren kann, dass uns das gelingt.

Er hat sich ja noch nicht festgelegt, aber würden Sie ihm raten, dass er als Minister dann auch nach Berlin geht? So ist er ja eigentlich ein König ohne Land.

Er hat ja schon viel Erfahrung in den vergangenen 40 Jahren in der Politik auf unterschiedlichsten Positionen und Ämtern gesammelt. Er weiß selber ganz genau, was für Ihn jetzt noch ein spannendes und interessantes Amt ist. Ich will das auch überhaupt nicht beurteilen. Und Empfehlung gebe ich ihm da auch keine. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass er seinen politischen weiteren Weg in Berlin wahrnimmt - und wenn er das tut, dann hat er da meine vollste Unterstützung.

Ich würde gerne auf den anderen Mann in dieser neuen Doppelspitze eingehen: Markus Söder. Glauben Sie denn, dass er jetzt ein Mann ist, der die CSU auch wieder einen kann?

Es ist am Schluss eine Teamleistung und in dieses Team passt Markus Söder sehr gut rein. Und deswegen stellt sich diese Einigkeit auch her. Das hat man gerade auch heute schon gemerkt. Das Schlussbild, wo Horst Seehofer und Markus Söder gemeinsam auf der Bühne waren, das sollte ja genau das auch demonstrieren: Wir sind uns einig! Wir wollen gemeinsam erfolgreich sein! Wir wollen die CSU auch zu großer Leistung auch wieder vorantragen! So, und das kann gelingen und wird gelingen, weil wir natürlich auf einer unglaublich großartigen Basis aufsetzen. Wenn man sich die ganzen Daten anschaut, was Wachstum, Arbeit, Sicherheit, all diese Dinge, die man gerne vergleicht, anschaut, dann ist Bayern in der Tat Spitze und wir haben die besten Voraussetzungen. Das ist dann auch die Grundlage dafür, dass ein Vertrauen der Menschen da ist, dass wir diese Frage von guter Zukunft und Sicherheit in der Zukunft verlängern können.

Aber diese Voraussetzungen, die Sie gerade genannt haben, die waren eigentlich schon vor der Bundestagswahl da - das Vertrauen in dem Fall nicht. Hätten Sie nicht aus diesen Grundvoraussetzungen mehr machen müssen? Ist die CSU in irgendeiner Form denn bequem geworden und hat sich auf den alten Erfolgen ausgeruht?

Nein, gar nicht. Wir hatten ein ja ein objektives Problem, dass ein Teil der Bevölkerung uns nicht zugetraut hat, dass die Punkte, die wir im Bereich der Migration formuliert haben, gegen die CDU nicht durchsetzen können, weil da ja auch ganz objektiv eine unterschiedliche Meinung geherrscht hat. Wir haben es ja erst nach der Wahl dann geschafft, mit dem sogenannten Regelwerk zur Migration, mit der CDU eine gemeinsame Linie zu finden. So, und das wäre früher schöner gewesen, wenn man es gehabt hätte, dann wäre die Einigkeit zwischen CDU und CSU schon früher hergestellt gewesen. Jetzt ist sie da. Wir haben auch wieder viel Vertrauen, neues Vertrauen zwischen CDU und CSU gewonnen, alleine in den Sondierungen, den vielen Gesprächen, der Erkenntnis, dass man bereit ist, gemeinsam etwas durchzusetzen. Und zwar genau bei diesen wichtigen Punkten, die ja der Bevölkerung vor der Wahl und auch heute ganz massiv mitbewegt haben. So, und jetzt wollen wir genau diese neu geschaffene Gemeinsamkeit zwischen CDU und CSU auch fortsetzen und in den Verhandlungen mit der SPD dafür zu sorgen, dass die Aufträge, die aus dem Wahlergebnis uns mitgegeben sind von den Wählern, nämlich dafür zu sorgen, dass nicht dauerhaft eine Rechtsaußenpartei sich im Bundestag etablieren kann. Das kann man nur verhindern, wenn man die Gründe die es gibt, AfD zu wählen, entbehrlich macht und dafür sorgt, dass sie nicht mehr existieren und auf der anderen Seite dafür sorgt, dass die sozialen Themen stärker in den Vordergrund kommen. Das war ja auch etwas, dass im Wahlkampf zu kurz war.

Wie groß ist denn die Gefahr, dass auch wenn es immer heißt, es gibt keinen Rechtsruck, dass die CSU trotzdem vielleicht die Mitte aus dem Blick verliert und zu weit eben nach rechts kuckt, um die AfD wieder einzufangen?

Die CSU braucht keinen Rechtsruck, sondern die CSU ist eine Mitte- Rechts-Partei. Und das ist das, was ich unter dem Spektrum Mitte bis demokratische Rechte auch vorhin formuliert habe. Das ist das, was wir als Auftrag haben. Es gilt der alte Grundsatz von Franz Josef Strauß, dass rechts neben uns keine demokratische legitimierte Partei sein darf. Das hat nicht unbedingt was mit uns selber zu tun, sondern vor allem was damit zu tun, dass unsere demokratischen Parteien in der Lage sein müssen die Extreme zu verhindern, die entstehen können. Das ist auch ein Auftrag für eine dauerhaft demokratische Entwicklung. Und übrigens ist es nicht nur ein Auftrag, den die CSU oder CDU zu erfüllen hat, wenn man sich die Wählerwanderungen mal genau anschaut, dann hat nicht nur CDU und CSU an die AfD verloren, sondern SPD und Linkspartei haben gemeinsam genau so viel an die AfD verloren, wie die Unionsparteien.

Ich würde jetzt gerne einmal auf das kommen, was Sie zuvor angesprochen haben: Die neue Einigkeit mit der CDU. Wenn wir mal zwei Jahre zurückblicken, auf den Auftritt von Angela Merkel vor zwei Jahren, dann war es ja für keinen, glaube ich, ein besonders glorreicher Tag. Dieser Auftritt jetzt von Angela Merkel, war das ein Versöhnungsauftritt?

Man hat vom ersten Moment anerkannt, dass sie Freude hatte bei der CSU zu sein, dass es ihr auch Spaß gemacht hat, hier aufzutreten. Das ist etwas ganz anders als vor zwei Jahren, wo man ja erkannt hat, dass es ihr Mühe bereitet, bei der CSU zu sein. Gestern war es ja für sie ein, glaube ich, guter Parteitag bei uns und sie hat die richtigen Worte gegenüber der CSU auch gewählt. Sie hat die Botschaften an die bürgerlichen, konservativen Schichten, ja, auch Wählerschichten, auch formuliert. Das kommt bei der CSU auch an. Man muss sagen, dass sie auch auf humorvolle Art und Weise mit der Situation von vor zwei Jahren auf der Bühne umgegangen ist. Das ist eine Art von Lockerheit, auch Umgang den eine Partei von Spitzenvertretern erwartet und wo dann auch wieder versöhnt ist. Das hat man festgestellt. Horst Seehofer, Angela Merkel auf der Bühne, das Spiel letztendlich, mit der Situation von vor zwei Jahren, das war ja gekonnt und geglückt und hat dann auch so eine Partei ja – merkt man ja auch – auch in Stimmung gebracht. Weil die Leute festgestellt haben: 'Mensch, am richtigen Punkt können die beiden sich hart auseinandersetzen, auch streiten, aber sie finden dann auch wieder zusammen. Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft und wir sind gemeinsam immer erfolgreicher als jeder für sich alleine. Und deswegen ist so eine ganze Partei auch froh, wenn man feststellt, man kann sich wieder aufeinander verlassen.

Haben Sie denn auch das Vertrauen, dass sie in der Zukunft, so wie sie das angekündigt hat, Markus Söder im Wahlkampf unterstützen wird und auch im Sinne der CSU weiter handeln wird?

Ja, ich glaube, dass Sie eine sehr klare Vorstellung davon hat, wie bedeutsam die CSU im politischen Gefüge der Bundesrepublik Deutschland ist und dass die CDU langfristig auch nur erfolgreich sein kann, wenn es eine erfolgreiche CSU gibt. Und Sie hat ein Interesse daran, dass wir die Landtagswahl 2018 erfolgreich bestreiten. Und wie das dann unterstützend ausschaut, dass wird sich dann erst in den nächsten Monaten ergeben. Aber ich habe im Gefühl, dass wir jetzt über einen längeren Zeitraum wieder sehr gut mit der CDU zusammenarbeiten können, zurechtkommen. Wie lange dieser Zeitraum ist, da lasse ich mich auch überraschen. Manchmal ändert es sich ja schneller als man denkt. Das ist aber jetzt keine Prognose, sondern das ist einfach mal aus der Erfahrung gesprochen. Es können auch wieder Punkte kommen, wo man eine unterschiedliche Position hat, wo man dann auch wieder eine öffentliche Auseinandersetzung führen muss. Aber das soll einen nicht daran hindern, richtige Politik zu vertreten. Und das ist unser Auftrag. Und deswegen ist es dann auch mal stürmischer zwischen CDU und CSU, und dann kommen wieder Zeiten, da ist die Liebe wieder etwas größer.

Diese große und neue Liebe zwischen CDU und CSU, die brauchen Sie ja jetzt eigentlich auch für diese Sondierungsgespräche, die jetzt anstehen mit der SPD. Die SPD sagt, sie will konstruktiv und ergebnisoffen in so ein Gespräch gehen. Fühlen Sie sich da ernstgenommen?

Erst mal finde ich es großartig, dass die SPD ihre staatspolitische Verantwortung wahrnimmt und jetzt bereit ist, über eine Regierungsbeteiligung zu reden. Da hat es ja offensichtlich auch einen längeren Erkenntnisprozess gebraucht, weil nach der Bundestagswahl war die Bereitschaft ja nicht da. Jetzt ist diese Bereitschaft gewachsen. Ich finde das ausdrücklich positiv. Jetzt wollen wir mal schauen, wie nächste Woche, da sollen die Sondierungsgespräche stattfinden, wie weit die SPD auch in der Lage ist, verantwortungsvoll damit umzugehen. Das heißt aus meiner Sicht, dass man jetzt nicht die ganzen alten Kamellen aus der Mottenkiste der SPD der vergangenen 30 Jahre rausholt und die mit uns durchdeklinieren will. Wir brauchen jetzt auch ehrlich keine Sitzungen, in denen wir uns mal gegenseitig beschnuppern, sondern wir haben in den letzten vier Jahren miteinander regiert. Ich glaube wir kennen uns relativ gut. Man kann sich auch vorstellen, wo die Schmerzgrenze des jeweils anderen ist. Von daher ist jetzt Effizienz und Dynamik gefragt. Ich glaube, dass es keine Patchwork-Koalition sein darf, das heißt nicht einfach so aus den Wahlprogrammen die einzelnen Bausteine zusammenschütten und irgendwie sortieren und jeder kriegt ein bisschen was. Das ist nicht das, was man sich unter einer Fortsetzung einer Großen Koalition vorstellen darf. Jetzt geht es darum, dass man ein Zukunftsprojekt für Deutschland beschreibt. Das muss man gemeinschaftlich erarbeiten wollen – und da bin ich mir noch nicht ganz sicher, ob die SPD die Kraft hat und dazu in der Lage ist. Ich wünsche es mir auf jeden Fall sehr.

Reden wir über Schmerzgrenze und Gemeinsamkeiten, wie Sie das gerade genannt haben. Was muss denn die SPD von Ihnen akzeptieren, damit Sie sagen: 'Wir gehen diese Koalition ein'? Sie wollen sie, aber Sie haben ja im Endeffekt auch Forderungen. Dazu zählt unter anderem dieses "Regelwerk Immigration". haben. Als es um die Jamaika-Sondierungen ging, haben Sie gesagt: 'Da gehen wir keinen Schritt zurück!' Man hat sich dann irgendwie doch beim Familiennachzug angenähert. Die SPD ist jetzt wieder auf diesem Standpunkt: "Wir wollen den Familiennachzug nicht weiter aussetzen" unter anderem. Können Sie sich da in irgendeiner Form mit der SPD einigen oder kann das wieder der Knackpunkt sein?

Bei der SPD, bei manchen Debatten, die man da zur Zeit hört, weiß ich nicht, ob man die immer genau so auch voll umfänglich ernst nehmen darf. Weil wenn eine Partei wie die SPD mit uns gemeinsam den Familiennachzug ausgesetzt hat, aus guten Gründen, ...

Unter Schmerzen aber.

Aus guten Gründen, die heute noch genauso bestehen. Warum sollte man jetzt dann zu einem anderen Ergebnis kommen?! Klar muss doch sein: Wenn die SPD jetzt der Meinung ist, dass Sie das Aussetzen des Familiennachzugs auflösen will, das heißt, neue Zuwanderung ermöglichen will, dann bekommen wir ein gigantisches Integrationsproblem in Deutschland. Das kann man nicht wollen. Und deswegen würde ich mal sagen, die SPD soll lieber noch mal nachschauen, aus welchen überzeugenden Gründen sie eigentlich der Aussetzung des Familiennachzugs zugestimmt hat. Die gelten nämlich immer noch.

Aber die Situation war Anfang 2016 durchaus eine andere. Man wusste vielleicht auch nicht zwingend, wie sich die Situation weiter entwickeln wird, wie viele Flüchtlinge noch kommen werden. Jetzt weiß man, dass die Zahl doch nicht ganz so hoch ist, und man kann sich auch über die Zahlen des Familiennachzuges trefflich streiten. Gibt es denn nicht Gründe um zu sagen: Wir kommen da auf einen grünen Zweig?

Ich habe ja sehr deutlich gemacht, was unser Ziel ist mit diesem Zukunftsprojekt für Deutschland. Da lade ich die SPD dazu ein, dass sie das gemeinsam mit uns formuliert. Und bei den Fragen wie Migration, da haben wir ja nicht ohne Grund auch die Inhalte des Regelwerks, sogar bei den Jamaika-Sondierungen mit den Grünen vereinbaren können. Das heißt, unsere Argumente sind ja so überzeugend, dass selbst die Grünen, die dem Entwurf der letzten Koalition mit Aussetzung des Familiennachzugs nicht mitgetragen haben, jetzt bereit wären, so etwas mitzumachen. Dann kann ich mir nicht vorstellen, dass eine SPD auf einen anderen Gedanken kommt.

Sie müssen sich ja eigentlich auch einigen bis März jetzt, um diesen Familiennachzug tatsächlich auch geregelt zu haben. Also, eigentlich in der nächsten Sitzungswoche müssen Sie das Gesetzt zumindest dazu schon einbringen. Das heißt, Sie müssen sich in der nächsten Woche entscheiden. Kann das dann eigentlich auch schon die Entscheidung sein: Es klappt mit uns oder es klappt nicht? Kann der Familiennachzug so der ausschlaggebende Punkt werden?

Na, erst einmal haben wir ja vereinbart oder vereinbaren ein sondierungsfreundliches Verhalten, so wie das technisch heißt. Das heißt, dass man jetzt nicht dafür sorgt, dass Rechtsänderungen stattfinden, die man nicht gemeinschaftlich beeinflussen kann. Dazu gehört ja dann auch, dass man den Status Quo - und das ist das Aussetzen des Familiennachzuges – weiterhin beibehält. Ansonsten hätte man ja eine Rechtsveränderung, die einen nicht auf Basis jetzt dann gemeinschaftlich handeln lässt. Und deswegen gehe ich davon aus.

Das heißt, wenn die SPD nicht mitgeht, müssten Sie ja eigentlich auf die anderen Mehrheiten im Bundestag setzen, wie zum Beispiel auf die AfD und die FdP?

Nein, nein, nein. Meine Argumentation geht ja genau in Richtung SPD. Wenn man mit uns jetzt sondiert und sondierungsfreundliches Verhalten vereinbart, dann bedeutet das für mich, dass man auch dafür sorgt, dass keine automatischen Rechtsveränderungen stattfinden, die einen nicht mehr in die Lage versetzt, gemeinschaftliche Entscheidungen danach im ursprünglichen Sinne zu treffen. Und deswegen muss man jetzt dafür sorgen, dass es keine Rechtsveränderungen gibt. Das heißt, der Familiennachzug muss weiterhin ausgesetzt bleiben.

Schauen wir nochmals auf die anderen Themen, die da im Raum stehen, die so als Knackpunkte mit der SPD gelten. Das eine ist das Thema "Bürgerversicherung". Das ist etwas, wo die SPD sagt: "Das ist etwas, das wollen wir unbedingt." Das ist etwas, wo Sie sagen: "Das gehört in die" – wie Sie vorhin auch schon gesagt haben – "sozialdemokratische Mottenkiste." Ist es aber nicht vielleicht im Sinne der ...

Ja, das ist ja ein Thema, das uns ja seit Jahrzehnten begleitet.

Ja, aber es ist auch ein Thema, das vielleicht auch manche Leute als Gerechtigkeitsthema begreifen und vielleicht auch im Sinne dieser großen Erzählungen ein Thema sein könnte, das Sie mit der SPD angehen könnten.

Ein Thema, das uns seit Jahrzehnten begleitet und das ja auch nicht einmal in einer Rot-Grünen Koalition dann zur Wirkung gebracht worden ist. Also, auch die haben dieses Bürgerversicherungsmodell haben sie es am Schluss nicht umgesetzt. Weil es unglaubliche fachliche Schwächen hat. Weil es letztlich den Wettbewerb zwischen den privaten und gesetzlichen Kassen auflöst. Weil es Einnahmen einbezieht, wie zum Beispiel Mieteinnahmen, die am Schluss vom Mieter zusätzlich zu bezahlen sind. Weil klar ist doch, dass der Vermieter das auf die Mieten umschlagen wird. Also, da trifft man Leute, die man eigentlich gar nicht treffen will, mit zusätzlichen Kosten. Und von daher kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass wir uns auf diese sehr mutlosen Uraltkonzepte in irgendeiner Art und Weise dann verständigen. Dass man Gesundheitssysteme weiter entwickeln muss, das haben wir auch in der Vergangenheit gemacht. Das ist auch, sagen ich mal, konsequent und logisch, weil der medizinische Fortschritt ja das bedingt, dass Gesundheitssysteme weiterentwickelt werden müssen, aber doch nicht zurückentwickeln in etwas, was der Modernität der Medizin und der Medizintechnik überhaupt nicht entspricht.

Ein anderes großes Thema ist das Thema "Europa". Da haben Sie schon gesagt, Sie wollen keine "Vereinigten Staaten von Europa" – das ist ein Konzept von Martin Schulz. Aber das Thema muss ja in irgendeiner Form angegangen werden. Glauben Sie, Sie kommen da mit der SPD zusammen, Sie finden da einen Weg, wie Sie in Zukunft mit Europa umgehen wollen?

Dass sich Europa weiterentwickelt, ist ganz selbstverständlich – und übrigens Gott sei Dank! Wir haben in der Vergangenheit ja durch Europa eine positive Entwicklung genommen, auch wirtschaftlicher Art, auch gesellschaftlicher Art. Ich finde das große Klasse, dass wir heute ein Europa erleben, dass letztlich im Inneren ja keine Grenzen mehr hat und dadurch sehr eng zusammengewachsen ist. Das ist toll, welche Chancen sich da auch gerade für die jüngeren Generationen ergeben. Aber wir sind ein Europa der Nationalstaaten -. das ist unser Konzept - und ein Europa der Regionen, wie es die CSU auch immer formuliert hat. Ein Vereinigte Staaten von Europa, ein quasi Nationalstaat Europa, ein Zentralstaat Europa, was da alles letztlich aufgesetzt werden kann darauf als Gedankengut, das lehnen wir ab, das ist nicht unser Modell. Wir wollen keine Vergemeinschaftung der Schulden in Europa. Wir wollen auch keine europäische Arbeitslosenversicherung. Und wir wollen auch nicht, dass der deutsche Sparer mit seinem Bankkonto für die Schuldenländer Europas haftet.

Das sind alles Elemente eines Vereinigten Staaten von Europa, das am Schluss den Nationalstaat Deutschland abschafft. Ich will die Bundesrepublik Deutschland nicht abschaffen! Und deswegen ist es nicht ein Konzept, das wir mitgehen. Ich weiß auch nicht, ob es jetzt sehr durchdacht war, weil ja diese Äußerungen von Martin Schulz, die ja nicht nur geheißen haben, er will ein Vereinigtes Staaten von Europa erreichen, sondern er dann noch formuliert hat: "Und wer nicht dafür ist, der ist raus, der soll gehen!" Das ist eine sehr seltsame Form eines Europas, was Martin Schulz da vorgestellt hat – und auf jeden Fall nicht meines. Das ist nicht der Umgang, den ich pflegen will mit den anderen Ländern. Und ich kenne auch die Grenzen, die ein Zusammenwachsen Europas hat. Da gibt es eine ganze Reihe auch von Barrieren, da gibt es auch kulturelle Barrieren. Europa ist unterschiedlich – das ist übrigens das Tolle. Wir wollen ein Europa der Vielfalt, und das muss ein Europa der Bürger bleiben. Und die Entwicklung muss auch am Schluss eine Bürgerbewegung bleiben. Wir brauchen kein Europa der Eliten, die sagen wie es geht und alle anderen sollen ihm dann einfach folgen und wenn sie dem nicht folgen wollen oder nicht folgen können, dann müssen sie raus. Das ist etwas, da muss man sich ... da muss sich, glaube ich, Martin Schulz nochmal wirklich sehr prüfen. Er hat ja lange europäische Erfahrung. Und ich habe darüber nachgedacht: Wie kommt jemand, der so lange in Brüssel sitzt, auf einmal zu so einem verrückten Gedanken? Und möglicherweise liegt es daran, dass in der Tat es halt ein Eliten-Europa ist, das in Brüssel zusammensitzt. Und das lehnen ja gerade viele ab. Und deswegen sollte er sich schon noch mal ...

Das heißt, Sie müssen aber irgendwie einen Weg finden, wo Sie sagen, da können wir auch in europäischen Wegen einen gemeinsamen Weg finden, wie wir Europa neu aufbauen oder nicht neu aufbauen können, aber zumindest neu mitgestalten können.

Also, ich bin zumindest nicht bereit, ein Mehr an Europa hier durch ein Weniger an Demokratie zu erkaufen. Den Eindruck macht es da ja, was da vorgestellt wird. Europa muss Bürgerbewegung bleiben. Und da muss Europa bereit sein, sich um die großen Themen zu kümmern, aber die kleinen dann auch in Ruhe zu lassen und den Nationalstaaten, den Regionen die Verantwortung dafür zu lassen. Dazu gehört auch mal der Gedanke, ob man nicht Kompetenzen aus Brüssel wieder zurückverlagert in die Länder.

Herr Dobrindt, zum Schluss nochmal eine ganz kurze Frage: Wie optimistisch sind Sie, dass das mit einer Großen Koalition mit der SPD klappt?

Ich will diese Große Koalition mit der SPD. Ich hoffe sehr, dass es gelingt, die gemeinsame Verantwortung. Aber sie gelingt halt auch nur dann, wenn man in der Lage ist, dieses Zukunftsprojekt Deutschland zu beschreiben, wenn man eine Projektgemeinschaft bilden will. Wenn man die Idee dafür nicht findet, dann wird es schwer.

Druckversion
Mehr zum Thema
Außerdem wichtig
Anti-Israelische Demonstration in Berlin
Antisemitismus 11.12.2017
Beladung eines Transportflugzeuges der Bundeswehr
Bundeswehr 13.12.2017